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Seit acht Wochen harren die protestierenden Flüchtlinge in der Votivkirche aus. Am Montag wollen sie entscheiden, ob sie in eine andere Räumlichkeit übersiedeln.

Foto: REUTERS/HEINZ-PETER BADER

Am Montag wollen die protestierenden Flüchtlinge in der Votivkirche entscheiden, ob sie das kalte, zu längerem Verbleib im Grunde völlig ungeeignete Gotteshaus, in dem sie seit acht Wochen ausharren, verlassen. Ob sie an einen geheizten Ort übersiedeln, mit Betten in normalen Zimmern. Zum Beispiel in die von der Erzdiözese angebotenen Räumlichkeiten im Wiener Servitenkloster, wo bereits Adaptierungsarbeiten stattgefunden haben.

Wer sich, vor allem seit Beginn des zweiten Hungerstreiks vor zwei Wochen, ein Bild des Zustands jener rund 40 Männer im Matratzenlager machte, kann nicht anders, als zu hoffen, dass sie diesen Schritt wagen! Dass sie nicht erneut auf Aktion Hart setzen, in dem neogotischen Gotteshaus weiter frieren und hungern, was in dem fortgeschrittenen Stadium, in dem sich dieser Protest befindet, mit größter Wahrscheinlichkeit auf ein Ende mit Schrecken hinauslaufen würde.

Weil dann wohl einer nach dem anderen Schwächeanfälle erleiden und von den Notärzten der Johannitern ins Spital gebracht werden müsste, bis so wenige in der Kirche übrig sind, dass der Protest in sich zusammenfällt. Oder, dass erneut Provokateure in der Kirche auftauchen, so wie schon die rechtsextremen Identitären am vergangenen Sonntag, den 10. Februar, und es diesmal im Unterschied zu damals zu Gewalttaten und in der Folge zu einem Polizeieinsatz kommt.

Freude für die FPÖ

Ein Ende mit Polizeiintervention würde vor allem der FPÖ und anderen Rechten in die Hände spielen, die genau das seit Wochen laut fordern. Sie würden auftrumpfen, denn dann hätten sie es ja schon immer gesagt: nur Härte wirke.

Doch auch manche UnterstützerInnen würde ein Ende durch gesundheitliche Zusammenbrüche oder die Macht der Exekutive offenbar nicht wirklich schrecken. Jene, denen es weniger um die hungerstreikenden Flüchtlinge selbst als um eine Protestbewegung rund um diese geht (andere, moderatere Gruppen, die die Forderungen der Flüchtlinge ihrerseits bündeln und vertreten könnten, sind vorort ja leider nicht anwesend).

Im Flugblatt der DemoorganisatorInnen von Samstag, den 16.2. wird, neben "Solidarität mit der Flüchtlingsbewegung" und "Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen", auch ein "Ende der Repression" gefordert. Letztere – Repression – wird dabei nicht nur, zum Beispiel, in der brutalen Räumung des Refugee-Camps im Sigmund-Freud-Park durch die Polizei Ende Dezember erblickt, sondern auch in den Handlungen der Erzdiözese und der Caritas. Die Zugangskontrollen außerhalb der Messezeiten hätten die Votivkirche fast zu einem Gefängnis gemacht, heißt es. Dass die Kontrollen ursprünglich zum Schutz der Protestierenden und mit ihrem Einverständnis eingeführt wurden, nachdem Betrunkene und Stänkernde ungehindert ins Gotteshaus gekommen waren, haben sie offenbar vergessen.

Gefährliche Vereinnahmung

Im Unterschied zu Kirche und Caritas würden sie die Flüchtlinge nicht bevormunden und kontrollieren, behaupten besagte UnterstützerInnen. Dafür haben sie aber anscheinend wenig Hemmung, Politik unter Zuhilfenahme und im Namen der Gruppe verzweifelter Männer in der Votivkirche zu machen. Im Namen einer "transnationalen" oder auch "themenübergreifenden" Bewegung nehmen sie sie als Beispiel für Proteste, wie sie sie meinen, her und bürden so den Exponiertesten – den protestierenden Flüchtlingen – allein das Risiko auf.

So lehnte etwa eine Sprecherin der Sozialistischen Linkspartei (SLP) und Demo-Mitanmelderin vom 16. Februar Deeskalationsmaßnahmen wie einen Umzug ins Kloster ab. Die Kirche agiere doppelzüngig, wolle den Protest brechen. Dabei hätten ernstzunehmende Proteste schon immer das "scheinbar Unmögliche" gefordert, von ArbeiterInnenrechten hin zur Frauengleichstellung. Auch jetzt, bei den Forderungen der Flüchtlinge, verhalte es sich so.

Solche Positionen sind mehr als ärgerlich: Wie kann man angesichts von Hungerstreikenden auf der Kippe zum Zusammenbruch nur vom Reiz des "scheinbar Unmöglichen" reden? Da klingt Verantwortungslosigkeit im Namen "übergeordneter Ziele" durch, so wie sie Einzelne und Gruppen mit gesellschaftsumwälzenden Plänen historisch schon oft an den Tag gelegt haben: man schaue sich die Geschichte der Linken hin zum Realem Sozialismus an. Das macht sie unsympathisch und manchmal gefährlich.

Verantwortung übernehmen

Stattdessen ist vielmehr geboten, Mitmenschen gegenüber Verantwortung an den Tag zu legen – ganz besonders in Situationen, wo diese unter Druck stehen. Wer dies beherzigt, wird in der Votivkirche eine Gruppe ins Eck getriebener, gesundheitlich ziemlich bis schwer angeschlagener Männer vorfinden, die von Caritas, Johannitern sowie etlichen ehrenamtlichen HelferInnen – vom Studierenden zu PensionistInnen – so gut es geht betreut werden.

Das fortgesetzte Hungern hat die Protestierenden sehr geschwächt, sodass sie dem Kreuzfeuer verschiedenster Eindrücke, Ratschläge, Vereinnahmungsversuche und Anwürfe zunehmend wehrlos ausgeliefert sind. So sickert ihnen etwa die Erkenntnis nur langsam ein, dass so, wie die Gewalten- und Kompetenzenteilung in einem europäischen Land wie Österreich funktioniert, für sie keine Aussicht auf Zusage von Bleiberecht für alle Gruppenangehörigen existiert. Sondern dass es vielmehr nur Einzelfallprüfungen geben kann. Das hat ihnen diese Woche auch Bundespräsident Heinz Fischer in seinem Brief auseinandergesetzt.

Ebenso fällt es ihnen schwer, zu verstehen, dass sinnvolle, im Grunde überfällige Reformen wie Arbeitsmarktzugang und Bildungsmaßnahmen für AsylwerberInnen, oder auch bessere DolmetscherInnen, durch diesen Hungerstreik nicht durchsetzbar sind. Sondern, wenn im heutigen Österreich überhaupt, dann nach einem längeren Diskussionsprozess. Hier machen ihnen besagte UnterstützerInnen offenbar zudem unrealistische Hoffnungen.

Kollektive Regression

Die Außenpolitikjournalistin Livia Klingl, die sich in der Kirche mit fünf Protestierenden aus Pakistan ausführlich auseinandergesetzt hat, sieht die Gruppe als inzwischen in einer Art kollektiven Regression verfangen: Vor dem Hintergrund ihrer meist katastrophalen Lebenserfahrungen würden sie sich an das klammern, was sie derzeit hätten: Zusammenhalt um den Preis von Selbstschädigung auf einem harten Lager in einer kalten Kirche. Klingl spricht von einer Art Stockholmsyndrom.

Tatsächlich sind die Erfahrungen, die die meisten der Gruppe – hauptsächlich Pakistanis aus Regionen an der afghanischen Grenze, wenige Afghanen und Maghrebiner – bisher durchlebt haben, in ihrer Brutalität für durchschnittliche Mitteleuropäer nur schwer nachvollziehbar. Europäern, die seit Jahrzehnten von Krieg und Zerstörung verschont sind, fehlt vielfach Empathie und oft wohl auch Interesse dafür. Klingl hat sich zum Beispiel näher mit der Geschichte des Ältesten in der Gruppe, Adalat Khan, beschäftigt. Der 47-jährige Pakistani stammt aus dem Swat-Tal an der Grenze zu Afghanistan, früher die "Schweiz Pakistans", bis sie von den Taliban überrollt wurde.

Khan engagierte sich für die sekuläre Awami National Party und musste daher 2005 fliehen. Er musste Frau, Eltern und Kinder zurücklassen. Er schaffte es bis nach Griechenland, einem EU-Staat ohne funktionierendes Asylsystem, wo er sieben Jahre versuchte, zu überleben. Die Erlebnisse auf der Flucht und der Kampf um die schiere Existenz waren schwer traumatisierend. Bei einer brutalen Polizeikontrolle wurde er verletzt: Weil Flüchtlinge in Griechenland nur sehr schwer Zugang zu medizinischer Versorgung finden, chronifizierte sich das Problem.

Furchtbare Odyssee

2012 kratzte er Geld zusammen und kam nach Mitteleuropa. Er strandete in Österreich. Hier wurde er zwar untergebracht und medizinisch versorgt – es stellte sich heraus, dass er an mehreren, durch Entbehrungen verursachten Krankheiten leidet -, aber er wurde in einen Gasthof im Waldviertel verlegt, weitab von jeder passenden Infrastruktur. Dort, so schildert er, lernte er AsylwerberInnen kennen, die aufgrund von Isolation und Untätigkeit "im Kopf schon ganz wirr geworden" seien.

Also verließ Khan Grundversorgung und soziale Absicherung, kam nach Wien – und in der Folge in Kontakt mit anderen verzweifelten und aufgebrachten Flüchtlingen. Khans Zorn und seine Verzweiflung haben einen ganz konkreten Grund: Nach seiner jahrelangen, furchtbaren Odyssee hat er auch in Österreich nur eine marginale Aussicht, Fuß fassen zu können.

Denn er gilt als Dublin-II-Fall: Zuständig für seinen Asylantrag ist laut dieser EU-weiten Regel Griechenland. Dorthin kann er aufgrund von Entscheidungen des Straßburger Menschenrechts- und Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zwar nicht zurückgeschickt werden, aber aus diesem Grund bekommt man in Österreich noch lange keine Aufenthaltsbewilligung.

So und so ähnlich schauen die Erfahrungen aus, die zu den für viele in Österreich in ihrer Radikalität und Zähigkeit unverständlichen, ja gefährlich erscheinenden Flüchtlingsprotesten geführt haben. Es sind Erfahrungen, die Schutzsuchende im heutigen, sich so weit als möglich abschottendem Europa in großer Zahl machen. Darüber sollte man reden – aber im Wiener Votivkirchen-Fall hoffentlich nach einer Abkühlphase an einem anderem, komfortableren Ort, nachdem die 40 Männer Zeit hatten, sich wieder ein wenig zu fassen. (Irene Brickner, derStandard.at, 16.2.2013)