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Zwei Wochen hielten die Flüchtlinge vor dem Brandenburger Tor aus, dann zogen sie nach Kreuzberg weiter.

Foto: APA/dpa/Marc Tirl

Der braune Morast ist überall. Keine Stelle gibt es am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg, wo man trockenen Fußes stehen könnte. Geschickt balancieren Amir (32) und Pascal (38) eine große schwarze Mülltonne daher über einen Steg aus Holzpaletten.

Auch wenn es regnet, der Müll muss weg. Es ist schon schwierig genug, das Camp aufrecht zu erhalten. Pascal, ein Berliner, müsste gar nicht in einem der Zelte hausen, die da im Park stehen. Doch er sagt: "Es ist meine Menschenpflicht, hier zu helfen."

Amir hat ohnehin keinen anderen Platz. Er stammt aus dem Iran, ist dort mehrmals verhaftet worden und kam schließlich mit einem Studenten-Visum nach Deutschland. Längst ist dieses abgelaufen, aber Amir will in Deutschland bleiben und auch hier arbeiten. "Aber ich darf nicht, ich darf gar nichts. Das einzige, was ich machen kann, ist, diese Sache zu unterstützen.

Protestmarsch

"Diese Sache" hat ihren Ursprung in Bayern. In Würzburg starteten am 8. September 50 Asylwerber ihren Protestmarsch. Einen Monat und 500 Kilometer später erreichten sie und 400 weitere Teilnehmer Berlin, wo sie zunächst ihr Camp vor dem Brandenburger Tor errichteten.

Einige von ihnen traten in Hungerstreik, um so ihre Forderungen zu verdeutlichen: Keine Unterbringung in Sammellagern, Aufhebung des Arbeits- und Ausbildungsverbotes sowie der Residenzpflicht. Diese besagt, dass Asylwerber den Landkreis nicht verlassen dürfen, in dem sie vom Staat untergebracht werden.

Nach zwei Wochen löste die Polizei das Camp auf. Doch niemand wollte den Protest aufgeben. Also zogen die Flüchtlinge in einen kleinen Park in Kreuzberg. Dieser öffentliche Platz ist für sie wichtig, damit ihr Protest sichtbar bleibt. Aber in den Zelten im Morast hielten es nur die wenigsten aus. Der Großteil besetzte eine leer stehende Schule, der Grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz lässt sie bis Ende März gewähren: "Es ist unser Beitrag für mehr Humanität im kalten Winter."

Patras (33) sieht heute in der Schule nach dem Rechten. Im ersten Stock fehlen Glühbirnen, auch ein Waschbecken muss repariert werden. 2010 ist er aus Uganda nach Deutschland gekommen, und ihn freut die Solidarität, die dem Camp und seinen Bewohnern entgegenschlägt. Auf großen Plakaten steht, was in der Schule und im Park fehlt: Shampoo, Toiletten-Papier, Lebensmittel. "Irgendwer aus Kreuzberg bringt immer etwas vorbei", sagt Patras.

"Bis wir hier Erfolg haben, vorher gehe ich nicht weg"

Gekocht wird gemeinsam, auch bemüht man sich, den Kindern, die in der vergleichsweise wärmeren Schule leben, Abwechslung zu bieten, sie werden zum Spielplatz begleitet. Patras, der zuvor in Passau untergebracht war, hat keine Ahnung, wie lange er noch bleiben wird. Nur eines steht für ihn fest: "Bis wir hier Erfolg haben, bis wir gehört werden, vorher gehe ich nicht weg. Wir sind Menschen, und wir wollen als solche behandelt werden."

Neben Berlin und Wien - wo seit vergangenen Freitag die rund 40 in der Votivkirche lagernden Flüchtlinge wieder hungerstreiken - finden Proteste derzeit etwa auch in Amsterdam und im französischen Lille statt. In Amsterdam halten sich nach der Räumung ihres Camps rund 80 Flüchtlinge seit Anfang Dezember in der Vluchtkerk, einer leer stehenden katholischen Kirche, auf. In Lille beendeten 37 "Papierlose" am 13. Jänner nach 73 Tagen ihren Hungerstreik. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 5.2.2013)