Mit ihrem Porträt des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle hat die deutsche Journalistin Laura Himmelreich eine längst fällige Debatte über Sexismus im Alltag losgetreten. Wie bei solchen Anlässen üblich dauerte es nicht lange, und die Verteidiger der ach so missverstandenen und entrechteten Männer inszenierten die Debatte als Krieg der Geschlechter. Die Mehrzahl der Männer schweigt betroffen und peinlich berührt. Und schadet damit Frauen wie Männern gleichermaßen.

Das Bild ist so gut wie immer das gleiche: Wenn Frauen den Machtansprüchen von Männern deutliche Grenzen setzen, wenn sie Anzüglichkeiten und Erniedrigung nicht mehr hinnehmen wollen, wenn sie sich zur Wehr setzen, und das am Ende auch noch öffentlich, schlägt das routinierte Machtgehabe männlicher Eliten in weinerliches Selbstmitleid um. Die Frauen wollen uns doch gar nichts mehr gönnen, ein bisschen schäkern ist doch kein Sexismus, und überhaupt, wenn die Weiber anstatt im Kartoffelsack im Minirock unterwegs sind, wie soll Mann sich da noch wehren können?

Diskriminierung 0.2

Am Ende läuft es darauf hinaus, dass der Diskriminierung durch Anzüglichkeiten und Gegrapsche eine weitere hinzugefügt wird: Nicht die Männer sind an den Übergriffen schuld, die Frauen sind es selber, weil sie erst den Sexualtrieb der Männer anstacheln und diese dann hilflos ihren Hormonen überlassen. Dass damit zugleich alle Männer als hirnlose, hormongesteuerte Automaten diskriminiert werden, wird entweder nicht wahr- oder als Kollateralschaden in Kauf genommen.

Und die Männerwelt schweigt überwiegend betreten. Warum eigentlich? Warum protestieren so wenige Männer dagegen, mit ideologischen Dinosauriern auf eine Stufe gestellt zu werden und für den Machtkampf einer aussterbenden Machoelite als Weichlinge dastehen zu müssen?

Weil man bereits zu lange schweigend zugesehen hat? Weil man allzu oft Zeuge von Diskriminierung wurde und aus Peinlichkeit geschwiegen hat? Weil mit jedem Mal Schweigen die Peinlichkeit größer wird, die Schwelle, sich ihr zu entziehen, höher? Aber wäre dann nicht gerade jetzt der günstigste Moment, um aus diesem Kreislauf auszubrechen, aufzustehen, den Frauen solidarisch zur Seite zu stehen? Und daraus zu lernen, dass künftig nicht auf den großen Skandal gewartet werden sollte, sondern die Solidarität unter Männern und Frauen im Alltag gelebt werden sollte?

Begriffe wie "Tussi" dürfen nicht hingenommen werden

Nicht erst wenn Frauen beleidigt oder gar körperlich bedrängt werden, sollte die Solidarität der Männer greifen und Widerspruch erhoben werden. Die Verantwortung beginnt bei den Denkweisen an sich, der Widerspruch ist zu erheben, sobald sie sichtbar oder hörbar werden. Wir sollten es nicht mehr unwidersprochen hinnehmen, wenn Frauen als "Hasen" bezeichnet und damit als Objekt einer Jagd betrachtet werden. Es ist höchst an der Zeit, lautstark zu protestieren gegen pauschalierend abwertende Begriffe wie "Tussi" oder rein auf die Sexualität reduzierende Ausdrücke wie "Muschi" (immer wieder von besonders unwitzigen Zeitgenossen verwendet). Egal ob Frauen anwesend sind oder nicht, was gesagt werden muss, kann und darf nicht durch Schweigen verdrängt werden.

Niemand behauptet, dass Zivilcourage ein gemütlicher Spaziergang ist, aber wenn sie nicht geübt wird, bleiben die Probleme ungelöst, entsteht Stillstand und damit Rückschritt. Rückschritt, der in der Tat in den Krieg der Geschlechter führen würde. Langfristig betrachtet ist damit Zivilcourage für beide Seiten der höhere Gewinn.

Männer gestalten Emanzipation der Geschlechter mit

Wenn die Männerwelt nicht ihr Gesicht verlieren will, wenn wir nicht genau jene Weichlinge sein wollen, als die uns so mancher Möchtegernmännerverein darstellt, wenn wir nicht als die armen, hilflosen Opfer des ach so bösen Feminismus unserem gesellschaftlichen Untergang entgegenweinen wollen, dann ist es Zeit, von der passiven in die aktive Rolle zu wechseln, die Emanzipation der Geschlechter gemeinsam zu tragen und den Ewiggestrigen zu zeigen, dass wir uns als Männer nicht mehr in die alten Rollen pressen lassen wollen.

Dass wir uns nicht mehr zerreißen lassen wollen zwischen den Extremen, Macho zu sein oder hilfloser Weichling. Dass wir keine künstliche Grenze wollen zwischen Männern und Frauen, sondern die Grenze dort gezogen werden muss, wo Würde und Respekt beider Geschlechter infrage gestellt werden. Wir können als Teil eines neuen Bewusstseins zwischen Männern und Frauen unseren Beitrag leisten und unser Gesicht wahren, oder wir werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir als lernresistente, im Selbstmitleid versinkende Schwächlinge enden. (Andreas Bogeschdorfer, Leserkommentar, derStandard.at, 11.2.2013)