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Für hunderttausende enttäuschte Italiener ist Beppe Grillo eine Art Messias. Und er weiß in der Öffentlichkeit entsprechend aufzutreten. 

Foto: REUTERS/Max Rossi

Die neueste Pilgerstätte der italienischen Presse ist eine rosa Villa mit Meerblick am Hang von Sant'Ilario in Genua. Vor dem verschlossenen Gartentor lungern dutzende Journalisten und Kamerateams in der Hoffnung auf ein Interview mit dem Hausherrn. Doch Beppe Grillo begnügt sich damit, aus dem Fenster zu schauen und kurz mit erhobenem Daumen zu grüßen.

Einen Tag nach der Wahl, die Italiens Unregierbarkeit besiegeln könnte, dominierte weiter die Ratlosigkeit. Pier Luigi Bersani, der Chef des Mitte-links-Bündnisses, räumte am Dienstag in seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl ein, dass seine Allianz den Urnengang wegen des Patts im Senat nicht gewonnen habe: "Wer seinem Land keine Regierbarkeit garantiert, kann nicht behaupten, die Wahlen gewonnen zu haben." Grillo und dessen Anhänger forderte Bersani auf, Stellung zu beziehen: "Bisher haben sie gesagt, alle sollen nach Hause gehen. Nun sind sie selber mittendrin. Entweder gehen sie nach Hause, oder sie sagen, was sie mit dem Land machen wollen."

Bersani erhielt immerhin einen Trostpreis: Die Linksallianz eroberte knapp den von Silvio Berlusconi erfundenen Mehrheitsbonus, der den Partito Democratico auf 55 Prozent katapultiert und die Zahl seiner Sitze praktisch verdoppelt.

Berlusconi erwägt Koalition

Berlusconi, seit Wochen Dauergast der TV-Studios, ließ sich zunächst nicht in der Öffentlichkeit blicken. Mit seiner Aufholjagd kann der Cavaliere zufrieden sein. Dass er den Mehrheitsbonus in der Kammer um nur 0,36 Prozent verfehlte, drückt aber auf die Stimmung. Nun soll der 76-Jährige erwägen, was bisher als unvorstellbar galt: eine Koalition mit seinem stets als "Kommunisten" verunglimpften Erzfeind Bersani.

Italiens Zeitungen warnen vor einer Flucht in rasche Neuwahlen. "Was unser Land benötigt, sind klare und mutige Entscheidungen. Im Parlament muss der Versuch unternommen werden, eine Einigung zwischen unterschiedlichen Kräften zu finden", fordert nicht nur "La Stampa".

Der Sieg des Euro-kritischen Antipolitikers Grillo verunsichert die Wirtschaft, weckt gleichzeitig aber auch eine gewisse Neugier. "Wir sind in nur drei Jahren zur ersten politischen Kraft des Landes aufgestiegen - und zwar ohne Geld! Wir lehnen die Parteienfinanzierung ab!", twittert Bürgerschreck Grillo. Allianzen lehnt die Fünf-Sterne-Bewegung kategorisch ab. "Dieser Begriff gehört nicht zu unserem Wortschatz", versichert die Neo-Abgeordnete Marta Grande. "Gute Vorschläge finden unsere Zustimmung. Obstruktion interessiert uns nicht."

"Nennt uns 'Bürger', nicht 'Onorevoli' (Abgeordnete)!", fordert die 27-jährige Giulia Sarti. "Es tut mir leid, dass Berlusconi so viele Stimmen erhalten hat. Der Vorwurf, wir hätten den Linken Stimmen gestohlen, trifft nicht zu. Wir sind etwas anderes. Sie aber sind Teil des Systems. Warum haben sie kein Gesetz gegen den Interessenkonflikt erlassen?"

Am Dienstagnachmittag klärte Grillo beim Verlassen seiner Villa die Journalisten über die bereits begonnene Revolution auf. "Habt ihr noch nicht begriffen, dass eine neue Ära angebrochen ist? 'Koalition' ist ein Begriff aus der Vergangenheit. Eine Packelei, die wir ablehnen. Aber das alles könnt ihr ja nicht begreifen. Denn ihr seid Teil eines Systems, das jetzt endgültig und für immer zusammenbricht!" (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD, 27.2.2013)