Eine Schule wie Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt mitten in Liesing.

Foto: Katsey

Hier wird die Individualität der Schülerinnen und Schüler gefördert.

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"Es ist ein Unterschied, etwas zu bewerten oder es zu besprechen."

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Es ist bekannt, was Pippi Langstrumpf vom dringenden Wunsch der Prusseliese hält, sie möge sich doch endlich zum ordentlichen Schulbesuch einfinden. Im Falle der "Lernwerkstatt Regenbogen" im 23. Wiener Bezirk, der einstmals kleinsten Schule Österreichs, hätte der Freigeist mit dem roten Schopf dem Drängen vielleicht nachgegeben. Der circa 100 Jahre alte Backsteinbau mit seinem Vorgärtchen erinnert an einen k. u. k. Provinzbahnhof aus einem Joseph-Roth-Roman, und im Inneren der Schule wäre - um bei Pippi zu bleiben - kunterbunt eine passende Beschreibung.

Die Welt mit Sinnen begreifen

Aufgeteilt auf drei Räume, eine Küche und einen Flur, ähnelt das Szenario einem dreidimensionalen Fleckerlteppich aus Regalen voller Spiele und Bücher, Tafeln, jeder Menge Zeichnungen und Basteleien, Sofas, Kaufmannsläden, Werkbänken und unzähligen Kisten, aus denen Wolle und andere Bastelutensilien quellen. Dazwischen wuseln Kindsköpfe aller Haarfarben. Doch nicht nur optisch unterscheidet sich diese Schule von vielen anderen.

Die private, selbstverwaltete Vor- und Volksschule mit Öffentlichkeitsrecht, die auf eine Initiative aus dem Jahr 1989 zurückgeht, will Kinder dabei unterstützen, die Welt mit allen Sinnen begreifen zu können - der Tagesablauf soll vor allem Platz für die Ideen der Kinder haben. "Wir möchten, dass die Kinder nicht nur als Schüler, sondern als Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Strenge Beurteilung nach einem System wirft viele Kinder aus der Bahn. Es ist ein Unterschied, etwas zu bewerten oder etwas gemeinsam zu besprechen", tut Schulleiterin Christine Heuer ihr Credo kund. "Feedback" ist der Ausdruck, den sie bevorzugt.

Ideen von Montessori

Dieses erfolgt nicht nach einem Notensystem zwischen Einser und  Fleck, sondern in Form von gemeinsam mit den Schülern beschriebenen Jahresberichten. Anders formuliert: Drei bis vier Lehrerinnen unterrichten im Sinne einer integrativen Lernkultur, die Individualität und Persönlichkeit fördern und die soziale Kompetenz weiterentwickeln soll. Dies geschieht in individuellen Lernschritten und in altersgemischten Gruppen. Die Lernwerkstatt, die sich durch die Beiträge der Eltern sowie durch Subventionen der Gemeinde Wien, des Bundes und durch Sponsoren finanziert, sieht sich nicht als geschlossenes, dogmatisch festgelegtes System, sondern als ganzheitlichen Lern- und Lebensort.

An diesem Ort soll nach den Ideen von Montessori, Wild, Piaget, Neill oder Freinet den Kindern nahegebracht werden, zu reflektieren und auch emotional zu begreifen, dass sie für ihr Leben lernen. Weniger trocken drückt es Christine Heuer aus, wenn sie davon erzählt, wie sie den Kindern das Stück Winter aus Vivaldis Vier Jahreszeiten vorspielte. "Es ging nicht nur darum, ein Musikstück zu vermitteln. Wir sprachen über den Katastrophenwinter, der zur Zeit der Entstehung dieses Stücks in Europa herrschte, kamen über diesen Punkt zu den sozialen Bedingungen dieser Zeit und landeten weiter bei naturwissenschaftlichen Fragen bezüglich des Winters." 

Äpfel aus unserem Garten

Wenn das Thema zum Beispiel "Äpfel" heißt, erzählt Christine Heuer weiter, gibt es die unterschiedlichsten Arten, wie sich Kinder damit beschäftigen. Die einen zeichnen Äpfel, die anderen setzen sich mit der Biologie dieser Obstsorte auseinander oder schreiben Rezepte auf. Wieder andere hocken sich auf die Gasse und verkaufen "Äpfel aus unserem Garten". Letztere könnten sich als Kandidaten für die Wirtschaftsuni herauskristallisieren.

Apropos Uni, eine primäre Frage, die sich Eltern künftiger Regenbogenschüler stellen, ist die, wie es mit den Absolventen der Regenbogenschule weitergeht. Veronika Heuer, Tochter von Christine Heuer und ebenfalls Lehrerin vor Ort, berichtet, die Kinder seien mehr als gut für den nächsten Schritt gerüstet. "Es gibt sogar Kinder, die Klassen in andern Schulen überspringen. Das Feedback ist durchaus gut, und viele Lehrer wundern sich, wie gern die Kinder, die von uns kommen, in die Schule gehen. Auch die ersten Uni-Absolventen der Lernwerkstatt gibt es schon."

Eltern werden eingespannt

So viel dazu. Eine andere Frage, die manch künftigem Lernwerkstattselternteil Runzeln auf die Stirn treiben könnte, ist jene nach der Elternarbeit, zum Beispiel Koch-, Organisations- oder handwerkliche Dienste, die hier zum Programm gehören. Veronika Heuer dazu: "Die ist uns sehr wichtig. Eltern sollen sich mit diesem System identifizieren, auch emotional. Ohne die Arbeit würde die Lernwerkstatt auch gar nicht funktionieren. Die Gemeinschaft funktioniert übrigens auch in öffentlichen Schulen besser, wenn sich Eltern einbringen."

Dass dies manchen Eltern leichter fällt als anderen, ist ihr klar: "Das ist ja wie zu Hause auch. Der eine kann halt mehr tun, der andere weniger. Es geht darum, es aufzufächern." Pippis Papa im fernen Taka-Tuka-Land würde sich mit diesem Punkt wohl eher schwertun. Zu einem der Info-Abende könnte er aber trotzdem mal anreisen. (Michael Hausenblas, Family, DER STANDARD, 25.2.2013)