Mit dem Flüchtlingshungerstreik wird jetzt ebenso umgegangen wie einst mit der Uni-brennt-Bewegung und der Audimax-Besetzung: Man tut nichts und schaut weg.

Foto: Matthias Cremer

Die Flüchtlinge sind jetzt schon über vier Wochen in der Votivkirche - und sie hungern immer noch. Vergangenen Donnerstag drückten die RettungsärztInnen der Johanniter, die sie medizinisch betreuen, erstmals akute Besorgnis über den Gesundheitszustand der rund 40 Männer aus: Diese hätten inzwischen mehr als ein Fünftel ihres Körpergewichts verloren, etliche von ihnen seien nervlich am Ende ihrer Kraft.

Am Hungern halten sie dennoch fest, aus Ausweglosigkeit. Würden sie den Essstreik beenden, hätten sie nichts mehr in der Hand, um "eine Lösung" zu erwirken, sagte mir einer der Männer vor wenigen Tagen. Damit meinte er die Überprüfung abgelehnter Asylanträge und Aufenthaltssicherheit für alle in der Gruppe. Und in weiterer Folge Verbesserungen wie Arbeitsrecht und Grundversorgung mit Mitspracherecht der Grundversorgten, auch für rechtskräftig Abgelehnte.

Wem diese Ziele jetzt vermessen vorkommen, wer gar, wie die Freiheitlichen immer lauter, von "Erpressung" spricht, dem oder der sei hiermit zum Beispiel auf den Umstand hingewiesen, dass manche Bundesländer Flüchtlinge nach einem rechtskräftig negativen Asylbescheid die Versorgung verwehren. Sie setzen diese Menschen auf die Straße, selbst wenn sie de facto nicht abschiebbar sind, etwa weil ihnen im Heimatland aus anderen als asylrelevanten Gründen Gefahr droht.

Letzte Auswege

Die Betroffenen wechseln dann meist nach Wien, weil es hier, in der Großstadt, am meisten Hilfe gibt, von Initiativen wie zum Beispiel jener Ute Bocks. Diese bietet den gestrandeten Menschen zum Beispiel ein Meldeservice an, auf dass sie zumindest eine Zustelladresse haben. Wenn sich also Bocks NachbarInnen über die vielen ärmlichen AusländerInnen aufregen, die sich bei ihr in der Favoritner Zohmanngasse die Post abholen, so alterieren sie sich im Grunde über ein Versäumnis der Länder. Über eine inakzeptable, inhumane Verwaltungspraxis, die so tut, als würden sich Flüchtlinge nach Asylablehnungen in Luft auflösen.

Wer die großteils aus Pakistan kommenden Hungernden in der Votivkirche der unangemessenen Ausübung von Druck bezichtigt, sollte sich außerdem deren nur einprozentige Asylanerkennungsquote vor Augen führen. Pakistan gilt den heimischen AsylrichterInnen als sicher genug, um Menschen dorthin zurückzuschicken - während das Außenministerium für weite Teile des Landes eine Reisewarnung ausspricht.

Genau aus diesen Regionen kommt ein Gutteil der Protestierenden. Wer jetzt meint, Pakistan sei groß, die Betreffenden könnten ja woanders in dem Land sicher leben: Auch diese so genannte "innerstaatliche Fluchtalternative" ist für sie keine Lösung, weil sie in ihren Heimatregionen familiär verankert sind und in anderen Teilen des Landes keine Existenzgrundlage hätten. Zumal sie religiösen, ethnischen Gruppen angehören, die nirgendwo in Pakistan gut gelitten sind.

Politisches Aussitzen

Also mangelt es den hungerstreikenden Männern in der Votivkirche nicht an berechtigten Gründen. Doch diese werden nicht gehört. Tatsächlich haben sich die politisch Entscheidungskompetenten offenbar entschlossen, den lästigen, radikalen Protest auszusitzen. Der runde Tisch mit MinisteriumsvertreterInnen und das Gespräch Ministerin Johanna Mikl-Leitners mit Delegierten der Hungerstreikenden haben zu keiner wirklichen inhaltlichen Diskussion geführt.

Dafür kommt es zu fragwürdigen Einsätzen der Wiener Polizei: Verfassungsschutzbeamte in Zivil hielten im Gotteshaus unaufgefordert Nachschau. Und die immer blindwütigeren Attacken der FPÖ auf HelferInnen und UnterstützerInnen lassen die politischen EntscheidungsträgerInnen zurückweichen. Die in Österreich bekannte Rechtspopulismusfalle tut sich auf, man will sich gegen die Rechten nicht positionieren, aus Angst, sich die Finger zu verbrennen - mit dem Risiko, dass die FPÖ mittelfristig die Deutungshoheit übernimmt.

Damit wird mit dem Flüchtlingshungerstreik jetzt ebenso umgegangen wie einst mit der Uni-brennt-Bewegung und der Audimax-Besetzung: Man tut nichts und schaut weg. Der Protest, der den großkoalitionären Lauf der Dinge stört, wird ausgehungert, sozusagen. Es stellt sich die Frage, ob dieses Wegschauen bis zum ernsthaften Kollabieren der Hungerstreikenden aufrechterhalten werden soll. Bis man dann "eh nichts mehr machen kann", um den Konflikt auf zivilisierte Art und Weise zu lösen.

"Verschwundene" Tschetschenen

Dieses Negativprinzip hatte zuletzt auch in einer anderen Situation Bahn gegriffen: im Fall jener zwei tschetschenischen Flüchtlinge, die im November trotz massiver Warnungen nach Moskau abgeschoben wurden - um dort alsbald verhaftet zu werden.

Beide Männer sind in der russischen Föderation nach wie vor im Gefängnis. Die russischen Behörden haben auf österreichische Nachfrage hin klargestellt, dass sie nicht daran denken, mit VertreterInnen eines anderen Landes über die Behandlung ihrer beiden Staatsangehörigen zu diskutieren. Das ist zwar ein anderes, aber ebenso asylrelevantes Thema. (Irene Brickner, derStandard.at, 19.1.2013)