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Ken Rogoff ist für einen Eurofinanzminister, der von jedem Land 30 Prozent der Steuern kassiert.

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Standard: Wie beurteilen Sie die Lage in der Eurozone?

Rogoff: Mario Draghi hat ein gutes Händchen bewiesen und hat der Eurozone ausreichend Zeit gekauft, mindestens zwei Jahre, um finanzielle Garantien bereitzustellen für zumindest einige der Peripheriestaaten. Aber das ist keine Langzeitlösung. Wir sind noch sehr weit weg von einer stabilen Situation in Europa.

Standard: Was ist zu tun?

Rogoff: Eine ernst gemeinte politische Union der Euroländer ist das einzige Stabilisierungsprogramm. Etwas geringeres als das würde auseinanderfallen. Es dauert aber zwanzig Jahre, bis Deutschland und Frankreich wie ein Land sind. Es muss eine heftige Bewegung in diese Richtung geben. Der Status quo bedeutet massive Transfers für Jahrzehnte. Dafür braucht man politische Legitimation.

Standard: Was heißt das konkret?

Rogoff: Man braucht einen Präsidenten, der über Angela Merkel und François Hollande steht, einen Finanzminister, der 30 bis 40 Prozent der Steuereinnahmen aus allen Ländern kassiert. Es gibt verschiedene Wege, das umzusetzen.

Standard: Der britische Premier David Cameron hat in Davos klar gesagt, er will keine politische Union.

Rogoff: Am Ende wird es eine politische Union nur in der Eurozone geben. Mit einigen Ländern, wie Großbritannien, wird man eine spezielle Beziehung eingehen müssen. Alle sind für freien Handel, auch für Bewegungsfreiheit. Aber nicht alle wollen eine 35-Stunden-Woche oder andere Regulierungen. Es gibt Wege, die genauso richtig sind wie der deutsche Weg. Die Endphase kann doch nicht sein, dass die ganze EU den Euro hat und jeder ist gleich. Schon in der Eurozone gibt es Kernländer wie Deutschland, Frankreich und natürlich Österreich. Die werden sich schnell Richtung politischer Union bewegen.

Standard: Was halten Sie vom deutschen Weg des strikten Sparens in Europa?

Rogoff: Ganz offensichtlich ist das für Griechenland, Portugal, Irland, Spanien nicht nachhaltig. Die Schulden können nicht zur Gänze zurückgezahlt werden, nicht nur von Griechenland nicht. Das bedeutet schmerzhafte Verhandlungen. Die deutsche Position hinter verschlossenen Türen ist: Okay, wir schreiben die Schulden ab, aber ihr bietet uns ein System an, dass die alten nicht durch neue Schulden ersetzt werden, für die wir wieder zahlen müssen, Wir möchten eine gewisse Kontrolle haben. Sie suchen nach Wegen, wie man das hinkriegt, ohne einen neuen Vertrag machen zu müssen. Ob sie nun damit glücklich sind oder nicht. Je schneller man das kapiert, desto schneller kann man wieder wachsen. Derzeit ist es grimmig in der Eurozone.

Standard: Rechnen Sie heuer mit einer Rezession in der Eurozone?

Rogoff: Ich würde Nullwachstum sagen. Die Aussichten für 2014 sind ziemlich optimistisch. Wenn man ein Wachstum von 1, 2 Prozent hat, ist das nicht der Anfang vom Ende. Die Muster sind vergleichbar mit Japan, in einigen Jahren hat man eine milde Rezession, in einigen leichtes Wachstum. Europa wird das für 15 Jahre haben, außer es gibt dramatische Veränderungen. Japan war 20 Jahre in der Lage. Um dem zu entkommen, müsste Europa alle Schulden abschreiben, was Japan nie getan hat.

Standard: Warum muss man sich über die amerikanischen Rekordschulden Sorgen machen?

Rogoff: Wie in Europa gibt es Uneinigkeit über den weiteren Weg: Welche Rolle soll die Regierung spielen, wie hoch sollen die Steuern sein? Die Demokraten wollen im Gegensatz zu den Republikern die Militärausgaben kürzen und mehr für Sozialprogramme ausgehen. Einige Differenzen werden schnell gelöst werden. Aber die philosophischen Unterschiede sind gravierend. In einer solchen Situation, in der beide Seiten nicht übereinstimmen, häuft man Defizite an. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD; 26.1.2013)