Auch in dieser Gefängnisfassung lässt Brutus das Morden nicht: Salvatore Striano (li.) in "Cäsar muss sterben" vom Brüderpaar Taviani. 

Foto: Polyfilm

 Der Berlinale-Sieger von 2012 fischt nach dem Echten in der Kunst.

Wien - Was Freiheit bedeutet, weiß einer der Schauspieler aus Paolo und Vittorio Tavianis Cäsar muss sterben (Cesare deve morire) erst durch Shakespeare. Am Ende des Films sagt er den denkwürdigen Satz, dass er jetzt, wo er die Kunst entdeckt habe, seine Zelle als Gefängnis empfinde. Es handelt sich also um ein durchaus riskantes Manöver, als Insasse von Rebibbia, dem bekannten römischen Gefängnis, Theater zu spielen; die Verkörperung einer Rolle wird einem da schnell zur Auseinandersetzung mit der eigenen existenziellen Situation.

Die Tavianis haben mit Cäsar muss sterben im vergangenen Jahr die Berlinale gewonnen. Nicht wegen des fortgeschrittenen Alters der Regiebrüder - sie sind mittlerweile stolze 81 beziehungsweise 83 Jahre alt -, vielmehr aufgrund dieser emanzipatorischen Ausrichtung des Films erschien die Entscheidung vielen ein wenig anachronistisch. Es überwog der Eindruck, die Jury unter Mike Leigh hätte den Preis mehr als Geste gegenüber dem Gesamtwerk als gegenüber dem einzelnen Film vergeben: Tatsächlich wirkt dessen Verknüpfung eines klassischen Stücks mit verurteilten Straftätern, einmal abgesehen von der humanistischen Grundgesinnung, wie ein Experiment aus einem anderen Jahrzehnt.

Gänzlich frei von Gegenwartsbezügen ist er deshalb freilich nicht. Schon das Casting der Insassen weckt Erinnerungen an jene omnipräsenten TV-Shows, die nach unentdeckten Talenten fischen - im von solchen Fernsehformaten überschütteten Post-Berlusconi-Italien hat dies gewiss besondere Resonanz. Die Gesichter der zum überwiegenden Teil wegen Mordes und Mafiadelikten lebenslang Verurteilten transportieren freilich eine andere Geschichte: Wenn sie darangehen, Shakespeares Julius Caesar mit dem Theaterregisseur Fabio Cavalli einzustudieren, ist es ihre persönliche Vergangenheit, die aus den Körpern, aus bestimmten Gesten ganz unmittelbar hervorspringt.

Die Tavianis filmen weder Theater ab, noch dokumentieren sie den Probenprozess. Beides hat in Cäsar muss sterben Platz, dient jedoch eher als Rahmenelement. Der Film erschafft sich seine eigene Wirklichkeit, die darin besteht, hervorgehobene Szenen des Shakespeare-Dramas sowie Probenelemente in den Zellen, Gängen und Freizeiträumlichkeiten von Rebibbia zu reinszenieren - der ganze Knast, eine Bühne; weite Teile sind in einem Schwarz-Weiß gedreht, das leider nicht allzu kontrastreich wirkt.

Den Tavianis geht es um die Durchdringung fiktiver Rollen von der Geschichtlichkeit ihrer Darsteller, um ein - sehr modernistisches - Ineinandergreifen von Leben und Kunst. Zentrale Momente des Films sind so weniger dem englischen Dichter geschuldet als den Gefühlslagen der Häftlinge - einmal sind sie nahe daran, sich die Köpfe einzuschlagen. Theater wird hier zur (auch forcierten) Verdichtung von Lebenserfahrung. Das kann man durchaus deutlich sehen, während man aus der Ferne den Straßentrubel Roms vernimmt. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 2./3.2.2013)