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Jedes dritte Kind bekommt nach dem Setzen von Ohrlöchern schmerzhafte Entzündungen.

Foto: APA/Florian Schuh

Das Tragen von Ohrringen oder Ohrsteckern hat in Österreich bereits Tradition. Die erforderlichen Löcher dazu bekommen Kinder oft schon im Säuglingsalter verpasst. Gefragt werden sie dabei natürlich nicht, in aller Regel treffen Eltern diese Entscheidung. Piercer, Juweliere, Friseure oder Ärzte übernehmen den Rest.

"In Österreich ist das Piercen unmündiger minderjähriger Personen (vor Vollendung des 14. Lebensjahrs, Anm.) gesetzlich verboten. Das Piercen mündiger Minderjähriger (zwischen 14. und 18. Lebensjahr, Anm.) ist nur mit dem rechtswirksamen schriftlichen Einverständnis der Jugendlichen selbst sowie der Erziehungsberechtigten erlaubt. Heilt die gepiercte Stellte innerhalb von 24 Tagen ab, dann entfällt diese Einwilligungspflicht der Obsorgeberechtigten", sagt Kinder- und Jugendanwalt Anton Schmid und verweist dabei auf die bestehende Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik-(Schönheitspflege-)Gewerbetreibende.

Keine Hautfalte

Offenbar ist diese Tatsache nicht bekannt oder stößt hierzulande nur auf geringes Interesse. Vielfach wird auch argumentiert, dass Ohrlöcher überhaupt keine Piercings seien. Das Wirtschaftsministerium pflichtet dem im gewerberechtlichen Sinn bei und bezieht sich dabei ebenfalls auf die erwähnte Verordnung, die Piercen als Durchstechen der Haut zwecks Anbringung von Schmuck auf Hautfalten, verknorpelten Stellen des Ohres oder Nasenflügels oder an der Zunge vor dem Zungenbändchen definiert - vorausgesetzt, dass ein Gerät verwendet wird, das höchstens zwei Millimeter durchmessend in die Haut eindringt und keine strich- oder flächenförmigen Verletzungen oder Vernarbungen entstehen.

Anton Schmid stößt sich an dieser Formulierung, die seines Erachtens keineswegs ausschließt, dass es sich bei einem Ohrloch um ein Piercing handelt. Und medizinisch betrachtet ist sein Unmut durchaus berechtigt, denn das Ohrläppchen ist zwar knorpelfrei, besteht jedoch wie jede andere Hautfalte auch aus Blutgefäßen, Fett- und Bindegewebe. Piercer dürften sich der Meinung Schmids wohl eher anschließen, wird doch auf sämtlichen Seiten im Netz das Ohrläppchenloch als "Lobe-Piercing" bezeichnet.

Unhygienische Ohrlochpistole

Laut Gewerbeordnung fällt das Stechen von Ohrläppchen jedenfalls in den Berechtigungsumfang der Kosmetiker, Friseure, Gold- und Silberschmiede und Juweliere, sagt das Wirtschaftsministerium. Mit sterilen Einwegkanülen arbeiten diese Berufsgruppen allerdings nicht. Hier kommen vorzugsweise Ohrlochpistolen zum Einsatz. Von Ärzten und auch Piercern wird diese Vorgehensweise oft kritisiert. Das Verfahren sei unhygienisch, so der allgemeine Tenor, da eine professionelle Sterilisierung dieser Geräte in einem Autoklaven nicht möglich ist. Diverse Kunststoffe in der Piercing-Pistole vertragen die hohen Temperaturen nicht.

Deshalb werden Ohrlochpistolen zumeist nur oberflächlich mit Alkohol desinfiziert. Zahlreiche Keime, wie die Hepatitis-C-Viren, werden bei dieser Form der Sprühdesinfektion aber nicht abgetötet. Zudem wird das Gewebe beim Durchschuss zerfetzt, was eine verlängerte Wundheilungsrate zur Folge hat. Das Schießen anderer Piercings ist in Österreich im Übrigen generell verboten.

Individuelle Wundheilung

Ob geschossen oder gestochen, das Setzen von Ohrlöchern ist schmerzhaft und birgt zudem ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko. Besonders häufig zeigen sich allergische Reaktionen und bei jedem dritten Kind kommt es zu schmerzhaften Entzündungen im Bereich des Stichkanals. Rechtlich betrachtet ist Ohrlochstechen beziehungsweise Piercen wie auch Tätowieren und Beschneiden eine Körperverletzung. Abhängig von der Dauer der Abheilung wird dabei zwischen einer leichten Körperverletzung - die Abheilung erfolgt innerhalb von 24 Tagen - und einer schweren Körperverletzung unterschieden.

Darf man der Tabelle auf Wikipedia Glauben schenken, dauert der Abheilungsprozess eines Lobe-Piercings durchschnittlich zwei bis acht Wochen. Da Wundheilung ein individueller Prozess ist, lässt sich nicht genau abschätzen, wie lange diese also tatsächlich dauert.

Akzeptierte Körperverletzung

Mit einer strafrechtlichen Verfolgung braucht beim Ohrläppchenstechen in Österreich jedoch so oder so niemand zu rechnen. "Ohrläppchenstechen ist zwar auch eine Körperverletzung, aber es ist sozial akzeptiert", sagte Christian Manquet, Leiter der Abteilung für Strafrecht im Justizministerium, in einem Interview mit der "Presse".

Mit der sozialen Akzeptanz einer Körperverletzung hat Schmid Probleme: "Ich halte es für fragwürdig, dass es zum Stechen von Ohrlöchern in Österreich keine Judikatur gibt." Der Kinder-  und Jugendanwalt zieht einen interessanten Vergleich: "Es gibt ein Recht auf das eigene Bild. Weder die Eltern noch das Pflegschaftsgericht können zustimmen, dass das Foto eines dreijährigen Kindes veröffentlicht wird. Gesetzlich verboten ist es nicht, aber die Personen, die für die Veröffentlichung verantwortlich sind, können rückwirkend zur Verantwortung gezogen werden, wenn für das Kind dadurch Nachteile entstehen."

Dass das Ohrlochstechen eine Körperverletzung und damit ein Eingriff in die körperliche Integrität eines Kindes darstellt, darüber sieht man weiter geflissentlich hinweg. (Regina Walter, derStandard.at, 27.2.2013)