Wien - Es wirkt, als würde jn den letzten Jahren bei der Entwicklung der Fusionsenergie nicht wirklich etwas weitergehen. Mittlerweile wird die Aussage "In rund 30 Jahren gibt es kommerzielle Fusionskraftwerke" wegen ihrer jahrzehntelangen Wiederholung schon scherzhaft als "Fusions-Konstante" bezeichnet. Dennoch ist Friedrich Aumayr von der Technischen Universität (TU) Wien zuversichtlich: Man kenne die technischen Herausforderungen, "wir wissen recht genau, was uns erwartet", so der Physiker. Aumayr ist seit kurzem neuer Chef des österreichischen Kernfusionsprogramms ("Assoziation EURATOM-ÖAW"), in dem die österreichischen Forschungsgruppen im Bereich Kernfusion zusammengefasst sind.
Aumayrs Aussage bezieht sich auf den derzeit in Bau befindlichen internationalen Kernfusions-Testreaktor ITER. Dieses internationale Projekt der Europäische Union, Chinas, Indiens, Japans, Südkoreas, Russland und USA soll in Südfrankreich in großem Maßstab zeigen, wie aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie erzeugt werden kann - ein Prozess, wie er auch in der Sonne abläuft. Derzeit wird in Kernkraftwerken Energie aus der Spaltung von Atomkernen gewonnen.
Trotz der aktuellen Probleme beim EU-Budget, in deren Zusammenhang auch immer wieder die hohen Kosten von ITER (voraussichtlich 16 Milliarden Euro) kritisiert werden, kann sich Aumayr "nicht vorstellen, dass das Projekt abgedreht wird. Dazu ist das Projekt schon zu weit gediehen". Möglicherweise werde man aber noch irgendwo Abstriche machen müssen. Sorgen bereite in diesem Zusammenhang allerdings, wie es künftig mit den Mittel-Rückflüssen in die einzelnen Länder aussehe.
Österreichs Kernfusionsprogramm
Das österreichische Kernfusionsprogramm wurde 1996 kurz nach dem EU-Beitritt Österreichs, der auch mit einem Beitritt zu EURATOM verbunden war, ins Leben gerufen. Es soll die Tätigkeit der österreichischen Forscher im Kernfusionsbereich - es arbeiten Gruppen an den Technischen Universitäten Wien und Graz, der Uni Innsbruck und der Akademie der Wissenschaften in diesem Bereich - koordinieren und Mittel-Rückflüsse aus Brüssel nach Österreich ermöglichen. Diese liegen derzeit bei rund 800.000 Euro pro Jahr, die laut Aumayr vorwiegend für die Anstellung von 20 bis 30 Doktoranden verwendet werden.
Offene Fragen rund um ITER werden als Forschungsprojekte öffentlich ausgeschrieben - wer den Auftrag erhält, bekommt auch die Forschungsmittel. Aus diesem Grund sei es notwendig, "in Österreich die Expertise aufrecht zu erhalten", unterstreicht Aumayr die Bedeutung dieser Ausbildung. Andernfalls könne man auch keine Leute zu ITER schicken.
ITER: 2020 soll das erste Plasma zünden
Die Prognose, dass in etwa 30 Jahren mit Fusionskraftwerken zu rechnen sei, gibt es schon seit Jahrzehnten. Aumayr meint, dass man "anfangs den Mund wohl wirklich zu voll genommen hat, als man die Schwierigkeiten noch gar nicht abschätzen konnte". Nun aber kenne man die technischen Herausforderungen, etwa wenn es darum geht, den Brennstoff (die beiden Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium) auf rund 100 Millionen Grad Celsius zu erhitzen und das dabei entstehende Plasma mit Hilfe starker Magnete in Schwebe zu halten. ITER, wo 2020 das erste Plasma zünden soll, sei heute gut durchgerechnet, so der Professor am TU-Institut für Angewandte Physik, der als Chef des Fusionsforschungsprogramms Harald Weber nachfolgt, der in Ruhestand getreten ist.
"Deutliche Fortschritte"
Die Fusionsforschung habe in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht, erklärte Aumayr unter Hinweis auf die drei physikalische Größen, die dabei entscheidend seien: "Das sind Druck, Temperatur und die Zeitspanne, in der man die Teilchen beziehungsweise deren Energie im Plasma einschließen kann." Das Produkt dieser drei Zahlen beschreibe oft die Qualität eines Fusionsreaktors und seit den ersten Fusions-Versuchen in den 1960er-Jahren habe sich der Betrag dieses Dreifach-Produkts etwa alle zwei Jahre verdoppelt. (APA/red, derStandard.at, 22.01.2013)