
Parteien-Schiffchen auf Wahlfang im Internet: In den Web-Auftritten erkennt man nicht gleich, wer wen anspricht.
Man muss ja nicht gleich von "Wählertäuschung" sprechen, doch zumindest eine gewisse "Wählerverwirrung" tritt zutage, wenn man sich genauer ansieht, was die Parteien im Internet über sich verbreiten. Uta Rußmann ist Professorin für Strategisches Kommunikationsmarketing und Neue Medien an der FH Wien. Für den Standard hat sie sich die Webauftritte der größeren Parteien, die sich am 3. März der Wahl zum Niederösterreichischen Landtag stellen, angesehen.
Seit 2008 untersucht Rußmann die Webauftritte der Parteien im Wahlkampf wissenschaftlich und legte damit die ersten umfangreichen Studien in Österreich zu diesem Thema vor. Dabei interessiert die promovierte Publizistin besonders, inwieweit die Parteien das Internet nutzen, um spezifische Zielgruppen anzusprechen. Im Gegensatz zu Radio und Fernsehen ist das Internet ein Medium, in dem sich die User selbstständig die gewünschten Informationen holen können, daher bietet es sich für zielgruppenfokussierte Werbe- und Informationsstrategien besonders an.
Ihr überraschendes Fazit der Webauftritte der Parteien in Niederösterreich: Eine gezielte Ansprache von Gruppen findet quasi nicht statt. 2008 war der erste Wahlkampf in Österreich, in dem das Internet eine Rolle gespielt hat, sagt Rußmann. Die Parteien hätten damals gezeigt, dass sie mit dem neuen Medium gut umzugehen wussten, und setzten es differenziert für bestimmte Wählergruppen ein. Dass die Landesparteien diesbezüglich offenbar wenig von den Bundesparteien gelernt haben, findet Rußmann "verwunderlich und auch fehlerhaft".
Kleine Spielchen
Doch nun der Reihe nach: Erwartungsgemäß ist der Webauftritt der ÖVP ganz auf Erwin Pröll zugeschnitten. Das Angebot reicht bis zu einer App, mit der man dem eigenen Foto eine Pröll-Frisur verschaffen kann. "Solche kleinen Spielchen sind schon in Ordnung", meint die Kommunikationsfachfrau, "das wird manche mehr, manche weniger ansprechen" . Auf der Website werden die Bürger im Allgemeinen angesprochen, nur auf eine Zielgruppe wird gleich auf der Startseite Bezug genommen: die Medien. Auch gibt es eine Facebookseite, die mit der Homepage verlinkt ist.
Auch die SPÖ Niederösterreich ist sowohl im klassischen Web 1.0 mit einer Homepage vertreten wie im Web 2.0 mit einer Facebookseite, nur sind die Auftritte hier nicht verlinkt, zumindest nicht prominent. Erst durch mehrmaliges Weiterklicken finden sich auf der Homepage Beiträge, die bestimmte Zielgruppen ansprechen sollen, wie Kinder, Jugendliche, deren Eltern und Senioren. "Doch wenn ich das nicht gleich auf der Startseite finde, wird danach niemand suchen", meint Rußmann.
Sucht man nach dem Facebook-Auftritt der FPÖ Niederösterreich, landet man sofort bei Heinz-Christian Straches Seite. Auch auf der Startseite der Homepage ist sein Gesicht eine Woche vor der Wahl prominent vertreten. Dass Strache in Niederösterreich gar nicht gewählt werden kann, ist dabei "sicher nicht jedem bewusst", sagt Rußmann. " Wählertäuschung" will sie das nicht nennen, "Wählerverwirrung" aber allemal.
Gerade im Bereich Social Media nimmt Strache eine Sonderstellung ein. Als Social Media bei den Wiener Landtagswahlen 2010 zum ersten Mal von allen großen Parteien genutzt wurden, konnte Strache rund 100.000 "Likes" für seine Facebook-Seite gewinnen. Seither hat er noch leicht zugelegt und hält bei rund 120.000 Sympathiebekundungen - mit weitem Vorsprung gegenüber allen anderen Politikern des Landes.
Kanzler Werner Faymann kann gerade einmal 10.000 Likes auf Facebook vorweisen. Straches enormen Facebook-Erfolg erklärt Rußmann damit, dass er ein "enorm polarisierender Politiker" ist, und tröstet seine politischen Gegner damit, dass nicht alle, die ihn auf Facebook liken, ihm auch in der Wahlkabine ihre Stimme geben. Auf der Homepage der FPÖ hat Rußmann vergeblich nach zielgruppenadäquaten Informationen gesucht. " Das ist ein Wahlkampf für alle und niemanden."
Im Gegensatz zur FPÖ-Homepage, deren Design "vollkommen veraltet" ist, schöpfen die Grünen in Niederösterreich am besten das Potenzial des Internet aus, meint Rußmann. Zwar adressieren sie ebenfalls nicht auf der Startseite bestimmte Zielgruppen, sondern erst nachdem man einigen Links gefolgt ist. In puncto Partizipation, die Rußmann als "das eigentliche Potenzial des Webs" sieht, agierten die Grünen vorbildlich: Sie laden nicht nur externe Zielgruppen zum "Mitgliedwerden" ein, sondern forcieren auch die Mobilisierung der Basis.
Angst vor Kontrollverlust
Warum so manche Partei möglicherweise breite Auftritte in den Social-Media-Kanälen scheut, zeigt sich auf der Facebook-Seite des Team Stronach. Etwa die Hälfte der Beiträge, die dort über die Partei zu lesen sind, "sind nicht positiv", beobachtet Rußmann - das reicht von vernachlässigbaren Kommentaren wie "Frank der Prolo" bis zu substanzieller Kritik. "Wenn ich mich öffne, verliere ich dadurch Kontrolle, und davor haben die Parteien Angst."
Insgesamt bleibe das Fernsehen das Wahlkampfmedium Nummer eins, sagt Rußmann. Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. 80 Prozent der Österreicher nutzen regelmäßig das Internet, 98 Prozent sehen fern. Zudem müssen die Webauftritte der Parteien aktiv aufgesucht werden, " während die ZiB bald einmal jemand aufdreht". Im Internet bleiben die Websites der wichtigste Kanal. Unter den Social Media ist Facebook das beliebteste Portal; von einem Drittel der Österreicher wird es genutzt.
Dass die Webauftritte die seit den 1970ern aufkommende Politikverdrossenheit aufhalten können, glaubt Rußmann nicht, "dagegen können nur Inhalte etwas tun". Doch das Internet berge die Möglichkeit, einen ersten Schritt zu setzen, Wähler gezielt zu informieren, um sie so zur Stimmabgabe zu motivieren. Eine gelungene Online-Präsenz der Wahlwerbenden kann zudem die Aufmerksamkeit der Medien erregen - so geschehen etwa bei der letzten Bundespräsidentenwahl, sagt Rußmann - und so zu einer breiteren Berichterstattung führen.
Während in anderen Ländern wie den USA, Deutschland, Italien oder den skandinavischen Ländern die Webauftritte der Parteien kontinuierlich beforscht werden, wird das Thema in Österreich wissenschaftlich kaum behandelt. Ob Rußmann nach der Wahl 2008 auch die diesjährige Nationalratswahl eingehend analysieren wird, ist offen: Die Medienwissenschafterin muss für ihren diesbezüglichen Projektantrag noch Fördergeber finden.
Dabei wird die Erforschung der Webauftritte der Parteien immer interessanter: Schließlich erlangt eine immer größere Gruppe die Wahlberechtigung, die schon mit dem Internet aufgewachsen ist. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 27.02.2013)