Obergurgl/Wien - Restriktive Diäten können Kinder und Jugendliche gefährden - beim Ernährungsstatus, der sozialen Kontaktfähigkeit und in der psychologischen Situation. Unabhängig davon, ob diese aufgrund von "Lebensstil" oder infolge von vermeintlichen oder wirklich durch Ernährungsfaktoren (ko-)verursachten Gesundheitsproblemen eingehalten werden. Besonders risikoreich erscheint eine strikt vegane Ernährung bei Kindern und Jugendlichen. Das ging Freitagvormittag aus einem Vortrag der deutschen Expertin Sibylle Koletzko (München) beim 39. Internationalen pädiatrischen Symposium in Obergurgl in Tirol (bis 19. Jänner) hervor. 

"Restriktive Diäten (Auslassen einer oder mehrerer wichtiger Ernährungskomponenten, Anm.Red.) begegnen wir immer häufiger", sagte die Expertin von der Kinderklinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital (Ludwig-Maximilians-Universität). Ursachen und Motivation sind unterschiedlich: "Unkritisch selbst gewählte Ernährung aus weltanschaulichen oder ähnlichen Gründen"; Beschwerden, die (vor)schnell auf die Ernährung zurückgeführt und ohne wissenschaftliche Evidenz mit solchen Diäten "behandelt" werden - und schließlich die wirklich medizinisch angezeigte Eliminierung eines oder mehrerer bestimmter Nahrungsmittel. Auch letzteres kann potenziell gefährlich Auswirkungen haben. 

Vegane Ernährung

Koletzko stellte den frappierenden Fall einer 15-Jährigen vor, die am 4. Jänner dieses Jahres nach einem Jahr starker Bauchschmerzen, mit starkem Untergewicht (BMI von 14) und bereits ausbleibenden Monatsblutungen in ihre Klinik gekommen war. Fünf verschiedene Ärzte plus ein Psychotherapeut hatten sie bereits betreut. Seit zehn Monaten hatte sich die aus einer Familie vegetarischer Ernährung nur noch vegan (rein pflanzliche Produkte) ernährt. "Sie ernährte sich fast nur noch von Reiswaffeln", sagte die Expertin. 

Die tägliche Kalorienzufuhr betrug mit 1.180 Kilokalorien nur noch 47 Prozent des Soll. Beim Fett kam sie auf 32 Prozent, bei den Kohlehydraten auf 52 und beim Protein auf 82 Prozent. Es bestand auch teilweiser Vitaminmangel. Der schließlich objektiv festgestellte Grund für die Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme, die mit der immer restriktiveren Ernährung "behandelt" worden waren: eine chronische Gastritis durch eine Magenkeim-Infektion (Helicobacter Heilmanii) - offenbar erworben von der Hauskatze. Und dieses Tier hatte die Familie, obwohl die Jugendliche auch eine Tierhaarallergie aufwies.

Alternative Heilmethoden

Koletzko: "Patienten und Familien mit restriktiven Diäten sind häufig auffällig." Sie hätten ganz eigene Erklärungsmodelle für Gesundheit und Krankheit und würden auch schnell "zu Ärzten mit alternativen Heilmethoden neigen". Statt einer wissenschaftlich fundierten Abklärung - die Magenkeim-Infektion ließ sich zum Beispiel eben nur durch entsprechende Untersuchungen belegen -, kommt es laut den Erfahrungen der deutschen Expertin leicht dazu, dass die Betroffenen immer engeren Ernährungsratschlägen immer fanatischer folgen - mit erst recht negativen gesundheitlichen Konsequenzen. Durchaus leicht behebbare Krankheitsursachen können dabei leicht übersehen werden. 

Völlig ungeeignet - so die deutschen Empfehlungen - ist eine rein pflanzliche Ernährung für Schwangere, Stillende und im gesamten Kindesalter. Vitamin B-Mangel kann hier sogar zu bleibenden Gehirnschäden führen. In einer niederländischen Studie, so die deutsche Expertin, schnitten Kinder aus Familien mit makrobiotischer Ernährung in einer Langzeitstudie anhaltend schlecht bei den kognitiven Leistungen als die Kinder einer Vergleichsgruppe ab. 

Bei Kindern von Ernährungsfanatikern kommen aber auch noch andere negative Faktoren zum Tragen: soziale Isolierung durch den Gruppenstress in der Familie, Angst vor Diätfehlern, überprotektives Verhalten vor allem der Mütter, schlechtes Gewissen beim "Naschen" und ein höheres Risiko für die Entwicklung von echten Essstörungen. (APA, 21.1.2013)