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Die Europäische Blutallianz und die Europäische Direktion für die Qualität von Arzneimitteln und Health Care stufen homo- und bisexuelle Männer als besondere Risikogruppe ein.

Foto: APA/Michael Reichel

In Österreich leben geschätzte 420.000 Männer, die Sex mit Männern haben, kurz: MSM. Davon geht die Blutspendezentrale des Österreichischen Roten Kreuzes für Wien, Niederösterreich und das Burgenland aus. Diese sind dauerhaft vom Blutspenden ausgeschlossen.

Infektionen von MSM würden in den letzten Jahren zwar abnehmen, dennoch sei das Risiko einer Infektion mit dem HI-Virus bis zu 100-mal höher als in der heterosexuellen Bevölkerungsgruppe, besagt eine Studie des deutschen Robert-Koch-Instituts.

Pauschaler Ausschluss umstritten

Den pauschalen Ausschluss von MSM von der Blutspende stellen verschiedene Verbände infrage oder empfinden ihn als Diskriminierung. Die deutsche Initiative "Schwules Blut" setzt sich dafür ein, dass homosexuelle Männer nicht mehr kategorisch als Risikogruppe von der Blutspende ausgeschlossen werden: "Gegen die Generalisierung schwuler und bisexueller Männer - für die Sicherheit aller Empfänger", heißt es auf der Website schwulesblut.de.

Die Argumente: "Nur ein Prozent aller homo- beziehungsweise bisexuellen Männer haben tatsächlich eine HIV-Infektion. Rund die Hälfte aller homo- beziehungsweise bisexuellen Männer leben in einer festen Partnerschaft ohne ständig wechselnde Sexpartner. Mehr als 70 Prozent aller homo- beziehungsweise bisexuellen Männer mit wechselnden Geschlechtspartnern haben ausschließlich Safer Sex mit Kondom, sind von einem Infektionsrisiko praktisch ausgeschlossen."

Zwei Vorfälle in den späten 1990er Jahren

Eva Menichetti, medizinische Leiterin der Blutspendezentrale mit Sitz in Wien-Wieden, erklärt: "Bei der Zulassung der Spender haben wir uns an die österreichischen Gesetze zu halten." Personen mit einem dauernden Risikoverhalten für eine Infektion mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV und Hepatitis B müssten von der Blutspende ausgeschlossen werden. Und die Europäische Blutallianz und die Europäische Direktion für die Qualität von Arzneimitteln und Health Care stufen homo- und bisexuelle Männer als besondere Risikogruppe ein. "Im Blutspendewesen orientieren wir uns an diesen Empfehlungen, weil die Sicherheit des Patienten allerhöchste Priorität hat", so Menichetti.

Als Aids in der frühen 1980er Jahren als eigenständige Erkrankung erkannt und der HI-Virus entdeckt wurde, wurden homosexuelle Männer österreichweit vom Blutspenden ausgeschlossen. So strikt wie heute wurde der Ausschluss allerdings nicht gehandhabt. Bei Männern, die im ärztlichen Gespräch im Vorfeld der Blutspende angaben, in monogamen Beziehungen zu leben beziehungsweise Safer Sex zu praktizieren, wurden Ausnahmen gemacht. Bis 1998 ein Patient durch eine Blutkonserve mit HIV infiziert wurde. Das Blut stammte von einem homosexuellen Spender. Ein zweiter Vorfall mit gleichem Hintergrund ereignete sich in Tirol. "Seit diesem Vorfall schließt die Blutspendezentrale MSM ganz strikt vom Blutspenden aus", sagt Menichetti.

Natürlich verstehe man die Enttäuschung homosexueller Männer, nicht Blutspenden zu dürfen. "Der Ausschluss erfolgt aufgrund medizinischer, nicht aufgrund gesellschaftspolitischer Kriterien und hat daher nichts mit Homophobie zu tun", betont Menichetti. So dürften lesbische Frauen Blut spenden, weil dazu keine Infektionsdaten aufliegen würden.

Aids Hilfe: Nicht ausreichend valide Daten vorhanden

Philipp Dirnberger, Geschäftsführer der Aids Hilfe Wien, bezieht Stellung: "Man muss zwischen Risikogruppe und Risikoverhalten unterscheiden", sagt er. "Homosexuell zu sein bedeutet nicht automatisch ein prinzipiell höheres Risiko für jeden Einzelnen, sich oder andere mit dem HI-Virus zu infizieren." Statistisch betrachtet sei das Infektionsrisiko in der Gesamtheit aller MSM allerdings weit höher als bei Heterosexuellen.

Konkrete Risikoberechnungen kann und will Dirnberger nicht interpretieren: "Es sind nicht ausreichend valide Daten zur Epidemiologie und zum individuellen Verhalten bekannt." Schätzungen in diesem Zusammenhang erachtet er daher als nur bedingt aussagekräftig. Unabhängig von der sexuellen Orientierung sei der einzige verlässliche Schutz gegen eine HIV-Infektion, Safer Sex zu praktizieren.

Doch auch homosexuelle Männer, die geschützten Verkehr praktizieren, schließt die Blutspendezentrale vorsichtshalber vom Blutspenden aus. Das Kondom biete keine hundertprozentige Sicherheit und MSM würden neben HIV auch ein hohes Risiko für andere sexuell übertragbare Krankheiten wie Hepatitis B, C oder Syphilis aufweisen, lautet die Begründung. Für die Sicherheit der Patienten sei entscheidend, jedes noch so kleine Risiko so rasch wie möglich zu erkennen und alles zu tun, um Blutkonserven noch sicherer zu machen.

Fragebogen zur Blutsicherheit

Eine Begründung für all diese Vorsichtsmaßnahmen findet sich in der Studie "HIV/AIDS in Österreich" aus dem Jahr 2009. Danach entfallen 42 Prozent der neu diagnostizierten HIV-Fälle in Österreich auf homosexuelle, 43 Prozent auf heterosexuelle Kontakte. Natürlich ist die Prävalenz in der jeweiligen Population entscheidend: "Es macht einen großen Unterschied, ob sich die nahezu gleiche Anzahl an Infektionen auf eine Grundgesamtheit von schätzungsweise fünf Prozent (MSM) oder 95 Prozent (heterosexuelle Bevölkerung) bezieht", sagt Eva Menichetti.

Potenzielle Risiken beim Blutspenden gilt es mit ehrlichen Angaben zu intimen Fragen zu vermeiden. Im Vorfeld jeder Blutspende muss ein Fragebogen ausgefüllt werden, das Ende der Befragung steht im Zeichen des individuellen Sexuallebens. "Neben der intensiven Testung von Blutkonserven ist der Fragebogen das wichtigste Instrument zur Gewährleistung der Blutsicherheit", erklärt Menichetti - vor allem im Hinblick auf das Zeitfenster zwischen einer Infektion mit dem HI-Virus und dessen Nachweisbarkeit.

Denn trotz modernster PCR-Testung (Polymerase Chain Reaction, Technik zur Vervielfältigung von DNA) bleibt ein Restrisiko bei der Diagnostik von HIV, erst nach etwa zehn Tagen kann man mit Sicherheit sagen, dass keine Infektion vorliegt.

"Man kann nicht unter die Bettdecke schauen"

"Bei einer HIV-Infektion geht es immer um einen vermuteten Übertragungsweg. Man kann nicht unter die Bettdecke schauen", sagt Dirnberger. Mehrere Ereignisse könnten die Infektion ausgelöst haben, der Betroffene würde aber vielleicht nur eines nennen.

Ein homosexueller Mann verschweige eventuell, sich über den sexuellen Kontakt mit einem anderen Mann infiziert zu haben, und vielen Betroffenen sei der Übertragungsweg gar unbekannt. "Ich denke, dass man den Fragebogen in der bestehenden Form nicht als einziges Instrument vor einer Blutspende nützen sollte, um auf die Verantwortung des Spenders hinzuweisen", betont Dirnberger.

Der Leiter der Aids Hilfe Wien schlägt neben einer Überarbeitung des Fragebogens, aus dem diskriminierende Formulierungen entfernt werden sollten, begleitende Maßnahmen vor: Im Rahmen eines individuellen Analysegespräches - vor allem für Erstspender - solle das Verschweigen von Risikoverhalten erörtert und über medizinische, rechtliche sowie ethische Konsequenzen einer HIV-Übertragung aufgeklärt werden. Jeder Erstspender solle unterschreiben, dass er um die Konsequenzen nicht korrekt beantworteter Fragen weiß.

Die Blutspende ist kein HIV-Test

Da hinter dem Willen, Blut zu spenden, nicht selten der Wunsch nach einem anonymen HIV-Test steht, setzt sich Dirnberger auch für eine stärkere Propagierung des Selbstausschlusses ein: "Wer den Fragebogen nicht wahrheitsgemäß beantwortet, kann am Ende ankreuzen, dass die Blutspende von der weiteren Verwendung auszuschließen ist. Würde man das vermehrt kommunizieren, wäre das Risiko, dass potenziell kontaminiertes Blut an einen Spender kommt, weiter reduziert."

Vor allem aber appelliert er für mehr Aufklärung: Jeder potenzielle Blutspender sollte über Möglichkeiten von anonymen HIV-Tests aufgeklärt werden und Informationen über regionale Test- und Beratungseinrichtungen erhalten. Vor allem im ländlichen Raum seien diese jedoch nicht flächendeckend möglich.

Viele Menschen wüssten nicht, dass ein anonymer Test auch in einem Labor möglich sei. Dirnberger: "Die Blutspende darf im Sinne der Sicherheit für die Empfänger niemals missbräuchlich als HIV-Test genutzt werden." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 31.1.2013)