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Opfer Nelly N. leidet noch nach Wochen am Fersenbeinbruch.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - Auf Krücken humpelt Nelly N. langsam in den Gerichtssaal, ihr rechtes Bein steckt in einem Gips. Der Grund: ein Fersenbeinbruch, den sie sich am 5. Jänner zugezogen hat, als sie von Josef S. in der U-Bahn-Station Taborstraße auf die Gleise gestoßen wurde.

Schwere Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung

Der Angeklagte sitzt mit seiner Frau Natalie vor Richterin Gerda Krausam. Staatsanwältin Dagmar Pulker wirft dem 51-Jährigen absichtliche schwere Körperverletzung und seiner Frau unterlassene Hilfeleistung vor.

Was schon der Anwalt des Opfers in seinem Eröffnungsplädoyer kritisiert: "Das ist überraschend, ich weiß nicht, was man sich denkt, wenn man jemand auf die Gleise stößt", sieht er eher einen Mordverdacht gegeben.

"Wogen hochgegangen"

Ganz anders argumentiert Verteidiger Roland Friis. "Meinem Mandanten tut es aufrichtig leid, er wollte das Opfer nicht verletzen, es sind davor die Wogen hochgegangen. Und Frau S. wurde von der Begleiterin des Opfers festgehalten, sie konnte also gar nicht helfen."

Der Fall wäre an sich schon spektakulär, durch die Nationalität des Opfers wird er brisant. Denn sie ist Kenianerin, das Motiv einer rassistisch motivierten Attacke steht also im Raum.

Viermal mit Ausländerinnen verheiratet

"Ich bin kein Rassist", versucht der Angeklagte klarzustellen. "Ich war viermal verheiratet, immer mit Ausländerinnen", verteidigt sich der unbescholtene Wiener. Erinnern kann er sich angeblich an wenig. Seine Frau habe wohl einen Streit begonnen und rassistisch geschimpft, da die Freundin des Opfers zu laut telefoniert hatte.

Beleidigungen seien ausgetauscht worden. Er sei gestanden und bespuckt worden. "Dann habe ich sie an den Schultern weggestoßen, ich wollte nur Abstand haben." "Wenn man jemandem einen Stoß versetzt, kann der aber stürzen", wirft Krausam ein. "Daran habe ich nicht gedacht." Nach dem Sturz habe er Angst bekommen und sei weggelaufen.

Seine Frau gesteht die Beschimpfungen, beteuert aber, nach der Tat keine Chance gehabt zu haben zu helfen, da sie von der Freundin des Opfers festgehalten worden sei. Was diese bestätigt und auf einem Überwachungsvideo zu sehen ist.

Situation eskalierte im Gerichtssaal

Dann eskaliert plötzlich die Situation im vollen Gerichtssaal. Einer der Sympathisanten des Opfers, die zu Krausams Unmut schon vorher im Saal lautstark eine Mordanklage gefordert hatten, läuft auf den Angeklagten zu, fuchtelt fünf Zentimeter vor seinem Gesicht mit dem Zeigefinger, ehe er von Freunden weggezerrt wird.

Berufung einglegt

Die anschließenden Aussagen des Opfers und seiner Freundin helfen der Sache der Anklage eher bedingt. Beide bestreiten, selbst auch geschimpft zu haben, obwohl das eine unabhängige Zeugin gehört hat. Auch von einem angeblichen Faustschlag ist auf dem Überwachungsvideo nichts zu sehen, Zeitabläufe stimmen nicht mit ihren Aussagen überein.

Am Ende fällt Krausam ein überraschend mildes Urteil (siehe Chronologie). Es sei keine Absicht, sondern "nur" eine schwere Körperverletzung gewesen. S. habe sich nach dem Streit in einer "Stresssituation befunden" und zuvor noch versucht, seine Frau zu beruhigen. Die Strafe: ein Jahr bedingt. Seine Frau wird freigesprochen, da das Video ihre Aussage stützt. Staatsanwältin Pulker beruft, daher ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 8.3.2013)