Oben am Berg ist die Skiwelt noch in Ordnung. Hier gibt es für Geld Freiheit statt besoffenes Halligalli.

-> Bilder vom Heliskiing am Arlberg

Foto: Thomas Rottenberg

"Ich mag es unverspurt", sagt Thomas Schnabl. Dann zeigt er auf einen Berg gegenüber – und ein fast schon zynisches Lächeln huscht über sein Gesicht: "Dort drüben, am Mehlsack, sind gestern 96 Leute runtergefahren. Einer in den Spuren des anderen. Die Menschen sind halt Lemminge. Oder Schafe." Auch wenn sie jenen Trip buchen, der das ultimativ-individuelle Ski-Erlebnis verspricht: mit dem Hubschrauber auf den Berg – und durch den Tiefschnee wieder hinunter. Heliskiing eben.

Auch Schnabl ist gerade aus dem Hubschrauber gehüpft. Nicht am Mehlsack. Der 44-jährige Bergführer hat dem Piloten ein anderes Ziel genannt – und steht nun in 2.450 Metern Seehöhe knapp unterhalb des Gipfels des Schneetäli. Die Gruppe des aus dem Ennstal stammenden Guides ist nicht die erste, die Pilot Peter Hohenberg an diesem Tag mit seiner AS 350 B3 "Ecureuil" weitab der pistenrutschenden Massen brachte.

Schnabl überprüft noch einmal die Ausrüstung der Gäste und greift unauffällig nach seinem eigenen LVS (Lawinenverschütteten-Suchgerät vulgo "Pieps"). Einen Gast ohne eingeschaltetes und überprüftes LVS und komplette Sicherheitsausrüstung ließe er nicht einmal in die Nähe des Hubschraubers. Ob ein Tourist das Equipment im Notfall auch richtig einsetzen könnte? Schnabl seufzt: Diese Diskussion wird unter Experten intensiv geführt. Längst geben sich nicht nur erfahrene Variantenfahrer den (betreuten) Kick im freien Gelände: Gut Skifahren oder Snowboarden zu können hat wenig mit Wissen über alpine Gefahren zu tun – und der Trip mit dem Heli ist keine Frage der Qualifikation, sondern des Geldes.

Rund 400 Euro kostet es, sich vom Flexenpass auf einen der beiden in Österreich zugelassenen Heliski-Gipfel bringen zu lassen. 390 Euro zahlt man für den Mehlsack, 410 Euro fürs Schneetäli – Bergführer nicht inbegriffen. Aber ohne professionellen Guide nehmen die Piloten der Firma Wucher, des einzigen Flugunternehmens, das in Österreich Heliskiing anbietet, niemanden mit. Bergführer kann man am Arlberg ab 270 Euro pro Tag buchen. Thomas Schnabl verrechnet 450 Euro – und ist ausgebucht. Ohne Website, ohne Werbung. "Ich nehme nur Gäste, die eine Empfehlung von Leuten haben, mit denen ich schon gefahren bin."

Freiheit ist käuflich

Für das Geld bekommt der Gast Freiheit. Freiheit, nur an das denken zu müssen, weswegen er hier ist: Skifahren in seiner schönsten Form. Fernab von Massen und Pisten. Abseits vom Tinnitus-Gesang der Liftseile. Fern dem Wummern der Schirmbars und den Gerüchen von Fritteuse, Alkohol und Dieseldampf der Pistenbullys. Ganz oben ist die Welt noch in Ordnung. Wenn die Skier im Pulver Auftrieb bekommen, wenn Sonnenstrahlen sich in aufgewirbelten Schneekristallen brechen und der Blick zurück ein "Wow, das hätte ich mir nie zugetraut" provoziert, denkt niemand mehr an Geld.

Freilich: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Auch, weil Thomas Schnabl am Ende der Schneetäli-Route sagt: "So, Ski auf den Rucksack, jetzt geht es zu Fuß ein bisserl rauf!" Wer fliegen kann, der muss auch "hiken" können. Wie soll man sonst wertschätzen, welches Privileg man gerade genießen durfte?

Das Privileg ist tatsächlich einmalig: Heliskiing heißt am Arlberg genau einmal rauf. Den Rest des Tages geht man mit dem Guide freeriden. So wie alle. Schnabl wechselt von Lech nach Stuben und erzählt von den Dingen, die er am Berg braucht. Und jenen, die er meidet: besoffenes Halligalli, Pornoschlager und jenen Aprés-Ski-Trubel, der längst "Anstatt-Ski"-Trubel heißen müsste.

An Stuben ist all das bisher vorübergegangen. Hier führen nur drei zugige Zweiersessellifte auf den Hausberg, die Albona. Dort lässt Schnabl die Ski wieder tragen: Das Maroiköpfle (2.529 Meter) ist ein kurzer und beliebter "Hike". 25 Minuten zu Fuß – und dann geht es schier endlos im "Backcountry" hinunter. Sicher: Unverspurt ist es hier nicht. Die Routen stehen in jedem Freeride-Guide. Aber Bergführer wie Schnabl finden doch immer jenen Hang, auf dem es noch staubt. Und wenn man statt 30 Minuten zu Fuß zwei Stunden mit den Fellen aufstiege, wäre man sowieso in einer ganz anderen Welt unterwegs.

Das wissen auch die Heliski-Anbieter: Heliskiing am Arlberg, erklärt Dieter Heidegger, sei "im Freeride-Eldorado für viele das Highlight der Woche", aber "viele schnuppern hier auch nur das erste Mal Heliskiing Luft – und bekommen Lust auf mehr". Heidegger ist beim Ludescher Hubschrauberunternehmen Wucher für die Kommunikation zuständig und versucht gar nicht, den Arlberg mit Kanada, den USA, Kamtschatka oder der Krim zu vergleichen: Hubi-Wochen, bei denen der Heli ständig fliegt, könne und wolle man hier nicht bieten.

Österreich macht Lust auf mehr

Obwohl am Arlberg seit Jahrzehnten Könige, Diven und Playboys per Heli an- und abreisen, waren es nicht die Spaßflüge, die den Vorarlberger Bauunternehmer Hans Wucher Mitte der 70er-Jahre zum Hubschrauberfan machten: Wucher erkannte als einer der Ersten in Österreich, dass man Hubschrauber auf viele Arten beim Bau von Seilbahnen und Lawinenverbauungen, aber auch in der Holzgewinnung einsetzen konnte. Personentransporte waren nur ein publikumswirksames Extra – wenn man von Rettungseinsätzen absieht. Auch hier ist Wucher seit über zehn Jahren dabei. Die Heliski-Fliegerei am Arlberg, räumt auch Heidegger ein, diene vor allem dazu, die Maschinen in Betrieb zu halten, die Piloten im Winter zu beschäftigen und neuerdings auch, um Werbung zu machen.

Denn das, was in Österreich nicht erlaubt ist, bietet man anderswo an: im Kaukasus. Ins georgische Gudauri bittet Wucher diesen Winter erstmals zu Heliski-Wochen. Man habe, so Heidegger, lange gesucht und nun das richtige Skigebiet gefunden. Fluggerät, Piloten, Techniker und Bergführer kämen allesamt aus Österreich. Denn neben durchgeknallten "Ski Bums", die gern von Nahtod-Erlebnissen in alten russischen Armeehelikoptern erzählen, spricht der Flug zum Schnee längst eine Klientel an, der gewisse Sicherheitsstandards wichtiger sind als Anekdoten von Piloten und Wodka.

Dass Wucher nicht in Österreich expandiert, hat auch politische Gründe. Die rund 300 Flüge pro Jahr auf die beiden genehmigten Gipfel in Vorarlberg sind nicht unumstritten. Im Frühjahr 2012 tobten Vorarlbergs Umwelt- und Naturschützer ebenso wie der Alpenverein, weil die Landesregierung Wucher für weitere fünf Jahre das Landen auf Mehlsack und Schneetäli gestattete. Bedenken seien nicht einmal angehört worden, die Genehmigung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erteilt worden, kritisierte Vorarlbergs Grünen-Klubobmann Johannes Rauch. Derartige Unmutsäußerungen haben Tradition. 2007 etwa monierte Vorarlbergs Alpenvereins-Naturschutzreferent Gerhard Kaufmann im STANDARD, dass Analysen und Aussagen über die Unbedenklichkeit der Flüge mitunter von "Experten" kämen, die selbst in Lech vom Ski-Tourismus lebten – und so zumindest indirekt Interesse an glücklichen Heliflug-Kunden hätten. Auch dass die Variantenfahrer sich an die genehmigten Abfahrtskorridore halten, wird immer wieder in Frage gestellt. Ebenso traditionell weist Wucher alle derartigen Vorwürfe zurück.

Ganz andere Hintergründe ortet Bergführer Thomas Schnabl. Am Arlberg, so Schnabl, urlauben nicht nur die Reichen. "Hier gibt es seit dem Bau des Eisenbahntunnels auch Gewerkschafts- und Eisenbahnerheime. Es hatte immer etwas angenehm Egalitäres, dass Reiche und Arbeiter gleich schwitzen mussten, um die Berge zu genießen. Bis die Hubschrauber kamen."

Zum Klassenkampf kam dann noch das österreichische Parteiendenken. "Ende der 80er-Jahre gab es zwischen Montafon und Arlberg über 50 Landezonen", erinnert sich Peter Haßlacher, Chef der Raumplanungs- und Naturschutzabteilung des Österreichischen Alpenvereins, "die damals aktiven Unternehmer wollten auch nach Ischgl und Galtür." Der Alpenverein wandte sich gegen die "Verlärmung" der Alpen: "Schwarze" (Bergsteiger) und "Rote" (Eisenbahner) zogen am gleichen Strang. "Erstmals", betont Schnabl. Bei Tirols legendärem Landeshauptmann Eduard Wallnöfer schrillten alle Alarmsirenen.Ende der 80er-Jahre kam das Ski-Heli-Verbot ins Tiroler Naturschutzgesetz. "Das hält seither", ist Haßlacher zufrieden. Vorarlberg zog nach und stellte den Flugverkehr ein. Mit zwei bekannten Ausnahmen.

Dass aus heutiger Sicht 300 Helikopterflüge pro Jahr die Natur vielleicht weniger belasten als der Flächen, Ressourcen und Energie verschlingende Hightech-Skizirkus, ändere an der ablehnenden Haltung der Umweltschützer aber nichts, betont Haßlacher: "Es geht darum, zu verhindern, dass sich dieses ,Window of Opportunity' wieder öffnet. Wenn wir uns dem Schutz der Wildnis verschreiben, müssen wir konsequent sein. Und dafür Sorge tragen, dass es diese Wildnis auch weiterhin gibt. Man darf da eines nicht vergessen: Tirol und Vorarlberg sind nicht Kanada." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 6.2.2013)