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Steve Jobs: "Leute, die Pornos wollen, sollen sich ein Android-Phone kaufen"

Foto: APA

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So weltoffen und freundlich sich US-Konzerne wie Amazon, Google oder Apple dem Kunden auch präsentieren: wenn es um die Zensur von polarisierenden Inhalten geht, zeigen sich allesamt nicht gerade zimperlich. Vor allem Apple gerät immer wieder aufgrund überzogener Reaktionen ins mediale Kreuzfeuer - jüngst aufgrund der Verbannung der App „500px", die nach einigen Änderungen nun aber wieder im App Store zu finden ist. Die Grenzen zwischen nachvollziehbarer Qualitätssicherung und blanker Zensur verschwimmen beim iPhone-Hersteller aus dem sonnigen Cupertino aber immer wieder. Handelt es sich hier um unglücklich zustande gekommene Einzelfälle oder ist willkürliche Zensur symptomatisch für das prüde Weltbild amerikanischer IT-Unternehmen?

Qualitätssicherung oder Zensur?

Apple fährt bei kontroversen Inhalten eine Null-Toleranz-Politik, ganz im Sinne des im Oktober 2011 verstorbenen Firmengründers Steve Jobs. Dieser ordnete bekanntlich nicht nur Ideen, Mitarbeiter und Produkte seinem dichotomischen Weltbild bestehend aus "shit" und "brilliant" zu, sondern wandte diese Standards offenbar auch bei den Kriterien für die Freigabe beziehungsweise Zensur von Inhalten in Apples digitalem Ökosystem an.

Im Gegensatz zu Googles Play Store wird jede einzelne App, die im App Store landet, von Apple in einer Art Aufnahmeverfahren überprüft. Im Zuge der von Apple definierten „App Review Guidelines" müssen eine ganze Reihe von Kriterien eingehalten werden. Der Grund für die Ablehnung einer App wird von Apple den Entwicklern mitgeteilt, diese dürfen die Mitteilung aber nicht veröffentlichen. Zu den Punkten, die es zu beachten gibt, zählen etwa ein ansprechendes Design der Benutzeroberfläche, außerdem sollten auch Funktionalität und Inhalt den Ansprüchen von Apple genügen. Letzterer Punkt bietet jedoch Raum für Interpretation.

Politik und Religion sind tabu

Betrachtet man einige jüngere Beispiele von aus dem App Store geworfenen Apps, so hat Apple nicht nur (verständlicherweise) mit radikalen politischen oder religiösen Positionen ein Problem. Welche Inhalte der Zensur zum Opfer fallen, definiert Apple in den bereits erwähnten „App Review Guidelines" nur schwammig und in betont lockerem Stil: "We view Apps different than books or songs, which we do not curate. If you want to criticize a religion, write a book. If you want to describe sex, write a book or a song, or create a medical app. It can get complicated, but we have decided to not allow certain kinds of content in the App Store."

Im Apple-Dokument zu den Richtlinien der App-Freigabe heißt es weiter: „We will reject Apps for any content or behavior that we believe is over the line. What line, you ask? Well, as a Supreme Court Justice once said, "I'll know it when I see it". And we think that you will also know it when you cross it."

Doch diese Linie, von der hier die Rede ist, ist offensichtlich sehr schnell erreicht, so dass selbst harmlose Satire-Apps abgelehnt oder nachträglich entfernt werden. Zu diesen gehören etwa Apps wie MyShoe, in der der ehemalige US-Präsident George W. Bush mit einem Schuh beworfen werden kann. Apple lehnte die App laut Wired deswegen ab, weil deren Inhalt „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ins Lächerliche" ziehe.

Die von Apple definierte Linie überschreitet offensichtlich auch die App Drone+, die es im August 2012 nicht durch das Aufnahmeverfahren schaffte. Drone+ wurde von Josh Begley, einem Studenten der New York University entwickelt und sollte die vom englischen Guardian veröffentlichte, interaktive Karte zu US-Drohnenangriffen in Pakistan auf iOS-Geräten visualisieren. Wie Begley im Gespräch mit der New York Times erläuterte, war seine App laut Apple nicht „nützlich und unterhaltsam genug", um eine Aufnahme in den AppStore zu rechtfertigen. Nachdem er einige Funktionen - wie etwa Push-Benachrichtungen - hinzugefügt hatte, wurde Drone+ schlussendlich aufgrund von „anstößigem oder geschmacklosem Inhalt" abgelehnt.

Apples Problem mit nackter Haut

Ebenfalls kein Pardon kennt Apple bei nackter Haut. Bereits 2008, zum Start des App Stores, gehörten (vermeintlich) pornografische Inhalte zu den ganz großen No-Gos. Später schafften es zwar immer wieder diverse Schmuddel-Apps mit klingenden Namen wie „Beautiful Boobs" in die Untiefen des digitalen App-Marktplatzes, 2010 begann Apple aber damit, diverse „Porno Apps" aufgrund verschärfter Richtlinien konsequent aus dem App Store zu kicken beziehungsweise erst gar nicht aufzunehmen.

Interessant ist hierbei, dass Apple eine gewisse Doppelmoral walten lässt. Die beiden Bücher des dänischen Autors Peter Övig Knudsen über die dänische Hippiebewegung wurden erst nach der Zensur von Archivfotos nackter Menschen in Apple iBookstore aufgenommen - nur um kurz darauf wieder von Apple-Mitarbeitern entfernt zu werden, da Knudsen mittels Apfelbilder die Bilder zensierte. Apples Verhalten rief sogar den schwedischen Kulturminister auf den Plan, der das Thema auf EU-Ebene thematisieren möchte.

"Leute, die Pornos wollen, sollen sich ein Android-Phone kaufen"

Andererseits werden die Produkte umsatzstarker Verleger von Apples Zensoren verschont. Dazu zählen etwa die digitalen Ausgaben des „Playboy" oder „Sports Illustrated", in denen sich Frauen bekanntermaßen in anzüglicheren Posen präsentieren, als es in Knudsens Hippie-Buch der Fall sein dürfte. Apples Marketing-Chef Phil Schiller hatte bereits 2010 gegenüber der New York Times eine Erklärung für diese Ausnahmen parat. So würde es sich bei „Playboy" und ähnlichen Magazinen um Produkte „bekannter Firmen" handeln, deren „in der Vergangenheit veröffentlichtes Material auf breite Akzeptanz stößt".

Als Jobs im April 2010 direkt auf Apples Rolle als Moralpolizist angesprochen wurde, antwortete er in einer E-Mail trocken: "Wir denken, dass wir eine moralische Verantwortung haben, Pornos vom iPhone fern zu halten". Nur um im nächsten Satz zu einem Frontalangriff gegen die Konkurrenz zu starten: "Leute, die Pornos wollen, sollen sich ein Android-Phone kaufen", so Jobs.

Kritik an Apple ist nicht erwünscht

Während sich die Nicht-Freigabe von so mancher App noch mit Qualitätssicherung oder übertriebener Prüderie erklären lässt, handelt es sich bei folgendem Beispiel tatsächlich um Zensur. Das italienische Künstlerkollektiv respektive Entwicklerstudio Molleindustria veröffentlichte am 2. September 2011 Phone Story im AppStore. Nachdem das Serious Game zunächst durchgewunken wurde, entfernte es Apple vier Tage später wieder (der WebStandard berichtete).
Phone Story zeichnet anhand von vier Mini-Games die Entstehung eines Smartphones nach. Dabei werden die Arbeitsbedingungen in der Produktionskette moderner Elektronikgeräte kritisiert. Konkret geht es in drei der vier Abschnitte um den Abbau von Coltan in der Demokratischen Republik Kongo durch Kinder, um die Suizidrate in chinesischen Foxconn-Fabriken und um das Zerlegen von ausrangiertem Elektronikschrott durch ghanaische ArbeiterInnen. Im dritten - und für Apple wahrscheinlich unliebsamsten Mini-Game - muss man als Mitarbeiter eines mit Birnen-Logo verfremdeten Apple-Stores heranstürmende Kunden durch zuwerfen von Smartphones „abwehren", während der Sprecher im Hintergrund die Marketing-Strategie von Apple und Co. demontiert. Hintergrundinformationen zu den einzelnen Themenbereichen gibt es übrigens auf der Webseite von Phone Story.

Im App Store ist Phone Story nach wie vor nicht zu finden, die vermeintlichen Verstöße gegen Apples Richtlinien sind hier im Detail nachzulesen. Für Android ist das Serious Game im Google Play Store erhältlich, außerdem ist es in einer kostenlosen Flash-Variante auf der Webseite der Entwickler spielbar.

Video:Phone Story : An iPhone educational game. Now banned from the AppStore

Apple ist nicht der einzige Sheriff

Da Apple immer wieder im medialen Rampenlicht steht, gibt es auch entsprechend viele Beispiele für abgelehnte oder nachträglich entfernte Inhalte und Apps. Generell ist Apple aber bei weitem nicht der einzige IT-Konzern, der unliebsame oder kontroverse Inhalte zensiert.

Im in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit erschienen Artikel mit dem Titel Vier Sheriffs zensieren die Welt geht es nicht nur um das Vorgehen von Apple, sondern auch um Amazon, Google und Facebook. Durch die Zensur von eBooks geriet das Online-Versandhaus Amazon schon vielfach in die Kritik. Ende 2012 kamen die Kindle-eReader (inklusive den Tablets der Kindle Fire-Serie) in den USA auf einen Marktanteil von 55 Prozent. Problematisch ist das Ganze vor allem deshalb, weil Amazon - genau wie Apple - auf seinen Geräten ausschließlich die eigenen digitalen Märkte zulässt und Konkurrenzangebote absichtlich aussen vor lässt.

Google kontrolliert den zu Android gehörenden Play Store deutlich weniger restriktiv als etwa Apple, was positive als auch negative Folgen hat, öffnet es doch auch extremen Inhalten Tür und Tor. Auf Android-Geräten ist zudem die Installation alternativer App-Marktplätze erlaubt, weshalb es auch einige Stores für pornografische Inhalte gibt - Steve Jobs „Android is for Porn"-Zitat hat also tatsächlich Relevanz. Auf der anderen knickt Google aber bei Zensurmaßnahmen diktatorischer Regime wie etwa China ein, um die eigenen Onlinedienste vor Verboten zu schützen (der WebStandard berichtete).

Und Facebooks übereifriger Algorithmus zum Erkennen von nackter Haut hat auch schon von sich reden gemacht, etwa als der Ellenbogen einer badenden Frau mit deren Brüsten verwechselt wurde.

Fazit

Apples strenge Richtlinien sind Fluch und Segen zugleich. Im Vergleich zum deutlich weniger stark reglementierten Play Store von Android ist in Apples App Store auf jeden Fall entsprechend weniger Schund zu finden. Das Problem dabei ist nur, dass die Rahmenbedingungen, die Schund zu Schund machen, von Apple selbst und ohne Kontrollinstanz festgelegt werden. Beispiele wie jüngst 500px zeigen, dass sich Entwickler letztlich Apples Zensurvorgaben beugen und eine überarbeitete Version ihrer App veröffentlichen, um nicht endgültig aus dem App Store zu fliegen. An sich ist es Apples gutes Recht, als Unternehmen selbst zu bestimmen, welche Inhalte in seinen digitalen Marktplätzen angeboten werden dürfen und welche nicht. Aufgrund der dominanten Marktposition bei Tablets ist Apples restriktives Vorgehen aber ein Problem, ähnlich wie es auch bei Amazon der Fall ist.

Betrachtet man die Zensurmaßnahmen der "vier Sheriffs" Amazon, Apple, Google und Facebook - die weite Teile des Internets kontrollieren - so wird eines immer deutlicher: Ein Medienkonsum, dessen Inhalte mehr und mehr aus den digitalen Marktplätzen einiger weniger US-Konzerne bezogen werden, die willkürlich und intransparent zensieren, birgt derzeit noch nicht abschätzbare Risiken. (Raphael Schön, derStandard.at, 04.02.2012)