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Für Jugendliche ist es in Österreich nicht schwer, Geld in Glücksspielautomaten zu werfen. (Symbolbild)

Foto: AP Photo/Jens Meyer

Ein zwölfjähriges Kind berichtet von der Spielsucht des Vaters.

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Bereits mit 16 Jahren wurde ein anderer, heute 24-Jähriger süchtig.

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Bennis* Augen werden starr, während seine rechte Hand fast pausenlos auf den großen Knopf einhämmert. Die exakten Spielregeln des Automaten kennt er nicht. Das ist aber auch nicht wichtig, er wartet nur darauf, dass gleiche Symbole in einer Linie aufblinken, die richtigen Karten im Bonusspiel erscheinen. Dabei schwindet jede Sekunde sein Guthaben, das auf dem linken unteren Bildschirmrand eingeblendet ist. In zehn Minuten sind 40 Euro verspielt. 

Dabei hatte Benni seinen Einsatz nach zwei Minuten bereits verdoppelt. "Ich wollte mehr gewinnen, da kann man doch nicht aufhören", sagt der 17-Jährige und grinst, als er aus einem Wiener Wettbüro tritt. Während er sich eine Zigarette anzündet, deutet er auf das Schild neben dem Eingang: "Zutritt für unter 18-Jährige verboten". Kontrolliert wurde er laut eigenen Angaben in den vergangenen Jahren fast nie. Fünftausend Euro soll ihn seine Sucht schon gekostet haben: "Hast du verloren, dann willst du es zurückhaben. Auch wenn du weißt, dass das nicht geht."

200.000 Euro Schulden

Benni ist mit zwei Freunden unterwegs, auch die beiden sind minderjährig. Bekommen die Jugendlichen ihr Gehalt ausbezahlt, füttern sie mit einem Großteil davon die Glücksspielautomaten der Wettbüros und -cafes. Vor rund einem Monat hat sie Markus Lechner angesprochen. Der 30-Jährige ist Jugendverantwortlicher des Österreichischen Hilfsvereins für Spielsüchtige. Er selbst war seit seinem 15. Lebensjahr spielsüchtig und verlor laut eigenen Angaben etwa 200.000 Euro. Vor einem halben Jahr schaffte er den Ausstieg und kämpft seither für einen besseren Jugendschutz beim Automatenglücksspiel. 

Mit den drei jungen Burschen will er beweisen, wie einfach es ist, sich ohne Ausweiskontrolle dem "Kleinen Glücksspiel" hinzugeben. In 15 Wiener Lokale schickte er inzwischen die Minderjährigen, die mit einer kleinen Kamera an der Jacke ausgerüstet sind. Erst dreimal wurden sie nach ihrem Alter gefragt.

Einmal davon Mitte Dezember allerdings erst, als es um die Auszahlung des Gewinnes ging: "Die Burschen wollten sich 20 Euro auszahlen lassen. Sie bekamen das Geld aber nicht, weil der Mitarbeiter am Tresen plötzlich einen Ausweis sehen wollte", erzählt Lechner. Zuvor konnten sie ohne Kontrolle ihr Geld verspielen.

Familien leiden unter Sucht

Mit ihrer Sucht sind die drei Freunde nicht alleine: Schätzungen gehen von bis zu 250.000 Spielsüchtigen in Österreich aus. Die Dunkelziffer soll höher liegen. Die Bürgerinitiative "Stoppt Kleines Glücksspiel" berät seit rund zwei Jahren Spielsüchtige über ihre Rechte und Möglichkeiten. Ihr Gründer Günther Wanker verspielte selbst mehrere tausend Euro an Glücksspielautomaten. Er möchte vor allem auf die Auswirkungen von Spielsucht auf die Familie und das Berufsleben der Betroffenen aufmerksam machen. 

Zu diesem Zweck sammelt er Erlebnisberichte von Süchtigen und ihren Angehörigen. So erzählt ein zwölfjähriges Kind in einem Aufsatz (siehe Faksimile links) von Streits zwischen den Eltern, vom fehlenden Geld, den Tränen der Mutter und dass es noch nie im Kino war. Ein 24-Jähriger berichtet, dass er bereits mit 16 Jahren mit dem Glücksspiel begonnen hatte. Binnen kurzer Zeit häufte sich ein Berg von Schulden an. Er dachte an Selbstmord, verlor seine Freunde und seine Beziehung. 

So fühlte sich auch Jugendbetreuer Lechner, der Minderjährige nun vor einem ähnlichen Schicksal bewahren will. Als ihm die Schulden über den Kopf wuchsen, versuchte er ebenfalls, sich das Leben zu nehmen. "Es kam schon vor, dass ich innerhalb von nur zwei Stunden rund 2.500 Euro verspielt habe", erzählt Lechner. Es folgte eine Therapie, Schuldnerberatung und schließlich der Ausstieg aus der Sucht.

Kleines Glücksspiel als Einstieg in die Sucht

Für Bettina Quantschnig, psychologische Leiterin der Spielsuchtambulanz am Kärntner Krankenhaus de la Tour, ist vor allem das Kleine Glücksspiel dafür verantwortlich, dass Jugendliche süchtig werden. Der Schutz durch die Gesetze in den einzelnen Bundesländer sei viel zu gering. "Bis 1997 etwa war das Kleine Glücksspiel in Kärnten komplett verboten. Dann hat man es erlaubt und eine große Chance zum Jugendschutz vertan." Zwar seien Alterskontrollen seit der Legalisierung gesetzlich vorgeschrieben, doch "das funktioniert schon beim Alkoholverkauf nicht. Wieso sollte das dann beim Glücksspiel funktionieren?"

Auch Peter Pilz, Nationalratsabgeordneter der Grünen, hat sich dem Kampf gegen das Glücksspiel verschrieben. In seinem "Schwarzbuch Kleines Glücksspiel" zitiert er alarmierende Zahlen der Suchtambulanz in Kärnten. Die Daten besagen, dass vor der Legalisierung des Kleinen Glücksspiels weniger als ein Prozent aller Patienten der Ambulanz spielsüchtig waren. In den Jahren nach der Freigabe stieg diese Zahl auf rund 15 Prozent.

Beschaffungskriminalität

Für Süchtige drehe sich alles im Leben nur noch um das Spielen und um die Beschaffung von Geld für ihre Sucht, sagt Bettina Quantschnig: "Das hat oft fatale Auswirkungen auf die Familien, die dadurch in ihrer Existenz bedroht werden." Viele Betroffene führe die Spielsucht auch in die Kriminalität. Laut Angaben der Justizanstalt Gerasdorf in Niederösterreich waren dort 2011 mehr als die Hälfte der Jugendlichen aufgrund von "Beschaffungskriminalität" wegen Glücksspielsucht inhaftiert - womit Drogensucht als Hauptursache überholt wurde.

Insgesamt gehen verschiedene Studien davon aus, dass jeder fünfte Spielsüchtige auch Straftaten begeht. In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass 91 Prozent der verurteilten Spieler nach  Automatenspiel süchtig sind.

Vorbild Deutschland

Ein komplettes Verbot des Kleinen Glücksspiels fordert auch die Bürgerinitiative von Günther Wanker. Wichtig ist ihm aber vor allem, dass die Automaten aus Kaffeehäusern, Bars und Tankstellen verschwinden. Außerdem sollte sich der Staat ein Vorbild am deutschen Glücksspielgesetz nehmen.

Dort ist festgelegt, dass ein Spieler an einem Automaten im Schnitt maximal 33 Euro verlieren beziehungsweise die Gewinnsumme 500 Euro nicht überschreiten darf. In Österreich gibt es ein solches Verlustlimit nicht. Zwar muss sich ein Automat nach maximal zwei Stunden abschalten, damit der Spieler eine "Abkühlphase" erhält. Es ist aber möglich, sofort am benachbarten Automaten weiterzuspielen. Die gesetzlich erlaubte Maximal-Gewinnsumme liegt in Österreich bei 10.000 Euro - ein Zeitrahmen dafür ist nicht festgelegt.

Schadenersatz verjährt nicht mehr

Seit dem Jahr 2007 gibt es jedenfalls keinen Verjährungszeitraum für Schadenersatzforderungen von Spielsüchtigen mehr. Das neue Glücksspielgesetz des Bundes sieht auch "die Einrichtung eines Warnsystems mit abgestuften Spielerschutzmaßnahmen von der Spielerinformation bis zur Spielersperre" vor. Weil für die Umsetzung die Bundesländer zuständig sind, ist es bis dato allerdings nur in Niederösterreich legal möglich, sich selbst sperren zu lassen. In Wien etwa wurden Sperren abgewiesen, da es "keine gesetzliche Grundlage" dafür gebe.

Um den aufgrund ihrer Sucht entstandenen finanziellen Schaden einzufordern, wurde in der vergangenen Woche eine Sammelklage gegen den Glücksspielautomaten-Hersteller Novomatic eingereicht, die derStandard.at vorliegt. Vorbereitet hat die Klage Thomas Sochowsky, der früher selbst in der Glücksspielbranche tätig war. Laut seinen Angaben haben sich bisher rund 170 Spielsüchtige den Forderungen angeschlossen. 

Beweise für die Sucht

Auch Markus Lechner will auf diese Weise seine 200.000 Euro wieder zurückbekommen. Zuvor muss er allerdings nachweisen, dass er das Geld beim Glücksspiel verloren hat. Das funktioniert laut Sochowsky mittels Fragebogen, mit dessen Hilfe festgestellt wird, ob der Betroffene tatsächlich Spieler war. Außerdem können hohe Abhebungen am Bankomaten ein Hinweis auf Spielsucht sein.

Die drei Jugendlichen, die Lechner betreut, wollen sich der Klage ebenso anschließen. Bereitwillig stecken sie die Fragebögen ein. Mit dem Spielen aufhören wollen sie allerdings noch nicht: "Es macht einfach zu viel Spaß zu gewinnen", sagt Benni, verschwindet hinter der getönten Glasscheibe und beginnt erneut den blinkenden Knopf zu drücken. (Bianca Blei, derStandard.at, 31.1.2013)