
Gesundheitsminister Alois Stöger ärgert sich über die Pläne der Innenministerin. Sie will Ersatzmedikamente für schwer Opiatabhängige reduzieren.
Der Anstieg wirkt dramatisch: Glaubt man dem Bundeskriminalamt, dann greifen immer mehr Jugendliche zu illegalen Drogen. Seit 2006 hat sich die Zahl der Anzeigen gegen 14- bis 18-jährige Suchtmittelbesitzer auf 670 im Jahr verdoppelt. Das Gros sind Kiffer: 84 Prozent der Fälle entfallen auf Haschisch und Marihuana.
Die Statistik hat Johanna Mikl-Leitner aufgerüttelt. Im Herbst präsentierte die Innenministerin eine Anti-Drogenstrategie, die bessere Prävention, aber auch mehr Überwachung verspricht und die Substitutionstherapie für Süchtige hinterfragt. Nun will die ÖVP-Politikerin die spektakulärste Maßnahme in Angriff nehmen. In Pilotprojekten in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich sollen Drogenkonsumenten per Haaranalyse überführt werden. Der "Vorteil" gegenüber den üblichen Harntests: Drogenkonsum kann je nach Haarlänge monate- bis jahrelang zurückverfolgt werden.
Der Wahlkampfgag einer Ministerin, die eine harte Hand beweisen will? Oder existiert tatsächlich ein wachsendes Drogenproblem, das eine politische Wende verlangt? DER STANDARD hat bei etlichen Experten nachgefragt - und keinen gefunden, der die Polizeidaten als Beleg ernst nimmt. "Wenn ich beim Novarock-Festival auf die Wiese fünf Beamte hinstelle, werden sie 5000 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz machen können, wenn ich zehn hinstelle, werden es 10.000 sein", sagt Ewald Höld, Leiter des Wiener Instituts für Suchtdiagnostik: "Anzeigen sagen also kaum etwas aus."
Auch Johanna Schopper vermutet eine Aktion scharf als Ursache des rasanten Anstieges. Die im Gesundheitsministerium angesiedelte Drogenkoordinatorin Österreichs verweist auf den offiziellen Drogenbericht, der "in keiner Weise eine Dramatisierung" belege: Demnach liegt die Zahl der Bürger mit "problematischem", weil gesundheitsgefährdendem Konsum konstant bei 30.000 bis 34.000. In aller Regel sind laut Schopper Opiate wie Heroin im Spiel, Kiffer zählten gemäß europaweit geltender Definition nicht zu dieser Gruppe.
Einschlägige Erfahrungen haben freilich viel mehr Menschen gemacht. In den Sechzigerjahren seien Drogen "im Mainstream" angekommen, sagt Alfred Uhl vom Anton Proksch-Institut, Europas größtem Rehabilitationszentrum für Suchtkranke: Genauso, wie man heute auf Abenteuerurlaub in gefährliche Länder fahre, sei auch die Lust auf Experimente mit illegalen Substanzen gestiegen. Der Genuss des euphorisierend und halluzinogen wirkenden Cannabis wurde zum Massenphänomen: Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Österreicher hat schon einmal am Joint gezogen.
Allerdings beließen es die meisten bei einzelnen Versuchen, ergänzt Uhl, der ebenso wenig ein wachsendes Drogenproblem erkennen kann: "Weit über 90 Prozent hören relativ rasch wieder auf - etwa, wenn sie älter werden oder Familie gründen." Da diese breite Mehrheit ohnehin in keine Suchtlaufbahn steuere, brauche es auch keine "Warnschüsse" - Langzeittests à la Mikl-Leitner brächten nur unnötige Scherereien. Wirklich "gefährlich" sei eine "Dämonisierung" aber für Risikogruppen. Drogenkarrieren bauten auf sozialen, psychischen und anderen Problemen auf, warnt der Psychologe: Fliegt ein labiler Jugendlicher dann etwa von der Schule, weil ihn ein Drogentest überführt hat, "wird die Weiche erst recht aufs falsche Gleis gestellt".
Wer von der Polizei nur mit einem einzigen Joint erwischt wird, kann hierzulande - entgegen der Annahme vieler - enorme Probleme bekommen, denn jeglicher Besitz und die Weitergabe von Drogen gelten als Offizialdelikt: Es blühen eine Anzeige sowie Meldung als Konsument bei Gesundheits- und Verkehrsamt als auch im Gesundheitsressort. Suchtdiagnostiker Höld: "Schon geringere Mengen sorgen dafür, dass Sie künftig anders beamtshandelt werden. Wenn Sie ausreisen wollen, brauchen Sie sich nicht wundern, wenn Ihr Auto zerlegt wird. Und wenn Sie in ein Planquadrat geraten, könnte es sein, dass sie vor Ort zum Pinkeln genötigt werden."
Breite Masse im Kriminal
Vor Gericht landen viele Fälle allerdings nicht. Seit Jahrzehnten gilt hierzulande der Grundsatz "Therapie statt Strafe": Während Dealer hart verfolgt werden, sollen Konsumenten vorzugsweise in Behandlung statt vor dem Kadi landen. Sucht sei eine Krankheit, sagt Experte Markus Weißensteiner: "Da hilft kein Gefängnis, sondern ein Arzt oder eine Therapie."
Weißensteiner arbeitet für die Fachstelle für Suchtprävention in Mikl-Leitners Heimatland Niederösterreich, das Repertoire reicht von Aufklärung an Schulen über Beratungsangebote bis zur Therapie. " Haartests zählen nicht dazu", sagt Weißensteiner und ist über die Konsequenzen besorgt: "Soll der große Teil der Bevölkerung, der zumindest einmal im Leben eine illegale Substanz konsumiert hat, mit einem Schwung kriminalisiert werden?" Dass die Abschreckungsmethode " kontraproduktiv" wirke, sei spätestens seit den frühen Achtzigern bekannt, als der Film "Die Kinder vom Bahnhof Zoo" bei Kids mehr Neugier als Abscheu weckte.
Wie flächendeckend die Republik mit den Tests nach heimlichen Kiffern, Koksern und anderen Freunden illegaler Substanzen gescannt werden soll, verriet Mikl-Leitner bisher nicht. Es gehe aber keinesfalls ums "Vernadern", beteuert sie, sondern darum, "jungen Menschen aus der Drogenspirale zu helfen".
Zum Arzt statt zur Polizei
Im Gesundheitsministerium glaubt man ihr kein Wort. Minister Alois Stöger (SPÖ) platzt allmählich der Kragen: "Suchtdiagnostik und -therapie ist Aufgabe der Gesundheitsbehörden, die unausgegorenen Pläne der Innenministerin haben hier nichts verloren." Dass Mikl-Leitner mithilfe der zuständigen Bezirkshauptmannschaften und Gesundheitsbehörden prüfen will, welche Gebiete für ihr Haartest-Pilotprojekt infrage kommen, will Stöger nicht einfach hinnehmen: "Die Innenministerin wäre gut beraten, wenn sie die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen für ihren eigenen Kompetenzbereich einsetzt. Dort hat sie genug zu tun."
Auch Mikl-Leitners Pläne, die Ersatzmedikamente für schwer Opiatabhängige weitgehend zu reduzieren, bringen den Ressortchef auf. Stöger zum STANDARD: "Die Substitutionstherapie ist seit Jahrzehnten parteiübergreifender Commonsense. Ich verwehre mich dagegen, wenn nun mit unausgereiften und von Fachexperten abgelehnten Ideen der bisher erfolgreichen Weg in der Drogenpolitik boykottiert wird." Für eine Politik "auf dem Rücken kranker Menschen" sei er nicht zu haben, sagt der Minister: "Diese Patienten gehören zum Arzt - und nicht in die Polizeistation." (Gerald John/Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 14.2.2013)