Für den Sachverständigen für wissenschaftliche Texte, Stefan Weber, ist die Lage im Fall der Aberkennung des Doktortitels der deutschen Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) klar. "Die Universität Düsseldorf hatte keine andere Wahl", sagt Weber im Interview mit derStandard.at. Kritisch sieht er aber die gängigen Plagiats-Testsysteme, die gerade bei älteren Arbeiten keine Erfolge aufweisen könnten.
Im Fall Schavan hatte eine von Weber durchgeführte Prüfung "gar nichts" ergeben. Statt weiterhin Plagiaten hinterherzulaufen, fordert er die Einrichtung einer Beratungs- und Coachingstelle für Plagiate an Universitäten. Studierende könnten damit bei Unsicherheiten Zitierweisen klären und Plagiate so vor Abschluss der Arbeit vermieden werden.
derStandard.at: Finden Sie die Aberkennung der Dissertation der deutschen Bildungsministerin Annette Schavan gerechtfertigt?
Weber: Absolut. Die Universität Düsseldorf hatte keine andere Wahl. Die Vielzahl der Plagiatsfragmente spricht für Täuschung. Eine Verjährung ist in keiner Promotionsordnung vorgesehen.
derStandard.at: Was würde passieren, wenn man die Plagiatssfälle wie von der deutschen Bildungsministerin Annette Schavan durch ein heute gängiges Plagiatstestsystem laufen lässt?
Weber: Das kann ich nicht nur theoretisch beantworten. Ich habe die Dissertation von Annette Schavan digitalisiert bekommen und durch eine Plagiatssoftware - Plagscan - geschickt. Da habe ich gar nichts gefunden. Es ist bei älteren Arbeiten ein Glücksfall, wenn man etwas findet. Der trifft dann ein, wenn die Plagiatssoftware einerseits mit der Google Büchersuche verbunden ist - das ist mit Plagscan zum Beispiel nicht der Fall - und andererseits das betroffene Buch aus den 70er oder 80er Jahren schon digitalisiert wurde. Ich hatte erst unlängst so einen Fall. Da findet man dann umso mehr, wenn man sich jenes Buch bestellt, aus dem plagiiert wurde. Eine Plagiatssoftware arbeitet nicht 100-prozentig. Im Moment steckt das alles noch in den Kinderschuhen. Im Fall Schavan hat das überhaupt nichts ergeben. Gar nichts.
derStandard.at: Was bedeutet das für aktuelle Abschlussarbeiten und Dissertationen?
Weber: Bei aktuellen Arbeiten ist das ein bisschen anders. Wenn eine Arbeit mit aktueller Literatur arbeitet, ist es schon meistens so, dass wenn plagiiert wurde, die Software etwas findet. Die Plagiatssoftware hat mir in den letzten Jahren Arbeit abgenommen, sie googelt mir schneller. Sie findet aber nicht alles. Manch eine Software findet Wikipedia-Einträge, aber keine Titel in der Google Büchersuche. Die Plagiatssoftware ist für mich daher nur ein Startpunkt der Recherche. Wenn ich Glück habe findet sie etwas, wenn nicht, kann die Arbeit trotzdem in weiten Teilen plagiiert sein.
derStandard.at: Was wäre ein sinnvolleres Verfahren, um Plagiate ausfindig zu machen?
Weber: Das sinnvollere Verfahren wäre das, was beispielsweise die Pädagogische Hochschule in Freiburg gemacht hat. Die haben einen Plagiatsbeauftragten und eine freiwillige Selbstkontrolle eingeführt. Der, der sich heute den Freibrief durch die Plagiatssoftware holt, kann auch einen Freibrief für eine besonders geschickte Schummelei bekommen. Das ist sinnlos. Das führt uns vom Wert oder Sinn der Wissenschaft weg.
Die freiwillige Selbstkontrolle setzt anders an. Der Plagiatsbeauftragte ist eine Art Beratungsstelle, zu der man kommen kann, wenn man sich unsicher ist. Wenn wir so eine Beratungs- und Coachingstelle - etwas Positives im vorhinein -, statt etwas Sanktionierendes, Negatives im nachhinein - einführen, dann würden wir ganz woanders stehen. Ich verstehe es nicht warum die Universitäten so unbeweglich sind. Das wäre so eine elegante Lösung.
derStandard.at: Was wäre zur Verbesserung der Situation noch wichtig?
Weber: Der nächste Punkt wäre die Schaffung einer Forschungsstelle für wissenschaftliche Integrität. Das gibt es in Deutschland und Österreich nicht; ich glaube das gibt es in keinem EU-Land. In den USA gibt es zum Beispiel das International Center for Academic Integrity.
derStandard.at: Sind Plagiate auch ein Ausdruck mangelnder Betreuung auf den Universitäten?
Weber: Ja, von mangelnder Schulung im Einstiegsbereich. Diese wird oft auch von Menschen angeboten, die selbst gerade erst Magister geworden sind. Die Basis des wissenschaftlichen Arbeitens kann bei Studierenden nicht vorausgesetzt werden. Offenbar ist das aber in den Lehrplänen nicht flächendeckend beinhaltet.
derStandard.at: Hat es vielleicht auch mit der Menge und dem Umfang der Arbeiten zu tun? Viele Professoren betreuen ja sehr viele Arbeiten?
Weber: Dazu habe ich eine philosophische Frage. Hat jemand so viele Arbeiten, weil er sie nicht genau liest oder liest er sie nicht genau, weil er so viele hat? Vielleicht haben manche Professoren nur deswegen so viel Dissertanten, weil man bei ihnen einfach zum Doktor kommt. Das muss man sich im Einzelfall anschauen. Jene, die Arbeiten genau lesen, haben oft wenige Dissertanten; und jene die sich einen Vormittag hinsetzen und dann die Arbeit beurteilen, sehr viele. Das ist aber auch eine Frage der Kultur. Wir haben im Moment leider die Entwicklung zu einer immer stärkeren Verschulung und Vermassung der Universitäten. Damit wird das leider zunehmen. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 6.2.2013)