45 Gramm Muskatnuss sind in 80 bis 100 Stück Hildegard-Nervenkeksen enthalten. Bereits ab fünf Gramm können toxische Reaktionen auftreten.

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In kleinen Mengen genossen wirkt die Muskatnuss appetitanregend und verdauungsfördernd. In größeren Mengen kann sie zu Vergiftungen und Halluzinationen führen.

"Und wenn jemand  die Muskatnuss isst, öffnet sie sein Herz und reinigt seine Sinne und verschafft ihm durch die gute Wärme und ihre milde Kraft einen guten Verstand." Ein Ausspruch, der von der Nonne und Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) stammen soll, die mit ihrem umfangreichen theologischen, naturkundlichen, musikalischen und medizinischen Werk zu einer Gallionsfigur der Esoterikbewegung wurde.

Hohe Dosierung

Rezepte für "Hildegard-Nervenkekse" kursieren in Büchern und im Internet. Fast allen gemein ist die hohe Dosierung von Muskatnuss: Auf ein Kilogramm Dinkelmehl kommen 45 Gramm gemahlene Muskatnuss. "Diese Nervenkekse sind nicht als Plätzchen sondern als Arzneimittel gedacht und helfen bei Konzentrationsschwäche und Durchblutungsstörungen", informiert eine Backanleitung. Nur maximal vier oder fünf Stück am Tag solle man essen, Kinder nicht mehr als drei.

Anmerkungen wie diese sind die Ausnahme. Dabei kann schon eine Menge ab fünf Gramm Muskatnuss oder Macis – der Samenmantel der Muskatnuss – toxische Reaktionen auslösen, weiß Susanne Till vom Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. "Das entspricht einer handelsüblichen kleinen Nuss", sagt die promovierte Biologin mit Schwerpunkt Botanik.

Vier bis fünf Gramm Muskat auf zehn Kekse

80 bis 100 Nervenkekse bringt man aus einem Kilogramm Mehl und 45 Gramm Muskat heraus. Wer zehn Kekse verzehrt, nimmt also vier bis fünf Gramm Muskatnuss zu sich. "Bei Mengen von fünf bis 30 Gramm kann sich die toxische wie auch die halluzinogene Wirkung von Muskatnuss und Macis auf das zentrale Nervensystem entfalten", warnt Till.

Was die toxische Wirkung betrifft, können zwei bis fünf Stunden nach der Einnahme folgende Vergiftungssymptome auftreten: Durstgefühl, Trockenheit des Mundes, Übelkeit, Schwindelgefühl, Erbrechen, Errötung und Schwellung des Gesichts, Schweißausbruch, Harndrang, Bauch- und Kopfschmerzen, schwacher Puls, Hypothermie, Herzrasen, Schlaflosigkeit, Todesangst, Kollaps und Delirium.

"Etwa nach zwölf Stunden kommt es zum Tiefschlaf", zitiert Till aus einem toxikologischen Werk. Und weiter: "Todesfälle wurden selten beobachtet. Die Vergiftung ist gewöhnlich nach zwei bis vier Tagen überwunden, zurück bleibt eine Aversion gegen Muskatnussgeschmack. Ein weiterer Inhaltsstoff der Muskatnuss, das Safrol, gilt als krebserregend und schädlich für die Leber.

Halluzinogene Wirkung

In den frühen 1980er Jahren dröhnten sich Jugendliche in Oberösterreich auf ländlichen Partys  mit "Tigermilch" zu: einer Mischung aus heißer Milch mit Rum und einer ordentlichen Portion geriebenem Muskat. "Muskat wird durchaus bewusst als Halluzinogen eingesetzt", bestätigt Till. Auch Gefängnisinsassen in den USA verwendeten das Gewürz als Ersatzdroge für Cannabis und berichteten von visuellen und auditiven Halluzinationen, von einem Schwebegefühl und von Störungen des Körperschemas.

"Die Halluzinationen sind durch eine intensive Veränderung des Zeit- und Raumgefühls und ein Gefühl des Schwebens charakterisiert", schildert die Expertin. "Es gibt Symptome wie Lachkrämpfe und wirres Reden." Das fette Öl der Muskatnuss könne die Wirkung der phamakologisch aktiven Inhaltsstoffe und damit die Dauer wie Intensität des "Rausches" beeinflussen.

Verantwortlich für die halluzinative Wirkung dürfte das Myristicin sein, chemisch ein Phenylpropan und Bestandteil im ätherischen Öl der Muskatnuss. "Myristicin dürfte im Körper zu einer amphetaminähnlichen Verbindung umgebaut werden", sagt Till. Manche Autoren stellen die halluzinogene Wirkung allerdings in Frage, da der Umbau von Myristicin in das körpereigene Aufputschmittel nicht bei jedem Menschen gleichermaßen auftreten soll. 

Die Dosis macht das Gift

"Es dürfte auch einen Unterschied machen, wie ich das Ganze zu mir nehme", sagt Till. So werde vermutlich die Verarbeitung der Muskatnuss im Körper durch alkoholische Getränke verändert, was ebenfalls zu Vergiftungen führen könne. Darüber hinaus gilt ein weiterer Inhaltsstoff der Muskatnuss, das Safrol, als krebserregend und schädlich für die Leber.

Hildegard von Bingen selbst habe überhaupt keine Mengenangaben für ihre Nervenkekse angeführt, weiß die Expertin. "Pulverisiere Muskatnuss und zu gleichen Teilen Zimt und etwas Gewürznelke und backe mit Dinkelfeinmehl und etwas Wasser Kekse (...)", fasst sie aus der Patrologia Latina, einem Nachdruck der Hildegardgesellschaft von 1982, zusammen. Woher die konkreten Mengenangaben kommen, bleibt offen, doch im "Handbuch der Hildegard Medizin" von 1985 ist bereits das Rezept mit 45 Gramm Muskatpulver auf ein Kilogramm Mehl zu finden.

Ob man nun weiterhin Nervenkekse essen könne? "Man muss ganz klar sagen: Die Muskatnuss ist ein Gewürz – und im Übrigen eines, das appetitanregend und verdauungsfördernd wirkt. Bekanntermaßen kommt ein Gewürz in kleinen Mengen in eine Speise", stellt Susanne Till klar. "Ich würde fünf Gramm unbedingt als Grenze sehen." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 13.2.2013)