Ökonom Charles Wyplosz: Teufelskreis zwischen Banken und Realwirtschaft.

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Faule Hypothekenkredite belasten Geldhäuser wie Spaniens BBVA, die schrumpfenden Bankbilanzen befeuern ihrerseits die Wirtschaftskrise.

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Standard: An Europas Aktien- und Anleihenmärkte hat sich die Lage weitgehend entspannt. Ein gutes Zeichen für Europas Wirtschaft?

Wyplosz: Mir fällt es schwer, den ganzen Optimismus an den Finanzmärkten nachzuvollziehen. Es gibt immer noch große Probleme in Europa, und auch die US-Wirtschaft hat Schwierigkeiten. Doch der Optimismus kann uns helfen. Denn die Märkte treiben die Wirtschaft an und könnten die Unternehmen dazu bringen, mehr zu investieren.

Standard: Kann man also mit Wachstum in Südeuropa rechnen?

Wyplosz: Solange die Banken in Europa mit toxischen Wertpapieren belastet sind, können wir keinen nachhaltigen Aufschwung haben. Und solange wir keinen Aufschwung haben, bleibt die Schuldenkrise bestehen.

Standard: In Spanien sind die faulen Kredite zuletzt aber auf neues Rekordhoch gestiegen.

Wyplosz: Deshalb sind strukturelle Bankenreformen ein wichtiger Schritt. Aber wir haben auch gute Nachrichten von Banken gehört, etwa von Crédit Agricole oder Deutsche Bank. Die fangen endlich, endlich an, die toxischen Wertpapiere auf ihren Bilanzen abzuschreiben. Das hätte vor drei oder vier Jahre passieren sollen. Doch das wurde in Europa unterlassen. Europa hat sich wie Japan vor 20 Jahren verhalten. Denn die Regierungen, vor allem in Frankreich und Deutschland, haben Zombiebanken geschützt. Wenn die Banken nun aus ihrem Zombiestatus kommen, sind das wirklich gute Nachrichten.

Standard: 2013 wird davon aber noch wenig zu spüren sein. Spanien etwa wird weiterschrumpfen.

Wyplosz: Wir haben es in Ländern wie Spanien mit einer klassischen Rezession zu tun, die durch mangelnde Nachfrage ausgelöst wird. Wer soll denn in der aktuellen Phase Geld ausgeben? Konsumenten halten sich zurück. Die Unternehmen investieren nicht, weil die Konsumenten noch nicht konsumieren. Die Konjunktur kann nicht aufblühen, wenn die Staaten weiterhin so viel sparen. Am ehesten könnten die Exporte für gute Stimmung sorgen, aber alle Länder wollen mehr exportieren.

Standard: Der Euro ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen, Exporte werden damit aber weniger wettbewerbsfähig.

Wyplosz: Das ist eine gefährliche Entwicklung und ein deutlicher Gegenwind für Europa. Der hohe Eurokurs macht die Hoffnung zunichte, dass sich die Eurozone aus der Krise exportieren kann.

Standard: Was steckt hinter der jüngsten Stärke des Euro?

Wyplosz: Die Europäische Zentralbank. Sie ist die einzige Notenbank weltweit, die ihre Geldpolitik zuletzt nicht massiv gelockert hat. Sie könnte die Zinsen so wie andere Zentralbanken auf null senken. Im Vergleich zur japanischen und amerikanischen Zentralbank verspricht die EZB auch nicht, dass sie die Zinsen für einen längeren Zeitraum sehr niedrig hält. Dazu kommt, dass sie keine Anleihenkäufe zur Senkung der langfristigen Zinsen durchführt.

Standard: Aber die EZB hat andere Geldschleusen geöffnet und den Banken etwa mehr als 1000 Milliarden Euro geborgt.

Wyplosz:: Aber das ist keine monetäre Lockerung. Das war eine Intervention in den Geldmärkten, um den Zerfall der Eurozone zu verhindern. Zumindest hat die EZB mit diesen Krediten und dem Versprechen, notfalls Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen, gezeigt, dass sie ein "Lender of Last Resort" (Kreditgeber der letzten Instanz, Anm.) ist. Wir haben jetzt eine echte Zentralbank. Die hatten wir davor nicht.

Standard: Wird mit diesen Maßnahmen eine weitere Vertrauenskrise in der Eurozone verhindert?

Wyplosz: Die EZB hat ein Sicherheitsnetz für die europäischen Staatsanleihenmärkte gespannt. Das war ein wichtiger Schritt, auf den wir mehr als zwei Jahre gewartet haben. Damit wurde das Abwärtsrisiko von europäischen Staatsanleihen massiv reduziert. Aber wir brauchen die nächste Revolution für die EZB. Sie muss den Märkten signalisieren, dass sie bereit ist, langfristig eine expansive Geldpolitik zu treiben.

Standard: Aber Anleihenkäufe der EZB gibt es nur gegen Auflagen.

Wyplosz: Die vielen Bedingungen sind vielleicht politisch sinnvoll, aber ökonomischer Unsinn. Das Problem ist, dass die EZB in einem sehr schwierigen politischen Umfeld agieren muss. Zentralbanken sollten sich eigentlich nicht mit Wahlen beschäftigen, weil sie das langfristige Wohl einer Wirtschaft im Blick haben. Aber die EZB muss sich hauptsächlich um die Politik kümmern, und das ist ein totales Desaster. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 9.2.2013)