Das mit den Katastrophen in "SimCity" war bestimmt anders gemeint.

Foto: EA/Montage: Zsolt Wilhelm

Stellen Sie sich vor, sie sind der größte "Star Wars"-Fan aller Zeiten. Seit Monaten warten Sie ungeduldig auf den Start des neuen Films. Jede Meldung, die Ihnen dazu unterkommt, studieren sie genau. Jedes Informationsschnipsel im Internet wird zu Ihrem persönlichen Wissensberg zusammengetragen und irgendwo im Gehirn, vermutlich ganz in der Nähe des Glückszentrums, abgespeichert. Selbstverständlich reservieren Sie sich eine der begehrten Premierenkarten und reservieren zur Sicherheit noch einen Platz für ihre Begleitung dazu - geteiltes Glück ist doppeltes Glück. Und dann ist es soweit: Die Monate, Wochen, Tage und letzten Stunden des Wartens, die wie Jahre erscheinen, sind überstanden und sie sitzen gespannt wie ein Gummiring im Kinosaal. Die unendlich angestaute Vorfreude beginnt sich in Dauerglück zu wandeln. Als der Vorspann einsetzt, kann nichts mehr ihren Blick von der Leinwand trennen. Und dann der Supergau: Die Glühbirne des Projektors brennt durch, die Leinwand reißt, ihr Sitz wird vom Erdboden verschluckt. Monate des Wartens, der Vorfreude, der Spannung in einem einzigen Moment zunichte gemacht.

Eine einzige Enttäuschung

So ähnlich müssen sich Fans des Aufbaustrategiespiels "SimCity" gefühlt haben, als sie vergangene Woche nicht nach Monaten, sondern nach Jahren des Wartens die neueste Iteration einlegten, installierten und dann im nächsten Augenblick eine Abfuhr erhielten: Server ausgelastet! Weil sich Herausgeber Electronic Arts dazu entschied, "SimCity" nur bei permanenter Internetverbindung spielbar zu machen, blieben zum Start aufgrund überlasteter Server tausende virtuelle Bürgermeister vor verschlossenen Toren.

Der Zorn war entsprechend groß. 60 Euro oder mehr legten viele Fans bereits vor dem Erscheinungstag hin, um dann aufgrund technischer Mängel durch die Finger schauen zu müssen. Umso ärgerlicher, ist "SimCity" für einen Großteil der Spieler doch ein Erlebnis, dass man alleine genießt. Die integrierte Online-Funktionalität, die die Aktionen der Spieler weltweit in Verbindung bringt, wird mit einem Schlag als Gängelung empfunden. Ohne zu überlegen würde man im Moment auf Vernetzungsfeatures verzichten, könnte man jetzt bloß endlich spielen. Offline und störungsfrei für immer.

Proteststurm erboster Kunden

Verständlich ist daher der Proteststurm erboster Kunden. Auf der Spielseite des Online-Händlers Amazon etwa straften hunderte User EA mit Ein-Stern-Wertungen ab. In aller Öffentlichkeit müssen sich die Hersteller gefallen lassen, "geldgierig" zu sein und die Fans "abzuzocken". Foren der Fachmagazine und auch die offizielle Facebook-Seite von "SimCity" werden zum Ventil für angestaute Aggressionen, unerfüllte Erwartungen und jede Menge Frust. Da helfen auch keine Besserungsversprechen, der Zug ist abgefahren und Kunden mit Tickets in den Händen wurden am Bahnsteig zurückgelassen.

Wie soll man die Wut der Spieler auch nicht nachvollziehen können? Selbst den einsichtigsten Konsumenten fällt es schwer, die Versäumnisse EAs schön zu reden, wenn man selbst alle Vertragsbedingungen erfüllt, jede undurchsichtige Lizenzvereinbarung akzeptiert und sogar den Online-Zwang verdaut und der Hersteller einen nicht einmal das Spiel starten lässt.

Nicht aus Blizzards Fehlern gelernt 

Halb so wild, könnte man sagen. Doch ist man selbst betroffen, fühlt man sich um sein Geld betrogen. Das Einzige, was mich bei all dem Schlamassel wirklich erstaunt ist Electronic Arts sichtliche Überforderung. Nicht nur hatte EA Monate lang Zeit, sich auf diesen Start vorzubereiten und anhand der Vorbestellungen und Hochrechnungen der Marktbeobachter die Serverkapazitäten zu dimensionieren. Auch hatte man dank Blizzards ganz ähnlichem Debakel in der Erscheinungswoche von "Diablo 3" im Mai 2012 ein unschätzbar wertvolles Lehrbeispiel für den Start eines Einzelspieler-Games mit Online-Zwang. Wie konnte EA nicht vorbereitet sein?. Hat man die Zahlen nicht gekannt? Wusste man denn nicht, wie Kunden in den Zeiten des Internets auf Probleme reagieren?

So naiv es klingt: Ich befürchte, EA hat vom "Diablo 3"-Chaos bloß die positiven Aspekte herausgepickt und sich ob der gigantischen Verkaufszahlen einer ebenso wie "SimCity" glorreichen Marke blenden lassen. Der Schluss musste heißen: Ist das Spiel populär genug, lässt sich jedes noch so kundenunfreundliche System durchboxen. Die endlosen Hasstiraden gegen Blizzard, das angekratzte Image bei der Kernspielerschaft, wurden gerne übersehen.

EA, ihr könnt es besser!

Und vermutlich ist es tatsächlich so, dass sich "SimCity" trotz aller Stolpersteine blendend verkaufen wird. Die Masse verzeiht eben vieles. Ich glaube, jeder selbst arbeitende Konsument versteht, dass Hersteller ihre Produkte vor Betrug schützen müssen. Und ich denke, man kann bei einem börsennotierten Unternehmen auch nicht über die Profitmaximierung überrascht sein.

Doch um Himmels Willen EA, wenn die Konzernchefs schon beschließen, ihren Kunden noch weniger Rechte einzuräumen und den Konsum mit Online-Schellen zu kontrollieren, dann macht es so, dass es der Kunde nicht zu spüren bekommt. Natürlich wissen wir, dass wir mit unserem Geld entscheiden und daher selbst schuld sind, wenn sich restriktive Kopierschutzsysteme durchsetzen. Doch muss man es den Kunden derart plakativ auf die Stirn schreiben? Vermutlich würde ein Online-Kopierschutz 99 Prozent der Spieler im Alltag gar nicht stören, weil sie heutzutage so und so ständig online sind. Aber wenn das System nicht ausgereift ist und es zu Verbindungsstörungen kommt, wird es zum Problem und man zwingt selbst die treuesten Fans dazu, ihre Beziehung zum Hersteller der Wahl zu überdenken. "SimCity" ist im Kern ein fantastisches Spiel, das der Kreativität freien Lauf lässt und süchtig macht. Lassen Sie uns hoffen, dass es EA im Sumpf der Querelen vor den Stadtmauern nicht untergehen lässt. Nur weil man seine Kunden gängeln kann, heißt es nicht, dass man es auch tun muss.

Eingeständnis

Die Frage ist, wie Electronic Arts diesem Chaos begegnet. Während zum Anfang des Wochenendes die zusätzlichen Server langsam die Spielflut zu bewältigen scheinen, ist zumindest auch bei Entwickler Maxis Einsicht eingekehrt. In einem internen Memo an die Mitarbeiter gestand sich General Managerin Lucy Bradshaw ein, dass der Aufstand der Spieler berechtigt ist. "Es ist fair. 'SimCity' ist ein Online-Spiel und die Kritiker und Konsumenten haben jedes Recht, sich von Anfang bis Ende ein störungsfreies Erlebnis zu erwarten." Während die Techniker rund um die Uhr daran arbeiten, die Fehler zu identifizieren und zu beseitigen, hat Herausgeber Electronic Arts ebenso Konsequenzen gezogen. Bis auf Weiteres wurde die Vermarktung des Spiels eingefroren, bis der Betrieb wieder problemlos möglich ist. Spieler, die "SimCity" aktiviert haben, erhalten am 18. März ein kostenloses Spiel aus EAs Origin-Portfolio.

Hat sich der Staub erst einmal gelegt, bleibt die Hoffnung, dass alle aus diesem (abermals) holprigen Start eines Einzelspieler-Games mit Online-Zwang gelernt haben. Wenngleich die Erkenntnis, dass Konsumenten nur mit ihrer Geldbörse bewegen können, bleibt. Und die Frage, ob ein derart komplexes und anfälliges Kopierschutzsystem den Imageschaden und den Vertrauensverlust der Kunden wert ist.  (Zsolt Wilhlem, derStandard.at, 9.3.2013)

(Video: Die größten Games im März)

Die Top 5 der Woche

  1. "SimCity" öffnet mit Spieleraufstand und Kritikerlob die Pforten
  2. "SimCity"-Start entwickelt sich zum Debakel
  3. "Assassin's Creed 4: Black Flag": Die skrupellose Welt der Piraten
  4. "Tomb Raider": Kritiker feiern Lara Crofts schizophrene Wiedergeburt
  5. Weshalb Microsoft der PlayStation den Kampf ansagte