Christine Ptacnik verbrachte zwei Jahre, Helmut Smakal ein Jahr der Nachkriegszeit in Portugal. Beide sagen über diese Zeit trotz der Ferne zum Zuhause: "Es war wie im Paradies."

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Aus dem privaten Archiv: Die österreichischen Kinder auf dem Weg nach Portugal - sie tragen ihren Namen auf einem Schild um den Hals.

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Lissabon/Wien - Ein satter Ölduft strömte aus der Fabrik der Familie Pavãu. Er zog die Gutshügel hinauf durch Edelkastanienhaine, Weingärten und über Getreidefelder, wo sich die Dorfbewohner von Sucaes als Tagelöhner verdingten. Es war April 1948. Christine, ein Wiener Mädel, acht Jahre jung, kletterte nach tagelanger Reise im nördlichsten Nirgendwo Portugals aus dem Zug. Offene Arme eines ihr vollkommen fremden portugiesischen Paares hießen sie willkommen. Der markante Duft des Olivenöls stieg ihr in die Nase, in den Kopf.

"Ich habe jahrelang nach dem Geruch gesucht", sagt Christine Ptacnik, heute 72-jährig. Auf diesen Satz folgt eine Pause, in der in ihr Bilder aufzuflackern scheinen - vielleicht von den ersten Orangen ihres Lebens, den maßgeschneiderten Kleidern und ihrer aufmerksamen Pflegemama.

Fremder, fünfter Sohn

Frau Ptacnik, Kurzhaarschnitt und ein Blick, aus dem eine Frohnatur funkelt, sitzt an einem Tisch des Restaurants Rosenberger in einer Seitengasse der Wiener Kärntner Straße. Es riecht nach Buffetessen. Neben ihr rutscht Helmut Smakal unruhig auf seinem Sessel herum. Auch er, 71 Jahre, hohe Stirn, wachsamer Blick, will seine Geschichte erzählen. Von seinem Portugal, seinem kleinen Dorf nahe Vila Nova de Famalicão, seiner Familie Fernandes, die ihn im Frühling 1950 für ein Jahr herzlich aufnahm, als fünften und jüngsten Sohn, der sich mit dem gleichaltrigen Nachbarsbuben anfreundete.

Frau Ptacnik und Herr Smakal nennen sich "Caritas- oder Portugal-Kinder". Sie waren unter den 5.500 österreichischen Sprösslingen, die wegen ihrer Bedürftigkeit oder gesundheitlichen Probleme mit der Hilfsorganisation in den Jahren 1947 bis 1953 nach Portugal reisten, um von Gastfamilien aufgepäppelt zu werden. Ähnliche Initiativen existierten zum Beispiel auch in Spanien und der Schweiz. Oft blieben die Kinder ein Jahr, manchmal mehrere, in Einzelfällen ein ganzes Leben.

Christine Ptacnik verbrachte - mit einer Unterbrechung in Wien - zwei Jahre bei Familie Pavãu. Nach drei, vier Monaten beherrschte das blonde Mädchen fließend Portugiesisch und kaum noch Deutsch genug, um ihrer Mutter zu schreiben, dass es ihr gut ging. Gut? "Es war wie im Paradies", sagt Ptacnik heute.

Herr Smakal benutzt die gleichen Worte. Heute schaut der pensionierte Techniker täglich portugiesisches Fernsehen. Die Sprache hat er in Kursen wieder gelernt. Die Krisensituation in Portugal betrübt ihn. So erging es auch dem österreichischen Botschafter in Lissabon, Bernhard Wrabetz, Bruder des ORF-Generals, der deshalb eine Spendenaktion für bedürftige Kinder in Portugal initiiert hat, und ehemalige "Caritas-Kinder" bat, etwas beizusteuern. Involviert ist auch wieder die Hilfsorganisation sowie die Österreichisch-Portugiesische Gesellschaft. Donnerstagabend fand die Auftaktveranstaltung in Belém statt, mit einer Ausstellung alter Fotos der jungen Nachkriegsreisenden. Bisher sind 50.000 Euro zusammengekommen, mit deren Hilfe Eltern Ausgaben für die Schule oder Arzneien ermöglicht werden sollen.

Frau Ptacnik und Herr Smakal sind nicht angereist, sie wollen das Land im September wieder besuchen. "Aber wir geben im Bereich unseres Möglichen", sagt Smakal. Das Land sei ihre zweite Heimat geworden. Helmut Smakal hat es oft zurück nach Portugal gezogen. Das erste Mal als 18-jährigen Autostopper: "Das gab ein großes Wiedersehen." Noch heute hat er Kontakt zu einem der Pflegebrüder, einem inzwischen 84 Jahre alten Herrn. Smakal sucht als Obmann des Portugal-Freundeskreises Wien unermüdlich ehemalige Caritas-Kinder und durchforstet alte Zeitungen, um die Geschehnisse der Zeit nachzuvollziehen.

Monatliche Treffen

Seit zehn Jahren kennt er Christine Ptacnik, die beiden sind ein Paar geworden. Sie haben einander beim Stammtisch der Wiener Portugal-Kinder kennengelernt. Etwa zehn bis 20 Personen finden sich dazu einmal im Monat im Restaurant Rosenberger ein.

Herr Smakal war es auch, der Frau Ptacnik das erste Mal nach 53 Jahren wieder an jenen Ort brachte, wo sie zwei Jahre ihrer Kindheit lebte. Bei der Abreise war das Mädchen nicht zu trösten gewesen. "Es war furchtbar." Gut drei Monate brauchte es, bis sie wieder ordentlich Deutsch konnte. Gleichzeitig verlernte sie Portugiesisch. So riss auch die Kommunikation mit der Pflegefamilie ab. Heute hat sie mit einer Pflegeschwester wieder Kontakt.

Als sie 2004 zurückkehrte, an den Ort, der ihr einmal das Paradies war, da war der Kastanienhain abgebrannt und von den Weinstöcken nichts mehr zu sehen. Das Gutshaus stand aber noch da. Und die Olivenölfabrik. Dass diese noch in Betrieb ist, wusste Christine Ptacnik in dem Moment, als sie aus dem Zug stieg. (Gudrun Springer/DER STANDARD, 26./27.1.2013)