Mit neuen wissenschaftlichen Daten hat am Donnerstag beim 30. Ernährungskongress der deutsche Adipositas-Spezialist Achim Peters aufhorchen lassen. "Dicke leben länger", meinte der Lübecker, was besonders in Stresszeiten ausschlaggebend ist. Damit widerspricht Peters der breiten Meinung von Ernährungsexperten. "Zu sagen, übergewichtige Menschen sind willenlos und faul, ist diskriminierend", so Peters, "Dicke haben viel mehr Kontrolle über ihr Essen als andere."

Der Entdecker der Theorie des egoistischen Gehirns ("Selfish Brain-Theorie") weist nämlich dem Organ eine besondere Rolle innerhalb des Stoffwechsels, die bisher vernachlässigt worden ist. Laut Peters ist das Gehirn das Ende der Energielieferkette und organisiert die Energieversorgung des Körpers so, dass es seine Bedürfnisse als größter Endkonsument von Glukose befriedigen kann. Das Gehirn verbraucht 50 Prozent des täglichen Glukose-Bedarfs eines Menschen - in belastenden Stresssituationen sogar 90 Prozent.

Keine Willenlosigkeit

Seinen hohen Bedarf deckt das Gehirn, indem es sich im übertragenen Sinn selbstsüchtig verhält. "Das Gehirn steht mit den anderen Organen im Wettbewerb", erläuterte Peters, "es beschafft seine Energie durch Allokation, durch Umverteilung: Anderen Organen wird Glukose entzogen, um diese selbst zu verbrauchen."

Wenn jemand also jeden Tag zwei Semmeln zum Frühstück isst, wird ein Gebäckstück für den Körper verbraucht, das zweite für das Gehirn. Wenn jedoch die Kraft, mit der das Gehirn Energie aus dem Körper zieht, ausfällt, signalisiert das Gehirn, dass es noch zu wenig hat. "Was passiert also? Der Ausweg ist ein weiteres Brötchen zu essen und so kommen mehr Brötchen in den Magen, obwohl der Körper bereits voll ist", erklärte Peters. "Das ist eine Krankheit, die hat mich Willenlosigkeit nichts zu tun. Dicke Menschen essen so, dass ihr Gehirn genug Bedarf hat."

Gewichtsparadoxon

Auch in Stresszeiten spielt das Gehirn eine entscheidende Rolle. Wenn das Stresshormon Kortisol in die Höhe schnellt, reagieren die Menschen ganz unterschiedlich. "Typ A fährt immer wieder hoch, das Kortisol steigt immer wieder an. Typ B regt sich beim ersten Mal noch auf, gewöhnt sich jedoch an die Stresssituation und passt sich an", erklärte Peters. Typ A nimmt in ungünstigen Lebenssituationen ab, nur ein "kleines Bäuchlein" setzt sich an, erklärte der Wissenschafter. Typ B nimmt generell zu, vor allem an Hüfte und Oberschenkel. "Doch Typ A ist da viel gefährdeter. Er neigt zu viszeralen Fettakkumulationen, Arteriosklerose, Herzinfarkt, Schlaganfall, Depression und hat eine geringere Lebenserwartung. Typ B schafft es, das Kortisol niedrig zu halten. Eine tolle Anpassungsfähigkeit", meinte Peters. "Die Lebenserwartung dieser Menschen ist, obwohl sie dicker sind, normal."

Oft sei ein hoher Body Mass Index (BMI) günstiger, um zu überleben, meinte Peters. "Sowas nennt man Gewichtsparadoxon, weil es nicht zusammenpasst." Der deutsche Adipositas-Experte erwähnte in diesem Zusammenhang von Studien, wo Dialyse-Patienten eher überleben, wenn sie dicker sind. "Der BMI als einziger Marker ist gar nicht so gut. In der letzten Zeit misst man auch zusätzlich zum BMI auch das viszerale Fett." Den einzigen Preis, den übergewichtige Menschen zahlen, so der Wissenschafter, sei Bewegungseinschränkung und Arteriosklerose. (APA, 8.3.2013)