STANDARD: Ab welchem Alter soll man Kindern erlauben, Facebook zu nutzen?
Jöran Muuß-Merholz: Es gibt eine von Facebook vorgegebene Altersgrenze von 13 Jahren. Die Prüfung beschränkt sich darauf, ob man von der aktuellen Jahreszahl 13 subtrahieren kann. Aus meiner Sicht eine eher pädagogische als juristische Frage. Tatsächlich gibt es keine klare Empfehlung, wann man einsteigen kann. Je jünger das Kind, desto begleiteter sollte der Einstieg sein. Es hat mit der Entwicklung des Kindes zu tun. Wie selbstsicher ist es, wie stabil? Meine Töchter werden 13 und haben sich schon dreimal abgemeldet. Für viele ist Facebook wichtig. In der Pubertät geht es darum, Resonanz zu bekommen auf das, was man macht, wie man sich darstellt. Auch in der Online-Welt muss man viel ausprobieren. Man lernt mehr durch Erfahrung als durch Belehrung. Ein Online-Fehler kann aber folgenschwer sein.
STANDARD: Was sollen Eltern tun, wenn ihr zehnjähriges Kind auf Facebook ist und leichtfertig Informationen preisgibt?
Muuß-Merholz: Fast die Hälfte der Kinder in der Altersstufe von zehn Jahren lässt sich abfangen, weil es ihnen um Spiele geht, die über Facebook angeboten werden. Die wollen vielleicht nur "Farmville" spielen. Bei einem Teil der Kinder lässt sich das ein, zwei Jahre aufschieben, indem man andere Spiele verfügbar macht. Bei der anderen Hälfte, die tatsächlich am Austausch mit anderen interessiert ist und über Gruppenzwang hineingeht, hilft es, wenn Eltern das kompetent begleiten.
STANDARD: Wie klärt man Kinder über die Tragweite ihres Handelns auf?
Muuß-Merholz: Zum Beispiel kann man als Gedankenspiel sagen: Würdest du das, was du da machst, auch auf ein Transparent drucken und damit über den Schulhof, durch die Nachbarschaft und an einer Zeitungsredaktion vorbeigehen? Vielleicht hilft es auch ein bisschen, mit den Ängsten zu spielen und zu sagen: Wer fällt dir ein, wer das nicht sehen sollte? Was könnte denn da schlimmstenfalls passieren?
STANDARD: Eltern haben oft keine Erfahrung mit Facebook. Was droht Kindern, wenn sie alleingelassen werden?
Muuß-Merholz: Einmal das, was in der Öffentlichkeit hinreichend diskutiert wird. Man wird von Pädophilen angesprochen, findet Bombenbauanleitungen oder andere schreckliche Dinge. Das möchte ich nicht kleinreden. Wenn man allerdings Kinder und Jugendliche fragt, welche Probleme sie im Alltag haben, dann sind es Dinge wie Cyberbullying. Also dass man von anderen Leuten auf Facebook fertiggemacht wird oder sich ausgeschlossen fühlt.
STANDARD: Was sollen Betroffene tun?
Muuß-Merholz: Eine Regel ist - und das ist für Kinder das Schwierige -, nicht auf Facebook zu reagieren. Was hinter Mobbing und Cyberbullying steht, hat viel mit der Suche nach Aufmerksamkeit zu tun. Es funktioniert nicht, wenn ich versuche, jemanden bloßzustellen, und es reagiert keiner. Facebook ist eine riesige Resonanzmaschine, positiv wie negativ. Also auf keinen Fall auf Facebook reagieren.
STANDARD: Sollten Eltern die Eltern des anderen Kindes kontaktieren?
Muuß-Merholz: Ja. Man sollte nicht auf Facebook reagieren, aber eine Möglichkeit suchen, es zu klären. Nehmen wir an, da ist ein Foto, in dem mein Kopf auf einen Tierkörper montiert wurde. Das kann ich vielleicht auf Facebook löschen, aber nicht in den Köpfen der Menschen. Man sollte möglichst schnell Unterstützung in der Umgebung suchen. An Polizei und Rechtsanwalt würde ich nur bei harten Fällen wie sexueller Belästigung denken. Dass Eltern Eltern anrufen, ist ein Klassiker. Viele Schulen haben Einrichtungen, die vermitteln: ein Klassenrat, Medienscouts oder Ähnliches.
STANDARD: Viele halten Beleidigungen im Internet für weniger schlimm.
Muuß-Merholz: Die blödeste Reaktion, die man als Elternteil zeigen kann, ist, Cybermobbing nicht ernst zu nehmen. Die Aufteilung, da ist das echte Leben und dort "nur" die virtuelle Welt, ist für Jugendliche nicht gegeben und wird nur von Leuten vorgenommen, die das selbst nicht kennen. Virtuelles Mobbing ist reales Mobbing.
STANDARD: Ist ein Facebook-Verbot sinnvoll?
Muuß-Merholz: Eltern reagieren oft mit einem Verbot, nach dem Motto: Wenn dort so etwas passiert, gehst du da nicht mehr hin. Das kann nach hinten losgehen. Zum einen, weil sich das Opfer damit noch zusätzlich bestraft sieht. Zum anderen, weil man nicht vernachlässigen darf, dass Facebook nicht nur der Ort der Attacke, sondern auch der Ort ist, wo man Unterstützung, Trost oder Rat von Freunden bekommt. (Alois Pumhösel, Family, DER STANDARD, 4.3.2013)