Kaum erkennbar, aber hinter dieser Tür im fünften Wiener Bezirk versteckt sich ein Glücksspielautomat.

Foto: derstandard.at/Maria von Usslar

Eine der schärfsten Kritikerinnen ist Haldis Scheicher, die Sprecherin der Initiative "Republik Reinprechtsdorf".

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Podiumsdiskussion (von li. nach re.): Haldis Scheicher ("Republik Reinprechtsdorf"), Marlene Reisinger (SPÖ Alsergrund), Robert Sommer (Straßenzeitung Augustin), Elisabeth Gizicki-Merkinger ("Anonyme Spieler") und Peter Berger (Präsident Spielsuchthilfe)

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Wien – Es ist Anfang des Monats und das Konto noch eher voll: Mit hastigem Schritt steuert ein Mann in Arbeitskleidung auf eine schmale Eingangstür zu und verschwindet hinter dieser. Dass sich hinter der fensterlosen Mauer ein Geschäft oder eine Wohnung befindet, ist schwer vorstellbar. Allein der Aufkleber "Magic" an der Tür verweist auf eine Automatenkabine im Inneren des Gebäudes. Sie gehört zu dem Wettbüro, das um die Ecke liegt.

Wir befinden uns in der Reinprechtsdorfer Straße im fünften Wiener Gemeindebezirk. Entlang dem 900 Meter langen Straßenzug stehen 46 der 90 für den Bezirk Margareten zugelassenen Glücksspielautomaten. Gezockt werden kann auf ihnen in Einzelkabinen oder in einem der 13 ansässigen Wettlokale.

Lebloses Straßenbild

Die Spiellokale dominieren gemeinsam mit Pfandleihern und Handyshops das Erscheinungsbild der einst beliebten Einkaufsstraße. "Das Straßenbild wirkt nach außen tot", sagt die Künstlerin Haldis Scheicher. Gemeinsam mit anderen Bewohnern von Margareten hat sie die Bürgerinitiative "Republik Reinprechtsdorf" ins Leben gerufen, die gegen die Ausbreitung der "Spielhöllen" ankämpft.

Begonnen hat alles mit der Schließung einer von der Volkshochschule geführten Buchhandlung im Jahr 2010. Nach eineinhalb Jahren Leerstand zog dort schließlich ein Wettlokal ein. Daraufhin gingen die Aktivisten in die Offensive und riefen im September 2012 die "Republik Reinprechtsdorf" aus. Seitdem trifft sich die Gruppe jeden Freitag im Kebap-Laden am Siebenbrunnenplatz.

Die Bürgerinitiative "Republik Reinprechtsdorf" freut sich über jedes geschlossene Wettbüro. Das Graffiti auf diesem leer stehenden Lokal wurde zu ihrem Logo.
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Ala long verlierst

Jüngste Aktion der Initiative ist ein offener Brief, der unter anderem an die Fußballlegende Herbert Prohaska gerichtet ist. Darin wird er für den Spruch "Ala long spüst bei Wettpunkt" kritisiert, mit dem er auf Plakaten für ebendiesen Wettanbieter wirbt. Für Scheicher purer Zynismus. Denn die von Prohaska geprägte Phrase bedeute im Glücksspieljargon, dass auf Dauer ohnehin nur die Bank gewinne.

Auch dieser Werbeslogan für einen Wettanbieter erregt die Gemüter der Bürgerinitiative.
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Unzufriedene Einzelhändler

Zurück in die Reinprechtsdorfer Straße: Haldis Scheicher ist nicht die Einzige, die findet, dass es hier zu viele Spielautomaten und Wettlokale gibt. In persönlichen Gesprächen hätten ihr 80 Prozent der Geschäftsinhaber an der Einkaufsstraße mitgeteilt, mit der Situation ebenfalls unzufrieden zu sein.

Einer von ihnen ist Asmar Samaan, der seit 17 Jahren seinen Schuhladen an der Ecke Reinprechtsdorfer Straße/Margaretenstraße führt. Die Wettbürobetreiber hätten ihm bereits mehrmals ein Vielfaches des eigentlichen Marktwerts seines Geschäfts angeboten. Er hat jedoch immer abgelehnt, weil es sowieso schon zu viele Wettlokale gebe.

Verpulverter Monatslohn und aggressive Stimmung

In den Augen von Helmut Schramm, Besitzer eines Textilgeschäfts an der Reinprechtsdorfer Straße, kann die Politik aber nur wenig gegen die Verbreitung der Spielhallen unternehmen: "Einen Umkehreffekt können nur die Konsumenten erzielen, indem sie weniger in Einkaufszentren shoppen gehen, sondern hier in der Gegend einkaufen."

Währenddessen herrscht in einem Geschäft in einer Nebengasse reges Treiben. Dort wird Sofort-Bargeld für Gebrauchtwaren aller Art geboten. DVDs, Kaffeemaschinen und andere elektronische Geräte stapeln sich in den Regalen. Einen Zusammenhang zwischen den Wettlokalen und dem Verkauf privater Habseligkeiten will der Besitzer, der den Laden seit zwei Jahren betreibt, aber nicht erkennen.

Mit der Glücksspielindustrie florieren auch andere Geschäftszweige in der Reinprechtsdorfer Straße.
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Anders sieht das ein Bauunternehmer, dessen Büro über einem der Wettcafés liegt. Er berichtet von einer zunehmend aggressiven Stimmung im Viertel, seit die Zahl dieser Lokale stark zugenommen hat. "Oft sieht man Leute, die brüllend gegen eine Hauswand treten, wenn sie verlieren." Auch er selbst habe Probleme mit manchen Arbeitern, die ihren Monatslohn oft sofort verpulvern würden.

Angst vor verdunkelten Scheiben

Haldis Scheicher von der "Republik Reinprechtsdorf" fordert ein Einschreiten der Politik, denn die verklebten und verdunkelten Scheiben der Wettlokale würden bei großen Teilen der Bevölkerung Unbehagen auslösen. Schließlich sei eine der Folgewirkungen die zunehmende Beschaffungskriminalität durch Spielsucht.

Dass diese Ängste nicht unbegründet sind, verdeutlicht eine Statistik, über die auch derStandard.at bereits berichtete: Glücksspielsucht hat mittlerweile Drogensucht als Hauptursache für kriminelle Handlungen abgelöst. Zudem besagen Studien, dass jeder fünfte Spielabhängige auch Straftaten begeht.

Für Werbeverbot und Bannmeile

Haldis Scheicher sieht durch das Glücksspiel negative Auswirkungen auf die gesamte Gegend um die Reinprechtsdorfer Straße: "Die Lustlosigkeit greift hier um sich und nimmt mit so einer Straße zu." Um dem entgegenzusteuern, fordert ihre Initiative auch ein Werbeverbot für Glücksspiel sowie für andere Suchtmittel wie Alkohol und Zigaretten. Außerdem sollen der Zugang zu den Lokalen und Kabinen stärker überwacht und Ausweise gründlicher kontrolliert werden.

Die Aktivisten fordern auch Werbeverbote für Glücksspiellokale.
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Ein weiterer Kritikpunkt der "Republik Reinprechtsdorf" ist die aus ihrer Sicht zu geringe Bannmeile von 150 Metern um Wettlokale – vor allem im Hinblick auf die drei Schulen in unmittelbarer Nähe. In Zukunft will die Initiative, dass gemeinsam mit den Bewohnern Konzepte und Ideen zur Belebung der Straße erarbeitet werden. Und sie will sich mit anderen Bezirken mit ähnlicher Problematik vernetzen.

Margareten will sich vernetzen

Denn dass Wettcafés und -büros ganze Straßenzüge erobern ist nicht nur im fünften Bezirk Thema. Vor kurzem fand unter dem Motto "Die zerwettete Stadt" im Aktionsradius Augarten im 20. Bezirk eine Diskussionsveranstaltung über die Zukunft des Kleinen Glücksspiels statt.

Im Mittelpunkt standen die möglichen Folgen, wenn am 1. Jänner 2015 ein Verbot des Automatenglücksspiels ("Kleines Glücksspiel") in Kraft tritt. Ein Großteil der Wettlokale müsste dann zusperren, das Spielen auf Automaten wird in Wien dann auf Casinos beschränkt. Rechtlich offen ist aber die Frage, was mit Konzessionen passiert, die bis ins Jahr 2009 vergeben wurden und noch bis zu 15 Jahre gültig sind.

Selbst finanzierte Therapie

Offen ist auch die Frage, wie Österreich in Zukunft mit den geschätzt 250.000 Spielsüchtigen umgeht. Therapien werden nur zu einem marginalen Teil von der öffentlichen Hand unterstützt. In Wien wird die Spielsuchthilfe zu einem Zehntel von der Stadt finanziert. Einen erheblich größeren Anteil übernehmen Glücksspielkonzerne wie Novomatic bzw. Betreiber von Spielbanken.

Für Marlene Reisinger von der Sektion 8 sind diese Subventionen aber ohnehin nur kosmetische Maßnahmen: "Die Süchtigen zahlen ihre Therapie eigentlich selbst", denn sie hätten ja ein Vielfaches davon sowieso bereits an die Glücksspielanbieter verloren. (Elisabeth Mittendorfer/Maria von Usslar, derStandard.at, 8.2.2013)