Lisi Kirchler war immer schon gern barfuß unterwegs.

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Sölden - Es hat sich allerhand geändert im Leben der Lisi Kirchler. Ein Plaudertascherl freilich ist die 49-Jährige geblieben, und es gibt reichlich zu plaudern über die Skikarriere der Tirolerin und das Leben danach, welches in Sölden im Ötztal spielt und sich vor allem um die drei Kinder dreht, um Coletta (14), Samira (11) und Moreno (7). Seit 17 Jahren ist Kirchler in Sölden daheim. Schuld daran sind die vielen Trainings mit dem Skiteam im Ötztal und Armin Riml, mit dem sie seit 2003 verheiratet ist. Es gibt viele Rimls in Sölden, Armin ist der Cousin von Patrick, der den Sportdirektor des US-Skiteams macht, er betreibt das Cafe "s'Rimele" in Sölden und ein Lokal auf dem Gletscher.

Wenn es um die Jetztzeit geht, sagt Lisi Kirchler: "Die Kinder haben Priorität. Gott sei Dank können wir uns leisten, dass ich daheim bin. Ich widme ihnen 90 Prozent meiner Zeit, die anderen zehn Prozent helfe ich im Geschäft aus." Manchmal gibt sie sich die Weltcuprennen auf dem Rettenbachferner, die traditionell im Oktober stattfinden, aber nicht immer. "Diesmal war eine Freundin aus Amerika bei mir, das Wetter war schlecht, wir haben gefrühstückt und uns die Rennen im Fernsehen angeschaut, auch schön. Im Dezember waren wir in Brixen, dann haben wir hinaufgeschaut zu den Rennen in Gröden und in Alta Badia. In Kitzbühel ist mir der Auflauf zu viel. Ich muss nicht mehr überall hin, wo der Rauch aufsteigt." Was auch heißt, dass es sie früher schon eher dorthin gezogen hat, wo die Post abgegangen ist.

Trotzig zum Erfolg

Und wenn sie über die Kinder spricht, dann spricht sie auch darüber, dass sie sich früher immer geärgert hat über den geläufigen Spruch von den kleinen Kindern und den kleinen Sorgen, den großen Kindern und den großen Sorgen. "Jetzt hab ich die Diskussionen mit den Töchtern, und dauernd fällt mir der Spruch von einem Freund ein: Die Pubertät ist das Blödeste, was sich die Natur einfallen hat lassen."

Als sie, Lisi Kirchler, ein kleines Kind gewesen ist, wurde sie wie alle Kinder von Lanersbach vom Volksschullehrer gefragt, was sie gerne einmal werde würde. "Ich will die Annemarie Pröll werden, hab ich geantwortet. So gut bin ich leider nicht geworden." Aber ein bisserl was ist sich ausgegangen, drei Siege in Weltcupabfahrten, einen in der Kombi, dazu Stockerlplätze auch im Super-G und im Riesenslalom, WM-Silber im Riesenslalom 1985 in Bormio.

Damit es überhaupt so weit kommen konnte, war auch eine gewisse Trotzköpfigkeit vonnöten. Kirchler wuchs im Skigebiet auf, im Tuxertal, einem Seitental des Zillertals. "Ich war von früh bis spät vor der Tür skifahren, meine Eltern haben mich jeden Tag suchen müssen." Sie äußerte den Wunsch, die Skihauptschule in Neustift im Stubaital besuchen zu dürfen. "Die Eltern waren dagegen, ich war ja erst zehn. Aber die Mutter von einer Freundin hat uns beide für die Aufnahmsprüfung angemeldet. Ich hab bestanden und dann doch in diese Schule gehen dürfen. Für die Mama war das schon zach, dass das Kind so früh weggegangen ist ins Internat. Aber für mich hat alles seinen Lauf genommen." Es folgten die Skihandelsschule in Stams, Erfolge bei Kinderrennen, im Europacup und Ende 1980 das Debüt im Weltcup.

"Die Hetz ist nicht zu kurz gekommen"

Ihre Lieblingserinnerung? "Ich war immer gern barfuß unterwegs. 1981 waren wir in Aspen, es war richtig frühlingshaft. Dann hab ich mir gedacht, ich probier's barfuß in den Skischuhen, und prompt habe ich mein erstes Weltcuprennen, die Abfahrt gewonnen. Seither hab ich nie wieder Socken in den Skischuhen getragen. Egal bei welcher Temperatur." Kirchler war damals 17 und die jüngste Skiläuferin, die je eine Weltcupabfahrt gewann. Der Rekord sollte nicht lange halten. Knapp ein Jahr später siegte die 16-jährige Tirolerin Sylvia Eder in der Abfahrt von Bad Gastein, dieser Rekord besteht heute noch.

Und wenn Kirchler das Gestern und das Heute im Skisport vergleicht, sagt sie: "Es geht jetzt um viel mehr Geld. Aber es ist auch engstirniger geworden. Früher sind wir oft zusammengehockt, haben Karten gespielt, ab und zu ein Glaserl getrunken. Die Hetz ist nicht zu kurz gekommen. Jetzt geht es viel brutaler zu. Ich bin froh, dass ich damals gefahren bin. An die Grenzen sind wir natürlich auch gegangen."

Als Kirchler in den Weltcup kam, beendete die große Annemarie Moser-Pröll ihre Karriere. "Wir waren die jüngste Mannschaft", erzählt Kirchler, "und ich war mit 17 der junge Leithammel." Man habe schöne Schachen erlebt, an die sie sich gern erinnert, auch weniger schöne, " aber die tauchen bei mir gar nicht mehr auf". So die Streitigkeiten zum Karriereende nach einem Trainerwechsel, mit dem neuen Coach und auch mit den Kolleginnen. "Es hat viele Intrigen gegeben. Ich habe immer gesagt, was mir nicht passt, das ist nicht gut angekommen. Einige haben mich gar nicht mögen, ich sie auch nicht."

Ende 1985 rissen bei einem Sturz bei der Weltcupabfahrt in Sunshine, Kanada, alle Bänder im Knie. "Ich habe dann lange eine Blockade gehabt, habe mich zwei Jahre nicht über die Abfahrt getraut." Bei der WM 1987 schied sie im Riesenslalom und im Super-G aus, 1988 bei der Olympiaabfahrt in Calgary wurde sie Achte, die WM 1989 ging mit Platz 22 in der Abfahrt ganz daneben.

Lieber plappern als schreiben

1990 machte Lisi Kirchler Schluss. "Ich hab gewusst, dass sich die WM 1991 in Saalbach nicht mehr ausgeht. Aber ich bin nach der Karriere nicht in ein tiefes Loch gefallen, sondern es war einfach lässig. Das Aufhören ist mir leicht gefallen." Kirchler, die Ski-Expertin, arbeitete als Zeitungskolumnistin. Alles selbst geschrieben?, frägt man angesichts der Verjährung. "Na ja, phasenweise. Plappern kann ich besser als schreiben." Auch dazu erhielt sie Gelegenheit, als Co-Kommentatorin beim ORF.

Wie viele Ex-Rennläufer absolvierte Kirchler die Ausbildung zum staatlichen Skilehrer. "Aber für den Skilehrerjob bin ich nicht sonderlich geeignet. Ich mag nicht jeden Tag auf dem Berg stehen. Wenn ich skifahren gehe, dann mit den Kindern." Eine Woche pro Jahr gibt sie ihr Wissen dann doch weiter, die Woche hört auf den Namen "Carving mit Lisi Kirchler". Und was ist mit den Kindern, mit Coletta, die nach Armins Großmutter benannt ist, mit Samira, die ihren Namen einem Schweizer Mädchen verdankt, das Kirchler bei einem Italien-Urlaub kennengelernt hat, mit Moreno, zu dem eine deutsche Freundin den Tipp lieferte, werden die auch Skirennläufer? "Eher nicht", sagt die Mama. " Die Mädchen sind hauptsächlich mit dem Snowboard unterwegs, der Bub mit Twintips. Der sportliche Ehrgeiz ist nicht sehr ausgeprägt."

1985, nach der WM-Silbernen in Bormio - Gold war den ÖSV-Sportlern versagt geblieben - "hat mich Heinz Prüller angerufen und gefragt, ob ich am Wochenende Zeit habe. ,Warum?', hab ich gefragt. ,Du bist zur Sportlerin des Jahres gewählt worden', hat er gesagt." Sportler des Jahres wurde Judoka Peter Seisenbacher, der 1984 Olympiagold gewonnen hatte und dies 1988 wiederholen sollte. "Die Ehrung hat in einem kleinen Raum beim ORF stattgefunden. Es war nicht so professionell wie heute. Aber dieser Titel, diese Auszeichnung taugt mir schon. Das sagt mir, dass ich doch ein bisserl was gewonnen habe."(Benno Zelsacher, DER STANDARD, 21.01.2013)