Die "Operation Anti-Sexual Harassment/Assault" organisiert Unterstützung bei sexuellen Übergriffen an Frauen bei öffentlichen Kundgebungen und betreibt Telefon-Hotlines.

Foto: OpAntiSH
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Kairo/Wien - Seit den Umbrüchen im Arabischen Raum hat sich viel getan - auch im Hinblick auf die Situation der Frauen. "Viele Frauenbewegungen haben sich gegründet und sind involviert in die Geschehnisse", sagte Nadje Al-Ali, eine deutsch-irakische Professorin für Gender Studies an der SOAS Universität in London, gegenüber der APA. So hätten sich in Ägypten etwa zahlreiche "kreative und gewaltfreie Initiativen" herausgebildet. Trotzdem überwiege derzeit die "sehr sichtbare" Verschlechterung der Lage für die Frauen. Laut "HarassMap" etwa ist der symbolträchtige Tahrir-Platz der derzeit gefährlichste Ort für Frauen in Ägypten.

Antisexistische Interventionen

Durch die Umbrüche seien die Frauen in der Region mobilisiert und damit einhergehend Themen wie Frauenrechte, Geschlechterverhältnisse und die Rolle der Frau endlich auf den Tisch gebracht worden, so Al-Ali. Es sei allerdings nicht möglich, ein allgemeines Bild zu zeichnen, da es von Land zu Land gravierende Unterschiede gebe.

Die 29-jährige Deutsch-Ägypterin Sahra Y., die seit über zweieinhalb Jahren durchgehend in Kairo wohnt, zeigte sich glücklich über die Initiativen: "Das ist schön zu sehen", sagte sie, "auch wenn die Situation derzeit katastrophal ist." Zum Schutz bei Demonstrationen bietet etwa die Gruppe der "Tahrir Bodyguards" Selbstverteidigungskurse für Frauen an. Die "Operation Anti-Sexual Harassment/Assault" (OpAntiSH) betreibt Hotlines, die man während "massiven Protesten" im Notfall anrufen kann.

Kartografie sexueller Übergriffe

Empört zeigte sich Sahra Y. über das häufig zu hörende Argument, dass die "Frauen selber schuld" an sexueller Belästigung seien und gänzlich die Verantwortung trügen im Falle einer Vergewaltigung. So bedienen sich etwa Mitglieder des Shura-Rats, des Oberhauses des ägyptischen Parlaments, dieses Arguments in Folge von brutalen Gruppenvergewaltigungen. Sie argumentieren, dass die Frauen wüssten, in wessen Mitte sie bei Demonstrationen stünden und deshalb zu hundert Prozent die Verantwortung für sexuelle Übergriffe trügen.

Viele Ägypterinnen sind indes zu der Überzeugung gelangt, dass die seit den Umbrüchen um sich greifenden Vergewaltigungen durch Mobs bei Demonstrationen ein Instrument seien, um sie von den Straßen und politischer Beteiligung fernzuhalten. Sieht man auf die "HarassMap", in der sexuelle Übergriffe verzeichnet werden, erhärtet sich diese Annahme: Mit über 110 verzeichneten Übergriffen ist der Tahrir-Platz derzeit das gefährlichste Pflaster für Frauen in ganz Ägypten.

In ihrem Alltagsleben sind Frauen laut Sahra Y. jedoch weniger von Vergewaltigungen bedroht als von ständigem Nachpfeifen oder Flüstern, das in Ägypten schon vor den Umbrüchen gang und gäbe war. Y. trage nach wie vor kein Kopftuch, kleide sich durchaus mit engerem Gewand und hohen Schuhen und gehe abends feiern. "Das lass ich mir nicht nehmen, und das ist meine Art der Revolution", sagte sie. Verändert habe sich für sie vor allem, dass sie sich vermehrt Gedanken über ihre Sicherheit mache als in den Jahren zuvor - und seit neuestem immer einen Pfefferspray mit sich trage. 

Prekäre Situation für feministische Medien

Anders als bei der ägyptischen 30-jährigen Frauenrechtsaktivistin Amani Eltunsi: Aus Sicherheitsgründen ist sie vor kurzem aus Ägypten in das Vereinigte Arabische Emirat Ajman geflüchtet. 2008 hat Eltunsi den progressiven Frauen-Radiosender "Banat w Bass" ("Girls Only") gegründet. Themen des Internetradios waren die Verbesserung der Lage von Frauen im Land, die Diskussion gesellschaftlicher Tabus und die Vorstellung kritischer Lektüre.

"Sie haben unsere Internetseite gehackt und blockiert. Anonyme Anrufer haben mich beschimpft und bedroht", erzählte sie der APA am Telefon und vermutete dahinter die Muslimbruderschaft als Drahtzieher. "Viele Frauen und Mädchen baten mich, meine Tätigkeiten einzustellen." Aber Eltunsi entschied sich anders - und zog die Flucht ins Ausland vor. Von Ajman aus betreibt sie nun ihren Radiosender weiter.

Zukunftsszenarien

Eltunsi zeigte sich sehr optimistisch: "Eines Tages wird sich alles ändern, die Proteste werden andauern." Aus ihrer Sicht müssen sich die Muslimbrüder um ihre Macht sorgen, da sich die Lebensbedingungen der ägyptischen Bevölkerung zusehends verschlechterten und der Unmut gegen die Regierungweiter ansteigen werde. "Es wird mit Sicherheit noch eine Revolution geben", sagte sie. "Und wenn die Situation wieder besser wird, werde ich in mein Heimatland zurückkehren."

Auch Nadje Al-Ali sei auf lange Sicht "nicht pessimistisch". Denn obwohl derzeit die Verschlechterung der Lage der Frauen sichtbarer sei, gebe es diese zahlreichen Lichtblicke, verlieh sie ihrer Hoffnung Ausdruck. Hoffnungsvoll stimme auch, dass sich viele Männer bei den Initiativen beteiligen und es ihrer Ansicht nach kein Zurück mehr für die jeweiligen Gesellschaften gebe, sich mit frauenspezifischen Themen auseinanderzusetzen. Anlässlich des Internationalen Frauentags sind in Kairo am 8. März mehrere Demonstrationen geplant. (APA/red, dieStandard.at, 1.3.2013)