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Buddhismus basiert auf der Erkenntnisfähigkeit und Eigenverantwortung des Einzelnen. Daher gibt es auch keine fixen Speiseregeln.

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Im Juli vergangenen Jahres erhielt Gerhard Weißgrab das Große Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich.

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"Ich übe mich darin, keine fühlenden Wesen zu schädigen oder zu töten", lautet die erste der fünf buddhistischen Ethikregeln. Denn dieser Religion liegt primär ein Ziel zugrunde: bestehendes Leid aufzulösen und Entstehen von neuem Leid zu verhindern.

Eine logische Konsequenz wäre der Verzicht auf Fleisch, um Tieren die Qualen der modernen Fleischindustrie zu ersparen. Wieso dennoch nicht alle Buddhisten Vegetarier sind und das der Lehre des Buddha nicht unbedingt widerspricht, erklärt Gerhard Weißgrab, der Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft (ÖBR).

Das Tier ist dem Menschen nicht untertan

"Die Stellung von Mensch und Tier ist anders als bei vielen anderen Religionen", sagt Weißgrab. Vor allem sei der Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht so groß. Der Mensch habe im Buddhismus auch keine überragende hierarchische Position in der Welt und keinen Auftrag, sich die Erde und damit die Tiere "untertan zu machen", wie es in einer Bibelstelle heißt. "Er ist nicht die Krone der Schöpfung", betont Weißgrab. 

Die Stellung der Tiere in den Religionen ist meist mit der Frage verknüpft, ob Tiere eine Seele haben. Im Buddhismus kann das konkret mit einem Nein beantwortet werden. Das gilt aber auch für den Menschen. Denn eine Seele, wie sie im christlichen Abendland beschrieben wird, bedeutet einen unveränderlichen Kern. Buddhisten sehen das anders: Geist und Körper sind einem ständigen Wandel unterworfen.

Reflexion als Unterschied

Wodurch sich die Menschen aber von anderen Lebewesen unterscheiden, ist die Fähigkeit zur Reflexion. Dadurch entstehen aber keine gesonderten Rechte, sondern - ganz im Gegenteil - die Verpflichtung, aus den gewonnenen Erkenntnissen ein ethischen Handeln abzuleiten, so Weißgrab.

Das lässt sich auch auf den Umgang mit Tieren übertragen: Wären alle Menschen im Sinne der buddhistischen Lehre erwacht, würde es auch einen leidfreien Umgang mit Tieren geben. "Das ist aber nicht der Fall", sagt der ÖBR-Präsident. Das zeige sich vor allem in Tierfabriken, grausamen Tiertransporten und überhaupt im Umgang mit Tieren in den asiatischen Ursprungsländern des Buddhismus.

Buddhismus als Erkenntnisreligion

Um die Beziehung des Buddhismus zu Tieren zu verstehen, ist grundsätzlich eines zu betonen: Der Buddhismus ist frei von Dogmen. Auch Buddha, übersetzt bedeutet der Name der Erwachte, war kein Gott oder Prophet, sondern ein Mensch: Siddharta Gautama.

"Es ist eine Erkenntnisreligion und keine Glaubensreligion", sagt Weißgrab. Die kürzeste Formel für die Beschreibung des Buddhismus sei: Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen zu üben und ständiges Streben nach Weisheit. Da die buddhistische Religion auf Eigenverantwortung basiere, gebe es auch keine fixen Speiseregeln.

Vegetarismus wird nicht verlangt

In der Lehre von Buddha finden sich also keine klaren Anweisungen für eine vegetarische oder vegane Lebensweise. "Bei ehrlicher und tiefer Betrachtung der Ethikregeln empfiehlt sich jedoch zumindest eine vegetarische Ernährungsform", meint der ÖBR-Präsident. Eine Umstellung der Ernährung sollte jedoch durch Einsicht erfolgen und nicht durch Verbote oder Vorschriften.

"Das ist wohl immer wieder überraschend, dass nicht alle Buddhisten Vegetarier sind - auch für andere Buddhisten", sagt Weißgrab. Auch er selbst ist erst seit einigen Jahren Vegetarier. "Das war ein langer Weg", räumt er ein. Er habe zwar immer ein Unbehagen beim Verzehr von Fleisch gespürt, es aber erst an einem gewissen Punkt geschafft, darauf zu verzichten. Nachdem er die Entscheidung getroffen hatte, sei die Umstellung der Ernährung kein Problem mehr gewesen: "Der erhobene Zeigefinger funktioniert nicht. Veränderung entsteht nur durch Bewusstsein und nicht durch strikte Verbote."

Ein Mindestmaß an Stress und Leid

Zudem gibt es im "Edlen Achtfachen Pfad", einem wichtigen Lehrinhalt des Buddhismus, die Anweisung, einen rechten Lebensunterhalt zu pflegen. "Darunter kann zum Beispiel sicher kein Beruf verstanden werden, bei dem Tiere in irgendeiner Form leiden", erklärt Weißgrab. Das schließe auch den leidvollen Handel und brutale Tiertransporte ein. Ein weiterer Teil dieser Überlegungen sei, den in unseren Breitengraden geläufigen Begriff "Nutztier" zu hinterfragen.

Der Buddhismus versteht sich als "Weg der Mitte" und lässt Spielraum für Pragmatismus. Im Umgang mit Tieren seien aber Veränderungen dringend erforderlich, sagt Weißgrab. Das beginne beim Geschäft mit Nutztieren und reiche bis zu Hobbys, deren Zweck es sei, Tiere zu töten oder zu verletzen. "Es wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die industrielle Fleischproduktionsindustrie weit zurückgedrängt und durch eine vernünftige Haltung auf Biobauernhöfen ersetzt wird - ohne verrückte Tiertransporte, teilweise quer durch Europa."

Grenzenloses Wachstum bedeutet in der Natur Krebs

Im Buddhismus werden die Wurzeln allen Leidens in Gier, Verblendung und Hass gesehen. "Gier ist heute sowieso ein tägliches Thema in allen Belangen und Bereichen", meint Weißgrab. Diese Gier zu erkennen und zurückzunehmen, würde nicht nur dem Einzelnen gut tun, sondern auch der Umwelt und den Tieren. "Unser System basiert auf grenzenlosem Wachstum. Ein Blick in die Natur zeigt: Wenn dort grenzenloses Wachstum stattfindet, bedeutet das Krebs", so Weißgrab. Es seien aber nicht nur einzelne Branchen oder Firmen, die falsch agieren, sondern vielmehr handle es sich um ein gesellschaftliches Problem.

Was Weißgrab noch betonen will: Dass sowohl Fleischesser als auch -produzenten nicht apriori als schlecht oder böse stigmatisiert werden dürfen. Eine Bewertung, wer sich auf dem Weg der Erkenntnis wo befinde, sei kein Teil der buddhistischen Praxis, erklärt der ÖBR-Präsident: "Daher sollten wir den Blick ausschließlich auf unseren eigenen Weg richten". (Julia Schilly, derStandard.at, 27.2.2013)