Ein Mann in Singapur dirigiert die weltweiten Spielmanipulationen, sagt Declan Hill. Die österreichischen Politiker sollten sich für seine Verhaftung einsetzen.

Foto: Declan Hill

Bei dem Kanadier Declan Hill klingelt seit dem Europol-Bericht über Spielmanipulationen vor zwei Wochen permanent das Telefon. Seit Jahren sensibilisiert seine hartnäckige Aufdeckerarbeit gegen viele Widerstände für das Problem. Mit derStandard.at sprach er darüber, was selbst ihn am Europol-Bericht überraschte, warum die Europameisterschaft bisher vielleicht das sicherste Turnier war und warum es dringend die Courage österreichischer Politiker bräuchte, damit ein bestimmter Mann in Singapur verhaftet wird.

derStandard.at: Viele Leute – auch Verantwortliche der österreichischen Bundesliga – sagen, Europol habe kürzlich keine Neuigkeiten präsentiert.

Hill: (lacht laut)

derStandard.at: Was sagen Sie dazu?

Hill: Ich lache. Da ist ein Widerspruch in dem, was derartige Leute sagen. Einerseits soll das alles nicht neu sein, andererseits fühlen sie sich von Europol schlecht informiert. Europol hat uns einen guten Überblick gegeben. Wenige Leute dürften gewusst haben, dass es mehr als 360 tatsächliche Verurteilungen für Spielmanipulationen in Europa gab. Das sind keine Verdachtsmomente, da hat tatsächlich ein Richter den Hammer draufgeschlagen.

Sie haben auch von mehr als 400 beteiligten Schiedsrichtern, Klubverantwortlichen, Trainern und Spielern gesprochen. Eine große Zahl, die berichtenswert ist. Sie haben auch klargemacht, dass es zusätzlich zu diesen bestätigten Fällen noch viel mehr verdächtige Spiele im europäischen Fußball gab und gibt – mehr, als die Warnsysteme von FIFA und UEFA anzeigen. Ich glaube, viele Offizielle versuchen den Bericht deshalb herunterzuspielen.

Etwas, das selbst für mich vollkommen schockierend ist, ist die Zahl der manipulierten Länderspiele in Asien, Lateinamerika und Afrika.

derStandard.at: Es sollen 150 zwischen 2009 und 2011 gewesen sein.

Hill: Ja. Dieses Ausmaß habe ich nicht gekannt. Wir sprechen hier von einem Schnitt von mindestens einem Spiel pro Woche. Und so viele Länderspiele gibt es ja nicht. Das sind bis zu fünf Prozent betroffene Spiele. Die verantwortliche FIFA hat da ein massives Problem. Ich verdächtige natürlich nicht Sepp Blatter oder sonst jemanden in Zürich, Geld von diesen Leuten zu nehmen. Aber bei 150 Spielen müssen manche Personen von nationalen Verbänden involviert sein.

derStandard.at: Warum wollen weltweit so viele Funktionäre von diesem Problem so wenig wissen? Nur um die Marken ihrer Ligen zu schützen?

Hill: Nein. Ich glaube, es geht tiefer. Ich glaube, es gibt ein massives Problem, und sie würden gefeuert, wenn sie es zugeben würden.

derStandardard.at: Trotzdem halten Sie es für eine gute Nachricht, dass Europol diesen Bericht machte?

Hill: Ja, denn zumindest redet jemand darüber. Als ich das damals aufgedeckt habe, riskierte ich mein Leben und musste dann jahrelang dieser weltweiten "Industrie des Bullshits" beim Wachsen zusehen. Berater, Sportfunktionäre und Leute von Interpol standen bei Konferenzen auf und beteten ihre Allgemeinplätze herunter. Diese Leute haben keine Verhaftung und keine Verurteilung zustande gebracht. Die europäische Polizei hat das geschafft. Dazu ist ihr zu gratulieren.

derStandard.at: Ist das nach all der Ablehnung Ihrer Arbeit jetzt auch ein persönlicher Sieg für Sie?

Hill: Ich wurde nicht allgemein abgelehnt. Viele, inklusive der UEFA, haben es sehr ernst genommen. Einen Tag nach Veröffentlichung meines Buchs "The Fix" habe ich Michel Platini meine Hilfe angeboten. Drei Wochen später berief der eine Konferenz ein, auf der eine UEFA Integrity Unit gegründet wurde, und kurz darauf bat man mich um Hilfe. Mein Buch war nicht der einzige Grund, aber ein wichtiger. Die UEFA hat seither wesentlich bessere Arbeit geleistet als die FIFA. Was fehlte, waren konkrete Aktionen. Europol hat jetzt gezeigt, dass tatsächlich jemand etwas tut.

derStandard.at: Was soll man nun im Kampf gegen Matchfixing tun?

Hill: Wir wissen, wer dahintersteckt. Ein asiatischer Matchfixer. Er muss verhaftet werden.

derStandard.at: Sie sprechen von einem Mann aus Singapur namens Dan Tan?

Hill: Ja.

derStandard.at: Wie wichtig ist Dan Tan wirklich?

Hill: Er steht im Zentrum von Manipulationen rund um die Welt, war auch in Österreich und ist mit den Fällen dort eng verbunden. Über seine Aktivitäten wird unter anderem in Deutschland, Finnland, Ungarn und Italien gesprochen. Allein eine italienische Polizeiermittlung hat mehr als 830 Seiten an Material gegen ihn hervorgebracht. Leute sind bereit, gegen ihn auszusagen. Wenn wir ihn verhaften, wird er uns zu vielen anderen korrupten Leuten führen. Es hätte auch Signalwirkung. Was sagt es einem jungen Spieler, wenn wir nicht einmal diese zentrale Figur mit all diesen Beweisen verhaften können?

derStandard.at: Manchmal bekommt man bei Ihren Statements den Eindruck, diesen Mann zu verhaften würde das Problem komplett beseitigen ...

Hill: Es wird Spielmanipulationen nicht für immer stoppen. Aber es wird die Matchfixer um drei bis fünf Jahre zurückwerfen. Tun wir es nicht, ist es vorbei. Wir sind in einem Krieg, und diese Schlacht müssen wir gewinnen.

derStandard.at: Er wird von Politikern in Singapur geschützt?

Hill: Und von anderen, gegen die er aussagen könnte.

derStandard.at: Wie bekommt man ihn dann in ein Gefängnis?

Hill: Es gibt einen internationalen Haftbefehl gegen ihn. Ihre Leser sollten dem Botschafter von Singapur in Wien einen höflichen Brief schreiben und die Verhaftung und Auslieferung fordern.

derStandard.at: Es ist für alle Seiten schwer zu beweisen, dass ein Spieler in Manipulationen verwickelt ist. Was sollen Klubs beim Verdacht gegen einen Spieler tun?

Hill: (denkt lange nach) Sie einfach aus der Mannschaft werfen. Das ist kein Problem. Ein Problem ist vielmehr, wenn Spieler nicht wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie angesprochen werden. Oft müssen Spieler vermuten, dass Verbandsleute involviert sind. Es braucht eine internationale Integritätseinheit, an die man sich anonym und vertrauensvoll wenden kann.

derStandard.at: Was Länder wie Österreich tun können, ist, eine Hotline einzurichten?

Hill: Ja, aber was wir wirklich brauchen, ist ein österreichischer Politiker, der aufsteht und die Verhaftung von Dan Tan fordert, um durch ihn herauszufinden, wer in Österreichs Fußball korrupt ist – und in Italien, Ungarn, Finnland, Deutschland und vielen anderen Ländern.

derStandard.at: Als wir beide uns vor zwei Jahren bei einem EU-Sportgipfel in Budapest zum Thema Spielmanipulationen trafen, hat WADA-Chef David Howman dort eine WADA-ähnliche Agentur gegen Matchfixing gefordert. (Nach diesem Interview tat Howman das erneut, Anm.) Tut sich da was?

Hill: Ich habe von einigen Plänen gehört. Aber ich glaube, es braucht noch einen großen, Lance-Armstrong-artigen Skandal, der die Fußballwelt erschüttert, bevor wir wirklich alle Kräfte in diesem Krieg mobilisieren können.

derStandard.at: Gibt es derzeit einen Bewerb, der sicher ist?

Hill: Ich glaube, die Europameisterschaft mit ihren 16 Teams war sehr sicher. Vielleicht ändert sich das jetzt, wenn sie das Turnier vergrößern. Aber dort konnte – anders als zum Beispiel bei Weltmeisterschaften – jedes teilnehmende Team gewinnen. Griechenland hat das 2004 bewiesen. Ich habe die Matchfixer davon reden gehört, nach Afrika, zur Frauenweltmeisterschaft, zu Olympia oder zur U17- und U20-WM zu gehen, aber nie über die Europameisterschaft. (Tom Schaffer, derStandard.at, 21.2.2013)