"Schau mir in die Augen, Wolfgang": Der Landarzt, in dünn besiedelten Gegenden für viele Vertrauensperson und erster Ansprechpartner, ist für junge Mediziner ein zunehmend unattraktiver Beruf.

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Kremsmünster - Pepi reißt sein rechtes Auge auf. Nicht weit genug. Mit Daumen und Zeigefinger spreizt sein Arzt die Lider auseinander, mit der anderen Hand leuchtet er sie an. "Schau mir in die Augen, Wolfgang", haucht der Patient und lacht. Nur kurz. Diagnose: Ein pralles Gerstenkorn, kurz vor dem Platzen. Er bekommt Salbe verschrieben und Instruktionen zur Anwendung. Dann der "sekundäre" Grund des Arztbesuchs: Pepi war, trotz jahrelanger Knieprobleme, noch nie auf Kur. Ob das vor der Pension noch ginge? "Machbar", sagt Wolfgang und lächelt freundlich. Der Patient solle demnächst noch mal kommen, "dann regeln wir das".

Inzwischen sind fünfeinhalb Minuten vergangen, es ist kurz vor zwölf Uhr Mittag. Wolfgang Ziegler ist Landarzt in Kremsmünster, betreibt dort seit 25 Jahren eine eigene Praxis als Allgemeinmediziner. An diesem " eher schwachen" Tag hatte er bislang 53 Patienten in seiner Ordination - allerhöchstens sechs Minuten pro Besucher, wenn es sich "irgendwie lohnen" soll. Ungefährer Nettoverdienst durch Pepi, der in diesem Quartal schon zum zweiten Mal da ist: vier Euro.

Das sei "natürlich keine professionelle Rechnung". Hausärzte unterliegen einem komplizierten Abrechnungssystem, das je nach Kasse variiert. Für die ersten 800 Patienten bekommt Ziegler pro Quartal die volle Leistung im Wert von 22,353548 Euro pro Krankem, egal, wie oft der kommt. Von diesem Betrag müsse noch der "Praxisaufwand" abgezogen werden und " ungefähr 40 Prozent Steuern". Von Patient 800 bis 1100 bekommt der Hausarzt noch 70 Prozent der Grundleistung, für jeden weiteren nur ein Fünftel.

Ziegler ist einer von 1563 Landärzten in Österreich. In den nächsten zehn Jahren sind, ausgehend vom Regelpensionsalter, mehr als die Hälfte dieser Praxen nachzubesetzen. Schon jetzt ist es in einigen Gegenden schwer bis unmöglich, Nachwuchs zu finden.

Eigentlich wollte Ziegler Chirurg werden. Doch er war zu diesem Zeitpunkt bereits oft umgezogen, die Facharztausbildung hätte weitere Stationen verlangt. "Ich wollte endlich wo daheim sein", sagt Ziegler. Nur als Landarzt war das damals sofort möglich.

Er kennt viele weitere Gründe, warum der Arztberuf in Dörfern, Gemeinden und kleinen Städten "einfach ein schöner" ist: Patienten, die er ihr Leben lang begleitet, Wertschätzung, ein krisensicherer Job. Doch die Aufgaben und der Alltag hätten sich verändert. Heute hebe nicht mehr " die Gattin" das Telefon ab und erledige Schreibarbeiten, die ländliche Bevölkerung werde älter, Patienten benötigten dadurch mehr Zeit, Hausapotheken wurden eingeschränkt, der Verdienst sei über die Jahre schlechter geworden.

Am Nachmittag macht Ziegler Hausbesuche, betreut Pflegepatienten, versorgt kranke Kinder und erledigt die Schreibarbeit. "Die Butter aufs Brot" verdient er sich durch seine Nebentätigkeiten als Gemeindearzt, Schularzt und Betriebsarzt. Ungefähr 1400 Stunden im Jahr hat er Bereitschaftsdienst über Nacht. Um mehr junge Ärzte zu ködern, müsse sich einiges ändern: Basishonorare für abgelegene Gegenden, flexiblere Arbeitszeitmodelle, weniger Bürokratie - "zum Beispiel".

Ziegler ist 53 Jahre alt und will in 13 Jahren in Pension gehen. "Dann", sagt er, "bin ich aber selbst Patient am Land und brauche Versorgung." (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 5.3.2013)