Bertrand Perz: "Verwaltete Gewalt - Der Tätigkeitsbericht des Verwaltungsführers im Konzentrationslager Mauthausen 1941 bis 1944"
Mauthausen-Studien, Schriftenreihe der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Band 8
308 Seiten, 18,40 Euro

Foto: Mauthausen-Studien

Wien - 27. Februar 1943: Das Konzentrationslager Mauthausen bekommt 16.213 Unterhosen aus der "Altbekleidung Ost" zugewiesen. Das notierte der Verwaltungsführer des Lagers penibel in seinem Logbuch. Hinter dieser kurzen und nüchternen Eintragung verberge sich jedoch die "Monstrosität des Geschehens im Verwaltungsalltag", erklärte Bertrand Perz, Zeithistoriker an der Universität Wien. Perz hat den Verwaltungsführerbericht des Lagers aufgearbeitet und mit Hintergrundinformationen versehen. Die kommentierte Edition des Berichtes unter dem Titel "Verwaltete Gewalt" wird Dienstag Abend im Innenministerium in Wien präsentiert.

Wie monströs dieser kurze Eintrag tatsächlich ist, zeigt die Geschichte dahinter: Die SS verfügte wegen rapide steigender Häftlingszahlen und kriegsbedingten Mangelerscheinungen nicht mehr über ausreichend Bekleidung für die Gefangenen. Daher wurde auf die "Altbekleidung Ost" zurückgegriffen, Kleidung ermordeter Juden aus den NS-Vernichtungslagern in Polen.

Lebensmittelbestellungen, Angorahasenzucht, Distribution von Kleidung und Kassaführung, aber eben auch der Ankauf des Giftgases Zyklon B: Die Verwaltung des KZ Mauthausen habe sich nicht grundsätzlich von modernen Verwaltungen unterschieden, so Perz. "Für den Betrieb moderner Lager war eine Verwaltung Voraussetzung, die moderne bürokratische Techniken beherrschte", meinte der Zeithistoriker. Tatsächlich seien die Verwaltungsführer meist Leute mit kaufmännischer Ausbildung oder Buchhalterkenntnissen gewesen, sie mussten Angebote einholen, Magazine verwalten und Verträge aushandeln.

Egal ob Gläsereinkauf oder der Besuch eines hochrangigen SS-Funktionärs wie Ernst Kaltenbrunner, penibel wurde jedes Vorkommnis vermerkt. In der editierten Version erklärt Perz Begrifflichkeiten, liefert die historischen Hintergründe und stellt sie den Eintragungen gegenüber. Damit will er die Quelle auch für Laien erschließen. Am 7. Mai 1942, dem Tag, an dem Kaltenbrunner das Lager besuchte, seien etwa auch 70 Häftlinge erschossen worden. Darüber schweigt der Bericht. Die Anzahl der Besuche in den über 400 Eintragungen ist jedoch groß, hier sei Proponenten des Regimes die nationalsozialistische Verwaltungs- und Ordnungspolitik vorgeführt worden, meinte der Historiker.

Einziger erhaltener KZ-Verwaltungsführerbericht

Die Vermerke erstrecken sich über die Jahre 1941-44, es ist der einzige erhalten gebliebene Verwaltungsführerbericht eines Konzentrationslagers. "In den Erzählungen von Überlebenden finden sich kaum Hinweise auf Verwaltungsführer oder generell die Verwaltung in den Lagern, da sie in der Regel keine direkte Gewalt ausübten", erklärte Perz. Auch deshalb sei dieser Aspekt in der Geschichtsforschung lange nicht beleuchtet worden, auch wenn der Verwaltungsapparat bei Weitem nicht klein gewesen sei. Vom Ankauf von Hitlerbildern bis zur Gebäudeverwaltung waren bis zu 50 Personen, sowohl Zivilangestellte als auch SS-Männer, beschäftigt. Der aufgearbeitete Bericht ermögliche nun einerseits einen Blick auf die weniger beachtete "Täterperspektive" und liefere andererseits ansonsten unzugängliche Informationen.

Der Verwaltungsführer sei auf der Ebene des Lagers eine ganz zentrale Person gewesen, "deren Handeln auch direkt über die Lebens- und Existenzbedingungen der Häftlinge entschied", so der Historiker. Er verfügte über eine Riesenlogistik im Hintergrund, für Zehntausende Häftlinge und mehre tausend SS-Angehörige gab es etwa Halbjahresanlieferungen von vier Millionen Kilogramm Kartoffeln, über deren Verteilung letztlich die Verwaltung entschied. Hier gab es im Rahmen des Lagers große Handlungsspielräume. Es zeige sich auch besonders deutlich die Erbarmungslosigkeit der Verwaltung sowie der direkte Einfluss auf das Überleben jedes Einzelnen, erklärte Perz. Obwohl in den letzten sechs Monaten vor Kriegsende etwa 40.000 Häftlinge in Mauthausen und seinen Außenlagern an Hunger und Folgekrankheiten starben, wurde bei der Befreiung des Lagers ein Kartoffelvorrat für mehrere weitere Monate entdeckt. (APA, 29.01.2013)