Benedikt XVI. war "ein Neuformulierer des Immergleichen", kritisiert Bischof Michael Bünker.

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STANDARD: Der Papst ist zurückgetreten. Wie interessant ist das für die evangelische Kirche?

Bünker: Für die evangelische Kirche hat der Rücktritt einen positiven Aspekt. Er zeigt, dass die Ämter in der römisch-katholischen Kirche nicht mehr als übernatürliche und übermenschliche Aufgaben gesehen werden, sondern dass man auch in diesen Aufgaben das Maß des Menschlichen wahren kann. Da sind Äußerungen wie etwa die vom polnischen Bischof, Stanislaw Dziwisz, unverständlich, der gesagt hat: "Vom Kreuz steigt man nicht herunter." Als würde irgendjemand in einer kirchlichen Position sich mit dem gekreuzigten Christus vergleichen dürfen!

STANDARD: Weil sich die evangelische Kirche daran stößt, dass sich der Papst als Gottes Stellvertreter auf Erden bezeichnet?

Bünker: Natürlich. Das ist eines der Anliegen der Reformationszeit - wobei sich die Reformation nicht am Papstamt entzündet hat. Aber es war bald klar, dass das Papstamt - vor allem, wenn es nach göttlichem Recht verstanden wird - dem widerspricht, wie Evangelische die Kirche verstehen. Das ist ein Hindernis in der Ökumene.

STANDARD: Wie ist das mit dem Rücktritt in der evangelischen Kirche geregelt?

Bünker: Bei uns geht man mit 65 Jahren in Pension. Die Ämter, gleich ob Pfarrer oder Bischof, sind auf zwölf Jahre befristet. Der Pfarrerberuf soll nicht anders organisiert sein als weltliche Berufe.

STANDARD: Verstehen Sie den Personenkult um den Papst?

Bünker: Oft hören wir: Im globalen Medienzeitalter geht es nicht ohne. Ich gebe die Frage also an Sie zurück.

STANDARD: Hätten Sie denn gerne mehr Kult um Ihre Person?

Bünker: Nein, auf gar keinen Fall. Es ist in der evangelischen Kirche besonders wichtig, immer sichtbar zu machen: Das einzige Haupt, das wir haben, ist Jesus Christus. Kein Mensch und kein Star. Und schon gar nicht der Papst in Rom.

STANDARD: Die Ökumene hat unter Ratzinger einen Rückschritt erlebt, keinen erhofften Fortschritt. Was bedeutet sein Rückzug hier?

Bünker: Er ist zumindest einer, der den Protestantismus im Mutterland der Reformation sehr gut gekannt hat. Daraus hätte man schließen können, dass in seinem Pontifikat der Protestantismus wichtig sei und wahrgenommen werde. Ich weiß nicht, was für ein Bild des Protestantismus der neue Papst mitbringt, wenn er etwa aus Afrika oder Lateinamerika kommt. Das wird nicht der europäische, sehr akademisch geprägte sein, sondern vielleicht der freikirchlich-charismatische. Das kann spannend werden. Der bisherige Papst, der den europäischen Protestantismus aus dem Effeff kennt, hat für Verständigung jedenfalls keine Impulse gesetzt.

STANDARD: War vorherzusehen, dass Ratzinger die Ökumene so gar kein Anliegen sein wird?

Bünker: Ja. Er war ein Bewahrer der katholischen Tradition, ein Neuformulierer des Immergleichen, etwa wenn er immer betont hat, dass die Evangelischen keine Kirche, sondern nur eine kirchliche Gemeinschaft seien.

STANDARD: Ist es denn wichtig, dass der Papst die Evangelischen als Kirche anerkennt?

Bünker: Mir ist das vollkommen egal. Wir wissen, dass wir Kirche sind. Wir brauchen von niemandem die Anerkennung. Nur im konkreten Miteinander spielt es doch eine Rolle. Wenn etwa wir erwarten, dass die katholische Kirche Evangelische zur Eucharistie zulässt, die mit Katholiken verheiratet sind. Und die katholische Kirche es nicht zulässt, weil sie auf dem Standpunkt steht, dass wir keine Kirche im eigentlichen Sinn sind. Ich persönlich brauche keine Anerkennung aus Rom.

STANDARD: In welcher Phase befindet sich die Ökumene momentan?

Bünker: Wir befinden uns in einer Phase der Neujustierung. Denn dass wir sie brauchen, ist keine Frage. Es geht darum, ein Modell des gemeinschaftlichen Miteinanders zu entwickeln.

STANDARD: Was ist Ihre Vision?

Bünker: Ich sage Ihnen zuerst, was sie nicht ist: die volle sichtbare Einheit der Kirche unter dem Papst. Das wird für Evangelische immer unmöglich sein. Möglich ist eine lebendige Gemeinschaft von Kirchen, die miteinander Abendmahl feiern und Ämter austauschen. Hier kommt etwa die Frage der Frauenordination ins Spiel.

STANDARD: Wie rege ist denn der evangelisch-katholische Austausch, den Sie haben, auch im deutschsprachigen Raum?

Bünker: Der Austausch findet auf verschiedenen Ebenen statt. Die wichtigste ist die an der sogenannten Basis. Es gibt viele Gemeinden, die viel gemeinsam machen. Ich habe vor kurzem an einem Sonntagvormittag in einer katholischen Gemeinde gepredigt. Das war für die Leute dort selbstverständlich. Die zweite Ebene ist das Gespräch der Experten und Theologen. Das ist weit gediehen. In vielen Fragen ist man sich da schon einiger als auf der dritten Ebene, nämlich der der Repräsentanten der Kirchen. Die sind zwar im Austausch, aber da geht es immer auch um Interessen, manchmal um Machtfragen.

STANDARD: Geht die Ökumene auf Kosten der Minderheiten zugunsten der Mehrheit, wie eben der katholischen Kirche?

Bünker: Die Ökumene hat der evangelischen Kirche gutgetan.

STANDARD: Wie wichtig ist sie Ihnen persönlich?

Bünker: Die evangelische Kirche in Österreich kommt aus einer Geschichte der Untergrundexistenz. Sie hat also schon von daher die Neigung - wie jede Minderheit - sich abzuschotten und ein selbstgewähltes Ghetto einzunehmen. Das tut einer Kirche nie gut. Insofern ist mir Ökumene sehr wichtig. Und dann ist Ökumene ja generell die weltweite Verbundenheit der Kirche. Wir haben etwa die Partnerschaft mit der Kirche in Ghana, es gibt eine ganze Reihe von fest verankerten Beziehungen. Die bringen auch das Weltweite, wenn man will das Katholische der evangelischen Kirche zum Ausdruck.

STANDARD: Was ist das Katholische an der evangelischen Kirche?

Bünker: Diese "Weltweitheit". Nicht römisch-katholisch, sondern katholisch. Das heißt ja eigentlich nur "umfassend".

STANDARD: Was wird von Benedikt XVI. bleiben?

Bünker: Auf jeden Fall seine gesammelten Schriften. Während seiner Amtszeit hat er drei Jesus-Bücher geschrieben, was ungewöhnlich war, schließlich hat man damit nicht gerechnet. Ein Papst schreibt normalerweise nicht Bücher unter seinem Privatnamen. Er hat dann eingeladen, um darüber zu diskutieren, aber es waren alle dann doch ein bisschen gehemmt. (lacht) Josef Ratzinger hat die Theologie nie losgelassen. Vielleicht auch seine Liebe zu Katzen wie man hört, oder zum Klavierspielen - das macht ihn auch wieder sympathisch. Was wird bleiben von ihm? Er hat drei Enzykliken verfasst. Da muss man nicht alles teilen, was drinnen steht, aber gedanklich und sprachlich sind sie großartig. Schöne Texte, gut zu lesen, gescheit. Wenn das jemand zur Hand nimmt und etwas damit anzufangen weiß, wird das bleiben. Sonst sind die Probleme in der römisch-katholischen Kirche nicht gelöst, wie das Auseinanderklaffen der Meinung der Kirchenhierarchie und der Mitglieder zeigt. Das wäre in einer evangelischen Kirche so nicht möglich. Da würde man den Bischof einfach abwählen.

STANDARD: Gibt es für die Nachfolge einen Lieblingskandidaten aus evangelischer Sicht?

Bünker: Nein. Da ist mir dann schon jeder recht. (Saskia Jungnikl, DER STANDARD, 18.2.2013)