Albert Adrià bei der Arbeit in seiner Tapas-Bar Tickets in Barcelona.

Foto: Tobias Müller

Hier kredenzt er klassische spanische Happen, die technisch ein wenig aufpoliert wurden.

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Etwa Manchego-Creme-Bällchen mit Nussölkaviar...

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...oder rohes gewürfeltes Kalb mit marinierten Zwiebeln und Essigschnee. Das Konzept kommt an, das Lokal ist auf drei Monate ausgebucht.

>> s.auch Tapas: Wer teilt, hat mehr vom Essen

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STANDARD: Wie ist das so, wenn man als kleiner Bruder des berühmtesten Kochs der Welt ebenfalls Koch ist?

Albert Adrià: Ferran und ich haben gleichzeitig im El Bulli begonnen, die Rollen im Restaurant waren immer und von Anfang an auf einer Ebene und klar verteilt. Einer muss eben ins Fernsehen, und der steht dann zwangsläufig mehr im Rampenlicht. Aber das war nie ein Thema zwischen uns.

STANDARD: Die New Nordic Cuisine, wie sie jetzt im Noma oder Fäviken gemacht wird, unterscheidet sich sehr von der Molekularküche, für die das El Bulli weltberühmt wurde. Ist die Molekularküche überholt?

Adrià: Es ist logisch, dass ein norwegischer Koch anders kocht als ein Koch aus Barcelona, aber im Prinzip gibt es nur zwei Arten von Kochen: gut und schlecht. Und was die Kunden an jedem Ort sicher nicht wollen, ist sich langweilen. Das tun sie schon zu Hause genug.

STANDARD: Derzeit sind mehrere Lokale im Entstehen, die sie gemeinsam mit Ferran machen ...

Adrià: Im Februar haben wir die endgültigen Verträge für die El Bulli Foundation unterschrieben. Köche sollen dort gemeinsam mit Philosophen, Wissenschaftern oder Journalisten die Avantgardeküche weiterdenken. Wir beginnen im Mai mit den Umbauten im alten "El Bulli"-Restaurant, 2014 wollen wir fertig sein. Und wir werden drei neue Restaurants aufsperren. Den Anfang macht ein Japano-Peruaner, der am 25. Mai eröffnen wird. Im Juli sperren wir ein mexikanisches Restaurant auf, im November werden wir das 41 Degrees neu und überarbeitet eröffnen.

STANDARD: Sie werden drei neue Fine-Dining-Lokale aufsperren - in einer Zeit, in der sich viele Spanier kaum das Essen aus dem Supermarkt leisten können. Bringt das Spannungen?

Adrià: Diese Einschätzung halte ich für übertrieben. Sicher, wir starten in einer schwierigen Situation. Aber gerade deshalb will ich Restaurants in meiner Stadt haben und nicht in anderen Ländern, wo es vielleicht einfacher wäre. Barcelona lebt vom Tourismus - und je mehr wir hier bieten, desto mehr Menschen werden kommen und desto öfter werden sie uns besuchen.

STANDARD: Ihre beiden aktuellen Restaurants, Tickets und 41 Degrees, sind trotz Wirtschaftskrise jeden Abend voll. Wie geht das?

Adrià: Wir bemerken, dass sich die Leute in der Krise sehr genau überlegen, wohin sie gehen. Ich arbeite daran, dass sie wiederkommen und nicht unser Essen nur einmal probieren.

STANDARD: In und um Barcelona gibt es ja bereits eine erstaunliche Dichte an guten Restaurants. Warum gibt es an manchen Orten so viele und an anderen keine?

Adrià: Gute Restaurants hängen immer an guten Produkten. Wer keine guten Produkte hat, kann auch keine guten Restaurants haben. Nehmen Sie als Beispiel Japan und China. Die chinesische Küche ist für mich die beste der Welt, aber es gibt dort auf den Märkten nicht die Qualität. Die gibt es eher in Japan. Die Chinesen hatten zwar immer viel mehr Produkte, die Japaner hatten nie genug Platz - dafür haben sie sich auf die Qualität spezialisiert.

STANDARD: Spanien ist aber nicht gerade bekannt dafür, von der Natur benachteiligt zu sein.

Adrià: Die Spanier mussten sich nicht so kümmern, die hatten immer gute Produkte. Wir haben Sonne. Kosten Sie Spargel im Norden und kosten Sie ihn hier. Das ist ein Unterschied, tut mir leid.

STANDARD: Im El Bulli waren Sie Chef de Patisserie. Sie haben einmal gesagt, erst als Sie das Tickets aufgesperrt haben, haben Sie begonnen zu kochen. Was ist denn der Unterschied zwischen Kochen und Patisserie?

"Patisserie ist viel interessanter"

Adrià: Kochen ist technisch nicht so eine Herausforderung. Patisserie ist viel interessanter, der kreativere Job. Du hast viel weniger Grundzutaten, dafür hast du viel mehr technische Möglichkeiten. Wenn ich eine normale Speise kreiere, fange ich mit einem Fleisch, einem Fisch, einem Gemüse an. Bei Desserts aber beginne ich mit Aromen. Du hast viel mehr Freiheiten, etwas zu kreieren.

STANDARD: Auch ein peruanisch-japanisches Lokal ist eine recht kreative Mischung. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Adrià: Die Geschmacksmatrix der japanischen Küche ist recht klein, aber wenn man sie mit der peruanischen vermischt, dann multipliziert sie sich, sie wird farbig, sie explodiert. Als ich die peruanische Küche kennengelernt habe, war ich erstaunt über die Vielfalt der Saucen und die Geschmacksvariationen.

STANDARD: Die mexikanische Küche boomt derzeit, die "New York Times" hat Mexiko-Stadt als eine der "Ess-Hauptstädte der Welt" bezeichnet - was finden Sie spannend an der Küche?

Adrià: Ich liebe dieses Land, ich war insgesamt 15-mal dort. Ich glaube an diese Küche. Und es ist eine Frage des Marktes: Es gibt in Barcelona eine Marktlücke für hochklassige mexikanische und peruanische Küche.

STANDARD: Was haben Sie vom El Bulli für Ihre aktuellen Lokale mitgenommen?

Adrià: Von den Rezepten ganz wenig. Im El Bulli wollten wir die Leute emotionalisieren, im Tickets geht es darum, dass man sich unterhält und einen lustigen Abend hat. Das emotionalisierende Essen hat 300 Euro pro Person gekostet - sich unterhalten ist etwas billiger. Und hier steht immer das Produkt im Zentrum. Wir verarbeiten es nicht so, dass man es überhaupt nicht mehr wiedererkennt. (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 8.3.2013)