Am Anfang stand der Aktionismus. Gelegentlich kam es zu Gewalt - gegen die Aktivisten.

Foto: Vier Pfoten

Große Erfolge feierte Vier Pfoten beim Schutz von Wildtieren - etwa bei der Bärenrettung.

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Vor 25 Jahren gründete Helmut Dungler den Tierschutzverein Vier Pfoten in Wien.

Foto: APA/VIER PFOTEN/Knöpfer

STANDARD: Was war 1988 das Initialerlebnis für die Gründung von Vier Pfoten?

Dungler: Ich hatte Anfang der 1980er-Jahre Veterinärmedizin studiert und hörte nach zwei Jahren auf, weil damals die Lehrmeinung war: Ein Legehuhn gehört in einen Käfig. Denn dort ist es am besten geschützt vor Fraßfeinden, man kann es genau kontrollieren, und das Ei kommt nie mit dem Kot des Huhnes in Kontakt. Und ich bin da drinnen gesessen und hab mir gedacht: Na so ein Blödsinn - aber was soll ich jetzt machen? Also habe ich das Studium beendet und in der Anfangszeit bei Greenpeace mitgearbeitet. Doch die Wale und Meeresschildkröten waren alle total weit weg - Probleme hatten wir hier auch.

STANDARD: Was war das erste heimische Thema?

Dungler: Die Pelztierfarmen. Da hatte es geheißen, es gibt in Österreich Farmen, aber keiner wusste, wo die waren. Als wir dann tatsächlich zur ersten Farm kamen, waren da hohe Bretterzäune - wir hatten sofort den Eindruck, da stimmt was nicht, da wird was versteckt. Wir hatten das dokumentiert und an die Öffentlichkeit gebracht - und daraus entstand dann die Gründung von Vier Pfoten.

STANDARD: Damals gab es ja noch so richtige Besetzungen?

Dungler: Ja, ja. Das war sicher die Zeit des Aktionismus. Da sind wir auf den Dächern von Pelztierfarmen mit Bannern gestanden. Und auf der Kärntner Straße hatten wir die Tierkadaver, die wir mitgenommen hatten, aufgehängt und haben den Leuten gesagt: Das ist der Rest eures Pelzmantels.

STANDARD: War das ein weiter Weg von den "wilden Hunden" zu konstruktiven Projekten?

Dungler: Dieser Weg ist die ganzen 25 Jahre begangen worden - und beim "Gemeinsam etwas verändern" sind wir ja erst ganz am Anfang. Wie man jetzt wieder beim großen Fleischskandal sieht. Das betrifft ja nichts anderes als unsere Forderungen, die wir schon seit Jahren stellen: kontrollieren, dokumentieren, den Konsumenten alles offenlegen. Dass man genau weiß, wo kommt etwas her und wo läuft alles hin: die Herkunft, die Haltungsbedingungen, die Transportwege. Das sind Urforderungen des Tierschutzes.

STANDARD: Das heißt, vom System her könnte so etwas jederzeit wieder passieren?

Dungler: Aufgrund der Grenzöffnungen haben sich in den letzten Jahren einfach mafiöse Strukturen entwickelt, wo geschaut wird, wo gibt's das billigste Fleisch, und andere Firmen schauen, wo kann man wie viel unterbringen.

STANDARD: Gibt es Belege dafür?

Dungler: Wir sind selbst damit konfrontiert gewesen: Bei unserem rumänischen Projekt zum Schutz der Wildtiere im Donaudelta. Dort gibt es neben der Carmargue die letzten wild lebenden Pferde. Und im Donaudelta kamen wir im letzten Moment dazu, als im Schutzgebiet 40 Wildtiere gefangen wurden und zur Schlachtung abtransportiert werden sollten. Wir konnten den Transporter im allerletzten Moment blockieren und schalteten die Behörden ein.

STANDARD: Am anderen Ende sind aber die Konsumenten, die zum billigsten Angebot im Regal greifen.

Dungler: Fleisch ist schlicht und einfach zu billig. Vor wenigen Jahrzehnten haben Mitteleuropäer noch 30 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben. Jetzt sind es weniger als zehn Prozent. Nahrung ist nichts mehr wert - und Fleisch ist schon fast zu einem Wegwerfartikel geworden. Die Tiere werden zu einem Produktionsfaktor degradiert, die Bauern werden zu Industriearbeitern - und die Menschen bekommen billiges Fleisch, wo man nicht weiß, was dazugeschummelt wurde und welche Medikamente da drinstecken.

STANDARD: Dazu kommt noch der Klimaschutz-Aspekt beim Fleisch.

Dungler: Es ist zu befürchten, dass in wenigen Jahrzehnten doppelt so viele Nutztiere auf der Erde leben wie jetzt. Das wird ökologisch riesige Auswirkungen haben. Der Wasserverbrauch, der Energieverbrauch, die riesigen Anbauflächen für Futtermittel - das alles ist ökologischer Wahnsinn. Die Lösung kann nur sein: weniger Fleisch essen und die Tiere anders und besser halten. Aber dafür muss Fleisch deutlich teurer werden und müssten die Bauern gerechter entlohnt werden.

STANDARD: Über die 25 Jahre hinweg: Was war das schönste Projekt?

Dungler: Für mich ist es immer am eindrucksvollsten, wenn ein Tier die ersten Schritte in die Freiheit macht. Zum Beispiel ein Löwe, der in einem rumänischen Zoo beengt auf Beton gehalten wurde. Wir brachten ihn nach Südafrika zu unserem Lionsrock Park. Als dieses gewaltige Tier dort auf das Gras stieg, zog es die Pfote zurück - weil es sein ganzes Leben noch nie auf Gras gestanden ist. Und wenn man dann sieht, wie sich das Tier nach ein paar Wochen beginnt, sich ganz normal zu bewegen und die unterdrückten Verhaltensweisen wieder ans Tageslicht kommen: Das ist schon eine unglaubliche Freude.

STANDARD: Der Lionsrock, die Bärenparks: Ist das nicht ziemlich viel Aufwand für ein paar Tiere?

Dungler: Es zahlt sich aus für jedes Tier und für jeden Menschen, der diese Parks besucht und dort den richtigen Umgang mit Tieren kennenlernen kann. Wir übernehmen die Tiere ja nur, wenn uns die Betreiber absichern, dass sie nie wieder Tiere so halten werden. Das Ziel ist natürlich, dass durch solche exemplarischen Fälle Gesetze geändert und eine derartige Haltung generell verboten wird.

STANDARD: Ein Tier alleine zu retten wäre zu wenig?

Dungler: Natürlich. Weil wir damit die Gesellschaft und die Politik nicht erreichen würden. Wir dürfen keinesfalls für die Tiere und gegen die Menschen arbeiten. Es hätte keinen Sinn, wenn wir Pelzträgerinnen besprayen würden und sie keinen Pelz mehr anziehen, weil sie Angst haben. Wir müssen in den Köpfen verankern, was ein Tier ist, was es braucht. Und wenn die Menschen ein Ei oder Fleisch kaufen, soll es das beste sein. Das kann man nur mit positiven Energien erreichen und nicht mit Angstzuständen.

STANDARD: Vier Pfoten erreichte in 25 Jahren viel. Sind Sie zufrieden?

Dungler: Viel ist fast schon zu positiv. Es ist einiges erreicht worden. Es gibt keine Pelztierfarmen mehr, es gibt keine Legebatterien mehr, es gibt keine Wildtiere mehr im Zirkus - in Österreich. Es gibt keine Tanzbären mehr in der EU. Aber es hat auch Rückschritte gegeben. Österreich hatte ein vorbildliches Tiertransportgesetz - das aber mit dem EU-Beitritt 1995 hinfällig geworden ist. Und: Die positive Tendenz, die es Anfang der 90er-Jahre in der EU noch gab, ist wieder eingebremst worden.

STANDARD: Wie das?

Dungler: Durch die Erweiterung. Vorher waren noch die skandinavischen, die Beneluxländer, Großbritannien, Deutschland und Österreich Vorreiter. Jetzt heißt es vor allem in den neuen Mitgliedsstaaten: Tierschutz machen wir dann, wenn wir ihn uns leisten können.

STANDARD: Was sind die wichtigsten Themen in der Zukunft? Wo brennt's am meisten?

Dungler: Brennen wird das Thema Fleisch und Fleischproduktion. Was wir derzeit erleben, ist nur ein kleiner Skandal - wenn nichts unternommen wird, wird das zu einem Flächenbrand. Die Situation wird immer unübersichtlicher werden mit undurchsichtigen Transporten und undurchsichtigen Warenketten. Es werden immer mehr Nutztiere produziert werden, die Haltungsstandards werden noch mehr unter Druck kommen.

In Österreich wird etwa derzeit eine Steigerung der Besatzdichte bei Masthühnern um 20 Prozent diskutiert. Der Preisdruck wird noch einmal zunehmen - und der Abstand zu Bioprodukten noch größer werden. Unsere Politik pflegt das Sujet vom Feinkostladen Österreich nur noch aus Marketinggründen. In Wirklichkeit wurden bei diesem Feinkostladen längst die Rollbalken heruntergelassen. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD, 21.2.2013)