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Postkarte mit dem Vivarium und dem Riesenrad nach 1900. Das Riesenrad wurde reaktiviert, das Vivarium wurde nach dem Krieg abgetragen und verdrängt.

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Heute erinnert noch die Vivariumstraße an den Standort der Biologische Versuchsanstalt (BVA) im Prater.

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Heute ist es nur noch ein Straßenname, der an die Existenz jener Forschungseinrichtung erinnert, an der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Biologie- und Medizingeschichte geschrieben wurde. Die Vivariumstraße im Wiener Prater ist nach jenem Prachtbau benannt, der 70 Jahre lang am Beginn der Prater Hauptallee gestanden war und die Hälfte dieser Zeit ein weltweit führendes Institut für experimentelle Biologie war - bis die Nazis in Österreich einmarschierten.

36 Jahre zuvor hatten drei junge, wohlhabende Biologen aus dem jüdischen Bürgertum das Vivarium-Gebäude, das anlässlich der Weltausstellung 1873 errichtet worden war, in ein privates Forschungsinstitut verwandelt. Der 28-jährige Zoologe Hans Leo Przibram und die beiden Botaniker Wilhelm Figdor und Leopold von Portheim nannten ihr Institut Biologische Versuchsanstalt und statteten diese mit damals modernster Laborinfrastruktur aus. So sollte es möglich werden, durch Experimente mit lebenden Organismen die großen Fragen der Biologie zu beantworten.

Die BVA wurde bald zu einem Vorbild für etliche Forschungsinstitute von New York bis Moskau. Denn auch die Forschungsorganisation war höchst innovativ: Wissenschafter aus verschiedenen Disziplinen arbeiteten interdisziplinär zusammen, es herrschte ein reges Kommen und Gehen von Forschern aus dem In- und Ausland. Viele Dissertationen - so etwa jene des späteren Nobelpreisträgers Karl von Frisch - wurden am Vivarium geschrieben.

Der vielleicht bekannteste BVA-Forscher war der genialisch-exzentrische Zoologe Paul Kammerer, der nach bis heute unaufgeklärten Fälschungsvorwürfen 1926 durch Selbstmord aus dem Leben schied. In den letzten Jahren wiederentdeckt wurde der Physiologe Eugen Steinach, der an der BVA zum Pionier der Hormonforschung avancierte. Weltberühmt wurde der fünfmal für den Nobelpreis nominierte Steinach vor allem durch seine " Verjüngungsoperation": "Sich steinachen zu lassen" war ein in den 1920er-Jahren geflügelter Begriff.

Schenkung an die Akademie

Die Forscher der BVA trugen auch zur Reputation der Akademie der Wissenschaften bei. Um die Existenz der Privatgründung mittelfristig zu sichern, schenkten die drei Gründer ihr einzigartiges Forschungsinstitut nämlich 1914 der Akademie. Doch damit nicht genug: Sie hinterlegten auch noch ein Stiftungsvermögen von 300.000 Kronen, was heute rund zwei Millionen Euro entspricht.

Nach 1918 litt das Forschungsinstitut nicht nur unter den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, sondern auch unter dem immer stärker werdenden Antisemitismus an der Uni Wien: Paul Kammerer etwa scheiterte 1919 aus fragwürdigen Gründen an der Verleihung einer unbezahlten a. o. Professor und gab deshalb seine Forscherkarriere auf. Aus antisemitischen Motiven verhinderten Uni-Professoren die Habilitationen der Zoologin Leonore Brecher und ihres Kollegen Paul Weiss, beide Prizibrams Assistenten, die deshalb ins Ausland gingen. Dennoch gelang es, die Forschungen am Laufen zu halten: Zwischen 1914 und 1938 gingen aus dem BVA rund 280 zum Teil buchlange Studien hervor.

Mit dem Anschluss brach dann die Tragödie über das einzigartige Institut herein. Verantwortlich dafür war in erster Linie der Botaniker Fritz Knoll, der von der NSDAP eingesetzte Rektor der Universität Wien und kurzzeitige Leiter der Akademie, sowie ein gewisser Franz Köck. Der wissenschaftliche Beamte am Vivarium outete sich nach 1938 als Nationalsozialist und maßte sich angesichts der neuen politischen Umstände eine Leitungsfunktion an.

Knoll entzog zunächst Przibram und Portheim den Zugang zum Fonds, den die beiden eingerichtet hatten. (Figdor war kurz vor dem Anschluss gestorben.) Im April 1938 gab Knoll gemeinsam mit dem designierten Akademiepräsidenten Heinrich Srbik folgende Order aus, die kaum zynischer hätte ausfallen können: "Die Biologische Versuchsanstalt wird zur Durchführung unaufschiebbarer Reinigungsarbeiten heute um 18 Uhr geschlossen und bleibt bis 25. April ds. J. gesperrt. Am 26. April 8 Uhr früh wird das Institut für die inzwischen auf Ansuchen mit Zulassungsscheinen beteilten Arbeitenden wieder eröffnet."

Spätestens ab diesem Zeitpunkt war es Hans Przibram und Leopold Portheim, die über 35 Jahre lang die BVA geleitet und diese der Akademie geschenkt hatten, nicht mehr möglich, ihr Institut zu betreten. Przibram musste seine Privatbibliothek zurücklassen. Eugen Steinach war im März 1938 gerade im Ausland und betrat Österreich bis zu seinem Tod 1944 nicht mehr.

Von den weiteren 29 Mitarbeitern im März 1938 waren 15 jüdischer Herkunft. Sie alle mussten die BVA verlassen, fünf weitere gingen im März 1938 freiwillig. Damit verlor die BVA alle Abteilungsleiter und zwei Drittel des Personals. Der Generalsekretär der Akademie stellte die Geschehnisse in seinem Bericht für das Jahr 1938 weniger dramatisch dar: " Die Biologische Versuchsanstalt im Prater ist im Stadium einer Reorganisation sowohl in bezug auf bauliche Ausgestaltung und Verbesserung der Inneneinrichtung als auch in bezug auf die Organisation der wissenschaftlichen Tätigkeit."

Letztere endete in einem Desaster. Die Forschungen Köcks, die vor allem darin bestanden, Sägespäne mit Kleie zu versetzen und das Gemisch als Futtermittel bei Nutztieren zu testen, entpuppten sich als Unfug. Im Herbst 1940 wurde er entlassen, nachdem er zuvor noch für die Zerstörung der Teiche und Terrarien, die Auflassung eines Teils der wissenschaftliche Sammlung und mehrerer Schaukästen, Veränderung der Gartenanlagen, kurzum: "eine schwere Schädigung des Werts der Anstalt" gesorgt hatte, wie es in einem internen Bericht heißt.

Ende im Konzentrationslager

Was aber geschah mit den ehemaligen Mitarbeitern des Vivariums? Hans Przibram konnte noch vor Kriegsausbruch nach Holland flüchten. Am 3. März 1941 wandte sich Przibram an Fritz Knoll, dem Rektor der Uni Wien und BVA-Verantwortlichen, ihm ein Unterstützungsschreiben für seine geplante Reise in die USA zukommen zu lassen.

Das Schreiben wurde von Knoll zwar ausgefertigt, der gesamte Akt ging jedoch pflichtgemäß nach Berlin, womit das Wiener Schreiben gegenstandslos war. Im April 1943 verschleppten die Nazis Hans Przibram und seine Ehefrau ins KZ Theresienstadt, wo Przibram im Mai 1944 an einem Hungerödem starb. Seine Frau Elisabeth, ebenfalls BVA-Mitarbeiterin, beging einen Tag später Selbstmord.

Die beiden waren aber nicht die einzigen Mitarbeiter des Vivariums, die durch den NS-Terror den Tod fanden. Leonore Brecher wurde im September 1942 von Wien aus ins weißrussische Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk deportiert und am Tag der Ankunft ermordet. Von ihrer Kollegin Martha Geiringer, Dissertantin bei Przibram, ist nur bekannt, dass sie Anfang 1943 von Belgien nach Auschwitz gebracht wurde.

Der Physiologe Heinrich Kun, engster Mitarbeiter von Eugen Steinach, starb in einem unbekannten Lager in Jugoslawien. Henriette Burchardt, ebenfalls viele Jahre bei Steinach beschäftigt, wurde im Oktober 1944 nach Auschwitz/Birkenau deportiert; ihr genaues Todesdatum ist unbekannt. Die Biologische Versuchsanstalt war damit jenes Forschungsinstitut in Österreich und Deutschland, das im Verhältnis zu seiner Größe die meisten NS-Opfer zu beklagen hatte.

Die völlige Zerstörung 1945

In den letzten Kriegstagen in Wien erfolgte dann auch noch die Zerstörung des Gebäudes, dem die Forscher längst ausgetrieben worden waren. Anfang April 1945 quartierten sich SS-Einheiten mit schweren Panzerkampfwagen in der BVA ein. Was dann geschah, lässt sich in der 1947 veröffentlichten Geschichte der Akademie der Wissenschaften (anlässlich ihres 100-Jahr-Jubiläums) nachlesen: "Das Gebäude der Biologischen Versuchsanstalt Prater, II., Hauptallee 1, ist im Zusammenhang mit den letzten Kriegsereignissen vollkommen ausgebrannt." Dazu gab es noch einen kurzen Absatz über die Tätigkeit der BVA, aber keine Zeile über die Geschehnisse nach 1938 oder auch nur eine Andeutung über die tragischen Schicksale der Mitarbeiter.

Die Akademie, nunmehr: Österreichische Akademie der WIssenschaften wollte das ihr 1914 geschenkte Institut loswerden, was in den Medien zu Proteste führte. Die Zeitung Neues Österreich berichtete unter dem Titel " Die verkaufte Biologie" Ende 1948 ein letztes Mal resignierend: "Wohl hat selbstloser Forscherdrang an anderen Punkten der Stadt und des Landes höchst Anerkennenswertes geleistet, aber im wissenschaftlichen Zentrum, an der traditionellen Pflegestätte der Biologie, hat die materielle und wohl auch die moralische Kraft versagt."

Der Täter als Verdränger

Einer, der sich diesen und andere Zeitungsartikel über den Verkauf des Vivarium ausschnitt und sammelte, war der Botaniker Fritz Knoll, der sich angesprochen fühlen musste. Womöglich hatte der 1947 in die ÖAW wieder aufgenommene Ex-Nazi-Rektor angesichts der Zerstörung des ihm 1938 anvertrauten Instituts ein schlechtes Gewissen. Als er 1951 und 1957 im Auftrag der ÖAW zwei großformatige Bände über Große österreichische Naturforscher, Techniker und Mediziner herausgab, hätte er zwei Mal die Chance besessen, die wichtigsten Vivariums-Forscher zu würdigen, zumal die BVA ein Akademie-Institut gewesen war.

Allein, das Prinzip Verdrängung war stärker: Knoll hat keinen einzigen von ihnen auch nur erwähnt. Und im Grunde wirkt die Verdrängung des Vivariums aus dem kollektiven Gedächtnis bis heute nach: Eine halbwegs umfassende Gesamtdarstellung dieses einst weltberühmten Forschungsinstituts fehlt auch 75 Jahre nach dem Beginn seiner Auslöschung.  (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 20.01.2013)