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Der Sonntag wird ein Heuler. Ray Lewis arbeitet an seiner Legende.

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Impuls und Contenance: Zwei Brüder mit ähnlichen Konzepten matchen sich in New Orleans um die Super Bowl Nummer 47.

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Das Drehbuch hat Steven Spielberg offenbar selbst verfasst. Reste aus „Close Encounters of the Third Kind" und „The Color Purple" werden verwertet: Treffen sich zwei Brüder in der Super Bowl und ein ehemals mordverdächtiger Linebacker macht dazu den Titanen als Dauerheulsuse. Schon fertig. J.J. Abrams erledigt den Rest. Da kommt noch ein Dreitagesbart aus dem Off-Off und sagt: „Hey, ich bin der Größte, der das Spiel jemals gespielt hat!". Das bringt auch gleich den zweiten Stern bei der Eigenrezension in der Bewertungskategorie Humor.

Es ist zum 47. Mal Super Bowl-Sunday und, so komisch es klingt, es wird bei der Paarung zum ersten Mal einen Verlierer geben. Denn so oft die beiden in einer Super Bowl standen, gewannen sie diese am Ende dann auch. San Francisco fünf, Baltimore ein Mal. Dass sich das am Sonntag ändern wird ist logisch, außer man glaubt an Regenbogenmaschinen, oder an sich selbst als Muhammad Ali des Footballs. Randy Moss (den gibt es tatsächlich noch und der wird am Sonntag auch spielen), merkte das am Rande der Medienwoche in New Orleans an. Er und kein anderer ist es. Der Größte aller Zeiten. So ist das also.

Nasse Augen

Der seit einigen Wochen sehr nah am Wasser gebaute Ravens Linebacker Ray Lewis, der am Sonntag sein letztes Spiel absolvieren wird, arbeitet derweil weiter eifrig an seiner Legende. Mit nassen Augen wirft er den Medienvertretern knusprige Plattitüden hin, die sie begierig sammeln und verwerten. Es geht ja ums Team und nicht um ihn. Claro que sí. Und das (Team) ist groß, Football generell ist ja schon echt groß, die NFL ist unfassbar groß, die Super Bowl ist größer als groß, Gott ist überhaupt riesig und Ray Lewis darf daher auch größer aussehen, als er das vielleicht tatsächlich ist. Über jüngste Dopingvorwürfe mag er dann nämlich nicht reden. Auch die Sache damals, als zwei junge Männer ums Leben kamen und seine Rolle dabei bis heute recht klar im Unklaren blieb, die lässt ihm ein freundliches aber bestimmtes „Next Question" entfahren.

Lewis ist es wie keinem anderen Spieler in der Liga gelungen, sein ehemals komplett ramponiertes Image zu rekonstruieren. Heute ist er der Geläuterte, ein streng gläubiger Familienmensch (mit sechs Kindern von vier Frauen), der niemals wieder die Polizei bei Ermittlungen behindern oder falsch aussagen würde. Auch Frau Welker sieht das jetzt so.

Erstaunlicher noch als diese Umkehr, die von den Hinterbliebenen der Tragödie nicht gerade mit Wohlwollen betrachtet wird, ist die „Content-Fabrik" Lewis. Inhaltlich spielt sich quantitativ enorm viel ab, qualitativ befindet sich die Sache aber auf dem intellektuellen Niveau einer aggressiven Putzmittelwerbung. Über das sportliche Erbe des Verteidigers besteht derweil kein Zweifel. Der Mann gehört zu den Besten, die in der Liga jemals gespielt haben. Warum die mediale Welt aber in den „Uga Aga"-Lautmalerein und stilsicheren Tanzeinlagen tiefgreifende Reflexion sucht, das ist doch ein Phänomen. Die gibt es nämlich nicht. Man kann Lewis stundenlang beim Reden zuhören, am Ende ist man nicht schlauer als vorher. Seine Jugendgeschichte, mit dem Vater, der nie einer war, mag einem gut behüteten Gymnasiasten in Bad Gastein ganz wild vorkommen, sie ist aber, dort wo Lewis aufwuchs, nicht wirklich ungewöhnlich. Zum Spiel selbst fallen Floskeln satt und in beliebiger Abfolge „Yeah!", „Let's Go!", „Man!" und überhaupt gehört mehr gegrunzt. Philosophisch versteht sich.

Diese Typen, Brüder

Die Gebrüder Harbaugh schreiben Märchen. Überhaupt der Jüngere der beiden. Als Held der Universität Stanford, die er 2010 mit Andrew Luck in die Orange Bowl führte und gegen Virgina Tech klar gewann, übernahm Jim Harbaugh 2011 die damals schon längst chronisch maroden und von Mike Singletary ins Land der Lächerlichkeit gecoachten San Francisco 49ers und gab ihnen zurück, was sie Mitte der 90er-Jahre irgendwo verloren hatten: Ihr Gesicht. Schon im Vorjahr war die Handschrift des oft als zu ehrgeizig beschrieben Trainers erkennbar und der Einzug in das Endspiel zum knien nahe. Heuer ist es soweit und das ist natürlich alles kein Zufall. Der ehemalige First Round-Pick der Chicago Bears war 15 Saisonen lang Quarterback in der NFL. Nach Chicago waren seinen Stationen Indianapolis, Baltimore und San Diego. Am Ende seiner Laufbahn trug er den Spitznamen „Captain Comeback", konnte diesen aber weder bei Detroit noch bei Carolina mehr unter Beweis stellen. Seine aktive Zeit als Spieler lässt sich mit 140 Starts, 2,305 von 3,918 Pässen für 26,288 Yards und 129 Touchdowns durchaus sehen, auch wenn er nun als Coach noch wesentlich erfolgreicher agiert - er kennt die Liga in- und auswendig. Und natürlich gibt es auch hier einen Lewis-Bezug. Der erste Quarterback Sack der #52 passierte am 13. Oktober 1996. An Jim Harbaugh. Man!

Neben Ehrgeiz zeichnet Jim Harbaugh aber auch noch Mut aus. Dass er nach der Genesung des vor der Saison als Starter genannten Alex Smith beim Backup Colin Kaepernick blieb, das hätte durchaus auch ins Auge gehen können. Selbst ein noch rechtzeitiges „Kommando retour" ruft in so einem Fall gleich Zweifler auf den Plan. Man bencht keinen Starter, wenn dieser gut spielt. Und Smith spielte bis zu seiner Gehirnerschütterung sehr ordentlich. Ein Husarenstück mit Happy End für Kaepernick und Harbaugh, denn egal wie das Spiel am Sonntag ausgehen wird, der Coach steht heute als Mann da, der nicht nur mutige, sondern gleichzeitig auch weise Entscheidungen trifft. So ein Standing hat dann erst viel Wert, wenn es mal nicht läuft. Harbaugh würde sich 2013 auch eine schwächere Saison aus heutiger Sicht leisten können, ohne gleich in Frage gestellt zu werden.

Der etwas mehr als ein Jahr ältere John hat zwar keine NFL-Erfahrung als Spieler, ist als Coach aber bereits eine fixe Größe in der NFL. Unter seiner Führung haben die Ravens kein einziges Mal die Playoffs verpasst, je zwei Mal war Endstation im Divisional- bzw. Championship Game. Gegen den eigenen Bruder soll nun die zweite Lombardi-Trophy nach Maryland entführt werden und auch hier steht Lewis als Metapher vorne an: Gebt ihm zum Abschied noch einen Ring mit nach Hause! Yeah! Das hat schon mal funktioniert. Ben Roethlisberger stellte 2006 Jerome „The Bus" Bettis in die Garage von Detroit. Schön war die Geschichte, das Spiel war es nicht.

Die besten Teams

Wie jedes Jahr gibt es (unter Fans der ausgeschiedenen Teams) „besorgte" Debatten darüber, ob denn auch wirklich die beiden besten Mannschaften sich in der Super Bowl gegenüber stehen. Im Falle der 49ers, die während der Saison nur ganz selten nicht wie Champions aussahen und die im Conference Final Atlanta wieder zu Atlanta machten, ist diese nicht so heiß. Green Bay hat sein Fett direkt vom Lieferanten abbekommen und die Falcons waren halt wieder nur eine Halbzeit anwesend. San Francisco stellt das beste Footballteam 2012/2013 in der NFC. Darüber herrscht weitgehend ein Konsens.

Bei Baltimore wird ein wenig herum gedruckst. Ja, die Patriots-Liebhaber sind halt ein wenig angebissen. Die Memes des im Sitzen schmollenden Tom Bündchen schmerzen. Dann geht doch weg von facebook für zwei Wochen! Sie sollten überhaupt nur auf das eigene Team sauer sein und nicht heute noch auf eine Saisonniederlage der Ravens gegen Philadelphia deuten, die wirklich niemanden mehr interessiert. „It's not how you start, it's how you finish". Wie bei einer Fussball WM gibt es nach dem Grunddurchgang einfach ein Playoff. Ins Endspiel kommen die zwei besten Teams in dieser bestimmenden und wichtigen Phase des Bewerbs. Baltimore hat Indianapolis, Denver und New England eliminiert. Es gibt dazu einfach keine offenen Fragen. Joe Flacco spielte besser, Peyton Manning schlechter und Tom Brady viel schlechter als erwartet. Und das hängt immer auch stark vom Gegner ab. Baltimores Defense, vielleicht nicht mehr so knackig wie noch vor einigen Jahren, ist immer noch ein Problemfall für den Gegner. Im Playoff ließ sie gerade vier Touchdowns zu, drei davon gegen Denver, das sich lange Zeit in Sicherheit wähnte. Colts/Luck? Kein TD. Patriots/Brady? Einer. Versuche den Ravens den Nummer 1-Status der AFC nachträglich wegen Vorlasten abzuerkennen, können nur Beleidigungen des eigenen Egos zu Grunde liegen. Baltimore steht verdient im Super Bowl XLVII. Get over it! Erst dann kann man das Spiel am Sonntag auch genießen. Dafür ist das Ganze auch da: For Our Pleasure. Entspannt euch.

Die Super Bowl im TV: Buschi, Papa und Puls 4

Wer nicht das Spiel auf einer der mittlerweile zahlreichen Super Bowl Partys verfolgt (eine Liste gibt es hier), der hat am Sonntag, je nach Heimausstattung, vier Optionen die Partie im TV zu verfolgen. Die Qual der Wahl sozusagen und nicht wenige werden wohl zappen.

Auf sat1 kommentiert Frank Buschmann das Spiel. Der deftige Versprecher des zweiten Kommentators Jan Stecker aus dem Jahr 2012 kann sich nicht wiederholen, ist Sebastian Vollmer heuer auch nur Zuseher.

PULS 4 beginnt den Abend schon um 23:15 Uhr. Live-Publikum und eine Abordnung des US Marine Corps säumen im PULS 4 Center in Neu Marx die Runde von Moderator Christian Nehiba, dazu gibt es Auftritte der „First European Pep Band" und der „Milleniumdancers". Live Schaltungen zu Phillip Hajzan nach New Orleans so wie zu den großen Super Bowl Partys des Landes sind obligat. Das Spiel wird zum dritten Mal in Folge von Michael Eschlböck und mir kommentiert. Wir gehen davon aus, dass es warm genug ist, so die Bilder nicht einfrieren mögen.

Im Bezahl-TV werden Sport 1+ und ESPN America die Partie übertragen. Seit kurzem bin ich begeisterter Besitzer eines Zusatzpakets zum Zusatzpaket, um Sport 1+ tatsächlich sehen zu können und die trauen sich ja wirklich was. Über Black Screens und Testbilder des US-Feeds wird einfach drüber kommentiert, die Conference Finals bekamen so einen ganz eigenen Charme.

ESPN liefert die kompletteste Vor- und Nachberichterstattung, allerdings mit einer nicht ganz unwesentlichen Einschränkung. Anstelle des CBS Original Kommentars von Jim Nantz und Phil Simms wird erneut ein „World Feed" angeboten. Es wird der Giants-Stadionsprecher Bob Papa in diesem zu hören sein. Warum man das ganze Jahr den O-Ton bringt und gerade bei der Super Bowl das Publikum außerhalb der USA mit der zweiten Garnitur beglückt, das konnte ich bislang nicht herausfinden. Es ist jedenfalls betrüblich, denn Papa kommt, trotz Joe Theismann als Color an seiner Seite, nicht an das Original heran.
Wo immer Sie auch sein werden und was immer Sie auch sehen werden, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und eine spannende Sonntagnacht und all jenen, die am Montag arbeiten gehen (so wie ich), einen verständnisvollen Chef und eine funktionierende Espressomaschine.

In eigener Sache darf ich abschließend noch auf NFL-CRUSH hinweisen, wo es am Samstag noch eine Vorschau in bildlicher Form von Marko Markovic und mir geben wird.

SUPER BOWL XLVIII
San Francisco 49ers vs. Baltimore Ravens
3. Februar 2013 00:30 Uhr, Mercedes Superdome New Orleans/LA

NFL CONFERENCE FINALS
New England Patriots vs. Baltimore Ravens 13:28
Atlanta Falcons vs. San Francisco 49ers 24:28

Tabellen der Conferences
Playoff-Bild