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Frank Schirrmacher

Foto: APA/Hochmuth

Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der FAZ, hat mit „Ego – das Spiel des Lebens“ ein ganz miserables Buch geschrieben – schlecht recherchiert, voller falscher Behauptungen und fragwürdigen Thesen und in seiner impliziten Botschaft an einige der schlimmsten Traditionen der deutschen Geschichte anschließend.

Das wäre alles nicht so schlimm - schlechte Bücher gibt es viele. Aber Schirrmacher ist in seiner Doppelrolle als bekanntester Vertreter der wichtigsten Zeitung Deutschlands und erfolgreicher Bestsellerautor eine der wichtigsten Stimmen seines Landes. Und diese Konstellation ist besorgniserregend.

Schirrmachers These lautet, dass die Weltfinanzkrise von jenen Denkern verursacht worden ist, die nach 1945 in der amerikanischen RAND Corporation mithilfe der Spieltheorie die Strategien des Kalten Krieges entwickelt hatten und nach ihrem Sieg über die Sowjetunion auf die Bankenwelt  losgelassen wurden.

Sie prägten das Bild des hyper-rationalen Homo Oeconomicus geprägt, sie predigten den reinen Egoismus und schufen damit eine neue kalte, berechnende Moral, die alle  menschlichen Tugenden gefährdet und die Menschen des 21. Jahrhunderts versklavt. Ein „Frankenstein-Monster“, wie Schirrmacher auf  fast jeder zweiten Seite behauptet.

Nun gibt es viele legitime Möglichkeiten, die Deregulierung der Finanzwelt, die Praktiken der Banken und die Rolle der Finanzmärkte zu kritisieren.  Aber wer sich auch nur ein wenig mit Spieltheorie auseinandergesetzt hat, weiß, dass Schirrmachers Darstellung eine plumpe, bösartige Karikatur eines der wichtigsten intellektuellen Strömungen der letzten 60 Jahre ist.

Spieltheoretiker gehen zwar von einer grundlegenden Rationalität und dem Streben nach Eigennutz von handelnden Personen aus. Aber seit einem halben Jahrhundert beschäftigen sich die meisten von ihnen mit genau dem Gegenteil von dem, was Schirrmacher beschreibt – nämlich dem Streben nach Kooperation und der Vermeidung destruktiver Konflikte. Das galt für die Militärstrategen des Kalten Krieges, die durch gegenseitige Abschreckung den Einsatz von Atomwaffen verhindern wollten, wie für die modernen Evolutionsbiologen, die aufzeigen, wie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit die größten Vorteile im darwinistischen Überlebenskampf bietet.

Das von Schirrmacher zitierte Gefangenendilemma ist keine Anleitung für Egoismus, sondern zeigt die großen Hindernisse bei der Realisierung des Gemeinschaftswohles auf.

Deshalb ist Schirrmachers Ansatz bereits falsch, und die Schlüsse, die er daraus zieht, unbrauchbar.

Aus Fahrlässigkeit oder Absicht ignoriert er völlig die Revolution der vergangenen Jahre durch die Verhaltensökonomie, die die Grenzen der Rationalität in den Entscheidungsprozessen aufzeigt und aus der heutigen Ökonomie nicht mehr wegzudenken ist. Sein hyperrationales Monster, das er „Nummer 2“ nennt, existiert so in keinem seriösen wissenschaftlichen Werk.

Insgesamt – und das macht das Buch so bedenklich – ist „Ego“ ein Angriff auf den Rationalismus an sich, zu dem sich Spieltheoretiker aller Disziplinen bekennen, und damit ein zutiefst anti-aufklärerisches Werk. Für Schirrmacher kommt die Bedrohung durch das rationale Individuum, die er beschreibt, aus dem Westen, aus der angelsächsischen Welt, vor allem aus den USA.

Dabei argumentiert er nicht, sondern suggeriert, dämonisiert und polemisiert. Das ist wohl unvermeidbar. Denn wer sich gegen die Vorherrschaft des menschlichen Verstandes stellt, kann nicht dessen wichtigstes Werkzeug, das logische Denken, einsetzen. Dann bleibt nur noch das Schüren diffuser Gefühle und Ängste.

Ist Schirrmacher deshalb ein Linker, wie etwa Jakob Augstein behauptet? Bei aller Kapitalismuskritik in seinen Zeilen kann man das nicht behaupten. Zwar hat auch die Linke seit jeher, beginnend schon mit Karl Marx, ein Problem mit dem Individualismus. Die Fehlentwicklungen der sowjetkommunistischen Wirtschaft hatten viel damit zu tun, dass Marxismus das individuelle Streben nach Nutzen und Gewinn ignoriert und deshalb die Grundlage für eine Gesellschaft schuf, in der Egoismus versteckt, verlogen und dadurch umso gefährlicher war.

Aber Schirrmacher kommt meiner Meinung nach aus einer anderen Tradition, von jenen konservativen deutschen Denkern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die, aus der Romantik kommend, den britisch-französischen Rationalismus und Liberalismus ablehnten und einen deutschen Sonderweg anstrebten.  Ernst Jünger, Martin Heidegger, Thomas Mann (bevor er sich eines Besseren besann) und viele andere waren mit ihrer anti-westlichen, anti-liberalen Haltung auch intellektuelle Wegbereiter des Nationalsozialismus.

Zum Glück ist Schirrmachers Buch zu schludrig und zu schlecht, um wirklich einflussreich zu sein. Und einige Kritiken sprechen das auch offen aus – viele aber nicht. Dass ein solches anti-aufklärerisches Pamphlet von weiten Teilen der deutschen Presse so unkritisch aufgenommen wird, ist kein gutes Zeichen für das politische Denken in der wichtigsten europäischen Nation.