Wer regelmäßig die Entleerung der Blase stundenlang hinauszögert und dieses Verhalten über Monate oder sogar Jahre "konditioniert", muss mit einer Überdehnung der Blasenmuskulatur beziehungsweise der Blasenwand rechnen, warnt die Urologin Dara Lazar. Im schlimmsten Fall können irreversible Schäden die Folge sein.

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Damit unser Körper funktioniert, braucht er regelmäßig Nahrung und vor allem Flüssigkeit. Die darin enthaltenen Nährstoffe macht er im Verdauungsprozess für sich verwertbar, die unverdaulichen beziehungsweise nicht verwertbaren Bestandteile scheidet er wieder aus.

"Bei einem gesunden Menschen löst die Blase ab einem Füllungsvolumen von 150 bis 200 Millilitern das Gefühl von zunehmendem Harndrang aus. Das heißt, während der Füllungsphase leiten die Nervenfasern der Blase einen Impuls zum Gehirn, der uns darüber informiert, dass sich Urin sammelt und wir schön langsam daran denken sollten, die Toilette aufzusuchen", erklärt Dara Lazar, Urologin und Leiterin des Heeresfachambulatoriums in Wien-Stammersdorf.

Will man deutschen Meinungsforschern Glauben schenken, verbringt ein Mensch im Laufe seines Lebens durchschnittlich etwa ein halbes Jahr auf dem stillen Örtchen. Allerdings gibt es zahllose Situationen, in denen wir nicht aufs Klo gehen, obwohl wir merken, dass es an der Zeit wäre. Sei es im Kino, bei einem wichtigen Meeting, während einer Autofahrt oder einfach nur deshalb, weil uns vor öffentlichen Toiletten ekelt. Der zivilisierte Mensch hat gelernt, den Harndrang zu ignorieren und zu warten, bis es für ihn passend ist.

"Sollte das ab und an passieren, stellt das grundsätzlich noch kein Problem dar. Wenn aber jemand regelmäßig die Entleerung der Blase stundenlang hinauszögert und dieses Verhalten über Monate oder sogar Jahre konditioniert, kann es zur Überdehnung der Blasenmuskulatur beziehungsweise der Blasenwand kommen", erläutert die Medizinerin.

Wie bei einem Gummiringerl

Der dabei eintretende Effekt lässt sich gut an folgendem Beispiel veranschaulichen: Wird ein Gummiringerl über einen Tisch gespannt und nach mehreren Stunden wieder abgenommen, ist es relativ unwahrscheinlich, dass es sich wieder auf seine ursprüngliche Größe zusammenzieht, da die elastischen Gummifasern massiv überdehnt wurden.

Genau das kann auch mit den Dehnungsfasern der Blase passieren, was im schlimmsten Fall zu irreversible Schäden an der Blasenwand führt. "Die Folge können Entleerungsstörungen sein, wo nach dem Gang zur Toilette eine Restharnmenge von 300 bis 400 Millilitern zurückbleibt." Also annähernd so viel wie das ursprüngliche Fassungsvermögen der Blase, das bei einem gesunden Erwachsenen etwa einen halben Liter beträgt. 

"Die Fähigkeit der Blase, sich wieder zusammenzuziehen, geht also verloren, weshalb auch vom Lazy-Bladder-Syndrom gesprochen wird. Doch die Blase war ursprünglich nicht 'faul': Das regelmäßige Hinauszögern der Miktionsintervalle hat zu strukturellen Veränderungen der Blasenwand sowie der Sensorik geführt, wodurch der Harndrang verspätet ans Gehirn weitergeleitet wird", betont Lazar.

Miktionstagebuch und Verhaltensänderung

Für die Diagnose ist zunächst einmal eine grundsätzliche urologische Ultraschalluntersuchung notwendig, bei der auch abgeklärt wird, ob die Nieren in ihrer Funktion beeinträchtigt sind. "Ich hatte einmal einen Patienten, der klagte über einen permanent salzig-suppigen Geschmack im Mund. Schließlich stellte sich heraus, dass durch die massive Überdehnung der Blase das Fassungsvolumen auf drei Liter angewachsen war. Da sich der Harn bereits bis in die Nieren hinauf gestaut hat und diese kurz vor dem Versagen standen, verspürte er diesen Geschmack", berichtet Lazar.

In weniger schwerwiegenden Fällen beginnt die Therapie mit einem Miktionstagebuch. Dabei muss der Patient für die Dauer von 48 Stunden genau dokumentieren, wann und wie viel er getrunken hat und welche Harnmenge ausgeschieden wurde. "Nach diesem Protokoll orientiert sich die weitere Vorgehensweise. So kann mitunter eine langfristige und konsequente Verhaltensmodulation ausreichen, um die Überdehnung der Blase rückgängig zu machen", so die Urologin. Als unterstützende Maßnahme empfiehlt sie, einen Erinnerungsmodus am Handy einzurichten, der den Patienten etwa alle zwei Stunden darauf hinweist, dass er seine Blase entleeren sollte.

Gesunden Menschen rät Dara Lazar, einfach dann aufs Klo zu gehen, wenn sich die Blase bemerkbar macht: "Unsere Organe haben schließlich ihre ganz eigene 'Sprache', und auf die sollten wir hören." (Günther Brandstetter, derStandard.at, 6.2.2013)