Migrationshintergrund, Ausländer, Nicht-Deutsch-Muttersprachler: Sich im Dickicht der Bezeichnungen für "die anderen" zurechtzufinden kann schwierig sein. Es gibt einen weiteren Verlegenheitsbegriff in der Migrationsdebatte, der dabei nicht zu vergessen ist: die Ethnie. Von multiethnischer Gesellschaft wird da etwa gesprochen, selbst ernannte Ethno-Medien gedeihen in der Medienlandschaft, und das sogenannte Ethno-Marketing - gezieltes Marketing für verschiedene (Unter-)Gruppen von Österreichs vielfältiger Gesellschaft - wird entdeckt.

Was genau eine Ethnie ist und nach welchen Kriterien jemand dazugehört oder nicht, ist aber unklar - besonders im medialen und alltäglichen Gebrauch. Die dazugehörige Wissenschaft, die Ethnologie, kennt da schon verschiedene konkretere Ansätze, doch wie so oft ist der wissenschaftliche Diskurs nicht der alltägliche.

Im Grunde ist es die Selbstzuschreibung, die eine Ethnie oder ethnische Zugehörigkeit bestimmt: Jemand ist ethnisch gesehen dies oder jenes, je nachdem, ob er sich selbst als solcher oder jener deklariert und zugehörig fühlt. Natürlich gibt es Umstände wie Religion, Sprache, Geschichte und dergleichen, die eine solche Selbstkategorisierung ermöglichen und erleichtern, auch für Beobachter nachvollziehbarer machen. Aber Wissenschaftler haben auch schon schlüssig argumentiert, warum die Berufsgruppe der Börsenmakler in London eine eigene Ethnie sein könnte (Abner Cohen beispielsweise - ein Running Gag der Ethnologie). Hier liegt also schon das erste Problem: Sollte man in objektiver Berichterstattung auf solch unsteten, willkürlichen und subjektiven Kategorien zurückgreifen?

Die außenpolitische Berichterstattung (Balkan, Naher Osten) etwa spricht gerne von "ethnischen Gruppen" und "ethnischen Differenzen" und daraus resultierenden Auseinandersetzungen. Dabei wird oft verschleiert oder es verschwimmt, worum es wirklich geht: religiöse, konfessionelle Unterschiede, verschiedene politische Strömungen, Krawalle zwischen gesellschaftlichen Schichten. Auch Heile-Welt-Artikel, die von buntem, aber friedlichem Zusammenleben, -arbeiten oder -lernen trotz ethnischer Unterschiede berichten, meinen oft lediglich Kooperation von Menschen mit verschiedenen Akzenten oder Hautfarben. Also oft ganz oberflächlichen Merkmalen.

Der Begriff Ethnie suggeriert im Alltagsgebrauch, dass es eine tiefere, unsichtbare Verbindung zwischen den Menschen gibt. Eine traditionelle Blutgruppe, die mehr ist als nur eine sprachliche, religiöse, kulturelle, regionale oder geschichtliche Beziehung. Es stinkt nach genetischer Zusammengehörigkeit. Gefährlich ist hier die Botschaft, dass es eine "Volkszugehörigkeit" neben der (zugegeben ebenfalls recht willkürlichen) Staatsbürgerschaft gibt. Denn diese Distinktion führt automatisch zum "Andersmachen" von Menschengruppen.

Nicht in allen Ländern und Sprachgemeinschaften ist der Begriff "Rasse" geschichtlich so aufgeladen und negativ besetzt wie im deutschsprachigen Raum. "Ethnicity" und "Race" können und werden in englischsprachigen Diskursen zu Gesellschaftspolitik und Gleichberechtigung beispielsweise als Synonyme verwendet - was ebenfalls zu denken geben sollte. Ist die Ethnie nur Füllung des sprachlichen Vakuums, das mit dem Verwerfen von "Volk" und "Rasse" entsteht? Und dadurch der Beweis, dass diesem Denken nicht ausgekommen sind?

Es geht hier um eine Benennung "der anderen", über eine Kategorisierung von Menschen(-gruppen) jenseits analytisch nachvollziehbarer Maßstäbe. Mit jedem Begriff, der stirbt, wird ein neuer geboren, um die Unterschiede zwischen Menschen sprachlich fassbar zu machen. Manchmal entstehen diese Begriffe aus Trotz gegen, manchmal unter dem Deckmantel oder der Schirmherrschaft der sogenannten Political Correctness. Doch die meisten dieser Begrifflichkeiten scheitern an der Vielfalt der Menschheit oder gehen daran vorbei. So auch die alltäglich gewordene "Ethnie". Es muss endlich eine rationale Diskussion darüber her, wie wir über Migration und Vielfalt sprechen sollen. (Olja Alvir, daStandard.at, 31.1.2013)