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Auch Stress beeinflusst die Neurogenese und somit die Gedächtnisleistung.

Das Problem kommt mit den Jahren - bei manchen früher, bei anderen später. Das Gedächtnis lässt nach - sehr unangenehm. Der Hippocampus, eine doppelte angelegte Hirnregion, spielt im Erinnerungsvermögen eine Schlüsselrolle. Interessanterweise ist dies eines von nur zwei bekannten Gehirnarealen, in denen Neurogenese, die kontinuierliche Neubildung von Nervenzellen, stattfindet - eine Art Jungbrunnen also. Der Zellnachwuchs geht aus einem bestehenden Vorrat an neuronalen Stammzellen hervor. Diese differenzieren sich zu Astrozyten, deren Aufgaben hauptsächlich im Stoffwechselbereich liegen, und Körnerzellen, einer speziellen Neuronen-Sorte.

Die Neurogenese ist offenbar eng mit dem Speichern von Information verbunden. Wenn im Hippocampus die Neubildung von Nervenzellen abnimmt, leiden das Gedächtnis und auch das kognitive Vermögen. Solche Störungen treten häufig im fortgeschrittenen Alter auf, aber nicht bei jedem Menschen. Das Nachlassen der geistigen Fähigkeiten ist eine sehr individuelle Angelegenheit, betont die Neurowissenschafterin Ana Martin-Villalba. Sie ist als Laborleiterin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg tätig und widmet sich mit ihrer Arbeitsgruppe unter anderem der Erforschung der Neurogenese. Eine zentrale Frage dabei ist: Wie wird der Prozess gesteuert? Bisherige Studien haben gezeigt, dass vor allem Botenstoffe des Typs Wnt die neuronalen Stammzellen zur Teilung und Differenzierung anregen. Weitere Signalmoleküle sind an der Aktivierung der Neurogenese beteiligt - oder an deren Hemmung.

Dynamik der Neurogenese

Den vermutlich wichtigsten Faktor für die verringerte Neubildung von Neuronen haben Ana Martin-Vilallba und ihr Team nun dingfest gemacht. Es handelt sich dabei um ein Protein namens Dickkopf-1, kurz Dkk-1, welches erstmalig 1998 entdeckt wurde. Dkk-1 hat während der Embryonalentwicklung entscheidenden Einfluss auf die Bildung des Kopfes. Wenn es in zu hoher oder zu geringer Konzentration vorliegt, kommt es zur Fehlgestaltung. Doch das ist nicht seine einzige Rolle. Dickkopf-1 greift Laborversuchen zufolge auch in die Signalkette zur Neurogenese ein. Es wirkt indirekt als Antagonist zu Wnt - mit weitreichenden Folgen.

In einer neuen Studie haben die DKFZ-Experten den Einfluss von Dkk-1 in einigen bahnbrechenden Experimenten genauer unter die Lupe genommen. Die Forscher züchteten Mäuse-Mutanten mit defekten Dickkopf-1-Genen und stellten fest, dass bei diesen Tieren die Neurogenese auch im hohen Mäuesealter von zwei Jahren noch reibungslos verläuft. Im Hippocampus ihrer gleichaltrigen, normalen Artgenossen dagegen finden sich erhöhte Dkk-1-Konzentrationen, aber kaum junge Neuronen. Die Produktion des Botenstoffs steigt offenbar mit dem Alter - und bremst so die Neubildung von Nervenzellen.

Das Fehlen von Dickkopf-1 zeigt sich auch im Verhalten der Nager. Die mutationstragenden Mäuse-Senioren verfügen im Vergleich über eine bessere räumliche Orientierung. In Bezug auf die Gedächtnisspeicherung erweisen sie sich ebenfalls als leistungsfähiger. Detaillierte Untersuchungsergebnisse wurden kürzlich im Fachblatt Cell Stem Cell veröffentlicht.

Schutz gegen Belastung

Über den biologischen Sinn der Neurogenese-Hemmung durch Dickkopf-1 kann bislang nur spekuliert werden. Dkk-1 wird auch in Stresssituationen vermehrt freigesetzt. "Vielleicht ist es eine Art Schutzmechanismus gegen starke, belastende Erinnerungen", sagt Désirée Seib, Erstautorin der Studie. Möglicherweise hat es auch eine physiologische Kontrollfunktion, ergänzt ihre Martin-Villalba. "Die neuronalen Stammzellen sind eine Quelle der Verjüngung, aber auch eine Gefahr. Aus ihnen können Tumoren hervorgehen." Eine zu intensive Neurogenese muss deshalb möglicherweise verhindert werden.

Die Entdeckung eröffnet einige medizinische Perspektiven. Menschen im hohen Alter würden eventuell von einer medikamentösen Dkk-1-Blockade profitieren. Ohne Dickkopf-1 ist man klüger und sogar glücklicher, meint Ana Martin-Villalba lachend. Die Frage sei nur, "welcher Preis dafür zu zahlen ist". Mit anderen Worten: Was sind die Nebenwirkungen?

Die weitere Erforschung von Dkk-1 dürfte noch einige Überraschungen bereithalten. Das Protein tritt in erhöhten Konzentrationen im Gehirn von Alzheimer-Patienten auf. Dies ist zwar mit Sicherheit nicht die Ursache für den tödlichen Hirnschwund, wie Martin-Vilallba betont, "Dickkopf-1 könnte eine Neubildung von Nervenzellen und somit möglicherweise die Regeneration bei Alzheimer verhindern." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 25.2.2013)