Diese gestrickte Erinnerung an frühe Tage des frauenpolitischen Engagements wurde am 19. März 2011 über den Wiener Ring getragen.

Foto: dieStandard.at

Laut Veranstalterinnen nahmen an der Jubiläumsdemonstration 10.000 bis 15.000 Menschen teil.

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Im Frühjahr 2010 formierten sich die Frauen in Wien neu. Das 100-jährige Jubiläum der ersten großen Demonstration für Frauenrechte am 19. März 1911 auf der Wiener Ringstraße nahte, und Aktivistinnen, feministische Organisationen und auch Parteien wollten diesem Ehrentag die nötige Aufmerksamkeit verschaffen.

Damit das gelingt, wurde ein Jahr vor dem Jubiläum die Initiative "Plattform 20.000 Frauen" gegründet, die politische Initiativen, Flashmobs, Diskussionen, kurz: den feministischen Aktivismus durch Bündelung der Kräfte wieder sichtbarer machte. Dieser Prozess, von der Gründung der Plattform bis zur höchst erfolgreichen Großdemonstration im März 2011, wurde in einem Buch festgehalten, das Ende vergangenen Jahres erschienen ist. Doch "Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung, Reflexion, Vision" geht über eine Dokumentation der Neuformierung und Konzentration feministischen Engagements, das sich in dieser Zeit in Unmengen von Aktionen niederschlug, weit hinaus. Wissenschaftlerinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen verschiedenster Generationen schätzen in diesem Buch den feministischen Status quo in Österreich ein, kommentieren und liefern Aus- und Rückblicke.

Zwischen Fort- und Rückschritt

Die Herausgeberinnen Hilde Grammel und Birge Krondorfer erinnern in ihrer Einleitung daran, wofür vor hundert Jahren gekämpft wurde: Frauenwahlrecht, Frieden, Acht-Stunden-Tag, Senkung der Lebensmittelpreise, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und gleicher Lohn für gleiche Arbeit. So lauteten einige der Forderungen. Manche davon warten - mehr als hundert Jahre später - noch immer auf ihre Umsetzung. Das wird auch an den aktuellen Forderungen deutlich, die auf der Website der Plattform im Vorfeld der Jubiläumsdemonstration gesammelt wurden und die im Buch abgedruckt sind. Wie beim 100-jährigen können nun auch beim nächsten großen Jubiläum die Entwicklungen einer Prüfung unterzogen werden: Haben wir es geschafft, die Forderungen nach umfassender Gleichstellung von gleichgeschlechtlich liebenden Paaren, nach Einkommensgerechtigkeit oder nach flächendeckenden Kinderbetreuungseinrichtungen ab dem ersten Lebensjahr umzusetzen?

Die Auflisten der Forderungen von 2011, die zahlreichen Bilder von den Veranstaltungen und Aktionen vor und nach der Jubiläumsdemonstration und die Sammlung der Redebeiträge von der Demonstration machen das Buch somit zu einem wichtigen Zeitdokument.

"Wer hat die Hosen an?"

Und auch an den Beiträgen der Autorinnen werden sich künftige Entwicklungen oder Stagnationen beobachten lassen. Ulli Weish und Brigitte Theissl beschäftigen sich beispielsweise mit dem Umgang der Medien mit dem feministischen Aktivismus rund um die Großdemonstration. Obwohl die Aktivistinnen versuchten, manch gängige Medien-Spielregel mitzudenken (die Autorinnen zählen "Neuigkeit geht vor bekannte Problematik" und "Prominenz statt Expertise" auf), blieb ihnen die Enttäuschung nicht erspart, schreiben Theissl und Weish. Vor allem in den österreichischen Qualitätsmedien kamen die Aktivitäten rund um das 100-Jahre-Frauentag-Jubiläum zu kurz, kritisieren die Autorinnen. Und wenn das Thema aufgegriffen wurde, folgte die Umsetzung einem "österreichischen Missverständnis" über geschlechterspezifische Fragestellungen, das die Autorinnen so zusammenfassen: "Wer ist oben, wer ist unten? Wer wird erniedrigt und wer erhöht sich auf welche Kosten?" Ein völlig falsches Verständnis, so die Autorinnen, das auch der ORF bediente, indem er eine Ausgabe des "Bürgerforums" mit "Wer hat die Hosen an?" betitelte. 

Die Politologin Gudrun Hauer beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Verschwinden der "Lesbe" oder der "lesbischen Frau" und den Konsequenzen dieses sprachlichen Phänomens, das ihrer Einschätzung nach zum "Verschwinden des (politischen) Subjekts Lesbe/lesbische Frau" führt. Der Diskurs über die eingetragene Partnerschaft laufe etwa vorwiegend über Begriffe wie "Homo-Ehe" oder "Schwulenehe". Im Zuge dieser Verdrängung kritisiert Hauer auch den vor allem von jüngeren Menschen gerne verwendeten Begriff "queer". Er sei die "perfekte Form", sich nicht deklarieren zu müssen, denn während die Bedeutung von "lesbisch" jedeR verstehe, "würden meine NachbarInnen im Gemeindebau nur Bahnhof verstehen, wenn ich mich als 'queer' bezeichnen würde", schreibt Hauer.

Geschichte fortschreiben

Die Kommunikationswissenschaftlerin Brigitte Geiger beleuchtet vier Jahrzehnte autonomer Frauenbewegung in Österreich. Geiger erinnert an die ersten Impulse durch Frauengruppen aus den USA, den Niederlanden und Italien und die erstarkenden Debatten um die Abtreibungsfrage in den 1960ern. Eine weitere wichtige Entwicklung war die Transformation der österreichischen Bewegung in eine Frauenprojektbewegung in den 80ern, die am Aufbau einer feministischen Gegenkultur arbeitete. Bis die Autorin in der feministische Gegenwart ankommt, kann mit Erstaunen festgestellt werden, welche Unmengen an politischer Arbeit in den letzten Jahrzenten geleistet wurden.

Mit der Gründung der "Plattform 20.000 Frauen" wurde diese Arbeit wieder stärker auf einen Nenner gebracht, was der Vielfalt an Positionen und Zugangsweisen zur feministischen Arbeit keinen Abbruch tut. Davon zeugen auch das im Buch abgedruckte Gespräch unter den Plattform-Aktivistinnen und die vielfältige Textpalette. Das Buch "Frauen-Fragen. 100 Jahre Bewegung, Reflexion, Vision" schreibt Teile der beeindruckenden Geschichte der Arbeit von Feministinnen nicht nur nieder, sondern auch fort. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.2.2013)