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Der in Granit gehauene Beleg für die Existenz von Gondwana wurde mehrmals zum schönsten Strand der Welt gewählt: Der Anse Source d'Argent auf der Insel La Digue.

Foto: Martin Harvey/Corbis

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Das Land, in dem die größten Kokosnüsse ...

Foto: EPA PHOTO/LUSA/MANUEL MOURA

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... und die kleinsten Frösche vom Baum fallen, steht zur Hälfte unter Naturschutz.

Foto: Patrick Pleul/dpa

Anreise & Unterkunft

Günstig und nonstop fliegt man zum Beispiel mit Condor von Wien auf die Seychellen. Einfache, nette Unterkunft: Georginas Guesthouse, Beau Vallon, im Norden von Mahé, buchbar über: www.seychelles-info.com; dort kann man auch den Guide Basil Beauduoin kontaktieren. Wanderrouten und weitere Infos: www.seychelles.travel

Grafik: DER STANDARD

Basil Beaudouin stochert mit seinem Wanderstock im Waldboden herum und murmelt andauernd "Sooglossus". Der Mann mit dem abgewetzten Cowboyhut ist auf der Pirsch: nach einem der kleinsten Wirbeltiere der Welt, dem Frosch Sooglossus seychellensis, der auf einen menschlichen Fingernagel passt.

Seit Jahren führt Basil Reisende durch die tropischen Wälder von Mahé, der größten und höchsten der 115 Seychelleninseln: 27 Kilometer ist sie lang, acht Kilometer breit, 905 Meter hoch. Dutzende Wanderpfade schlingen sich hier die Küsten entlang, hinauf bis in die nebelverhangenen Urwälder des Nationalparks Morne Seychellois. Häufig begangen werden sie nicht, doch es lohnt sich, die Strandmatte einmal zu verlassen.

Heute geht es auf den 500 Meter hohen Mount Copolia. Bei 30 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit kein Spaziergang, wenn auch die Suche nach dem Miniaturfrosch für ein gemächliches Tempo sorgt. Zu jeder Palme, zu jedem Strauch weiß der Guide etwas zu erzählen: "Früher wurde dieser hier als Naturkosmetik verwendet", sagt er in dem typischen französisch angehauchten Englisch der Seychellen und zerreibt die Samen des Rukustrauches zu einem Knallrot. Das Zeug ist wischfester als jeder Lippenstift.

Der Strauch kommt ursprünglich aus Südamerika, erklärt er. 1756 annektierten die Franzosen die tropischen Inseln und nutzen sie als Kokos- und Gewürzplantagen. Doch aufgrund der geringen Ertragsfläche - die Seychellen sind gerade einmal 455 Quadratkilometer groß - waren die Pflanzungen nicht rentabel, viele wurden wieder aufgegeben. Die eingeführten Nutzpflanzen verbreiteten sich und machten einheimischen Gewächsen fortan Konkurrenz.

Zugewanderte wie Zimt

Basil zeigt uns einige der Eindringlinge: Vanillestauden ranken sich an allem empor, was schon seit Ewigkeiten in diesem Wald gedeiht, Cashewsträucher und Zimtbäume wachsen dagegen einträchtig zwischen Seychellen-Urgewächsen wie den Stelzenpalmen. Er schneidet ein Stück Rinde von einem dünnen Stämmchen ab, und der aromatische, fast schon scharfe Duft von frischem Zimt steigt uns in die Nase. "Der Rindenaufguss ist gut für deinen Bauch, aber brau ihn nicht zu stark, sonst wird dir schwindelig", erklärt der 50-Jährige, der sich als Ökofreak entpuppt: Seine Familie und sich selbst kuriert er nur mit Kräutern, Gemüse baut er selbst an - freilich ohne Pestizide zu verwenden: "Heute tötet das Gift die Insekten, aber morgen, mein Freund, tötet es dich."

Der Umweltschutzgedanke ist weitverbreitet auf den Seychellen und seit knapp 20 Jahren Teil der Verfassung. Schon damals erkannte man, dass die Natur das größte Kapital der Inseln ist: Fast die Hälfte der Landfläche steht unter Schutz, der höchste Anteil weltweit. Die Organisation Nature Seychelles hat sogar mehrere kleine Inseln in ihren Urzustand zurückversetzt. Ein mühsames Unterfangen, bei dem Ratten getötet, eingeschleppte Pflanzen ausgerissen und durch die ursprünglichen ersetzt wurden. Die 29 Hektar kleine Insel Cousin ist ein Musterbeispiel dafür. "Dort müssen wir permanent wachsam sein", erklärt Nirmal Shah von Nature Seychelles, "in unserem Klima treibt jeder Pflanzensamen sofort aus." Auch unser Guide bittet uns nicht einmal einen Apfelbutzen wegzuschmeißen.

Ein Winzling mit großer Bedeutung

Beim Gehen stochert er mal hier, mal da im vermoderten Blattwerk und macht uns auf einen gut vernehmbaren Laut aufmerksam. Mit dem Wanderstock zeigt er auf den freigelegten Waldboden. Angestrengt starren wir hin. Etwas schnellt in die Höhe und landet einen halben Meter weiter: ein erdfarbener Sooglossus. Die naturhistorische Bedeutung des Winzlings, erfahren wir, ist dafür umso größer.

Das Vorkommen von Fröschen auf den Seychellen ist ausgesprochen ungewöhnlich. Die Inselgruppe liegt 1200 Kilometer vor Afrikas Ostküste mitten im Indischen Ozean. Frösche vertragen in keiner Lebensphase Salzwasser und trocknen leicht aus. Sie konnten die Inseln also weder schwimmend noch auf Treibgut erreicht haben. Aber wie gelangten sie dann hierher? Ihre Existenz lässt nur eine Antwort zu: Die Seychellen waren einst Teil des Urkontinents Gondwana. Als dieser vor 160 Millionen Jahren auseinanderbrach, ist die Inselgruppe entstanden. Auch die Geologie liefert Belege für diese Theorie: 20 der Inseln bestehen aus kontinentalem Gestein, also jenen fotogenen und bis zu 750 Millionen Jahren alten Graniten, die Postkarten von den Seychellen zumeist zieren.

Wir betrachten den Sooglossus mit Ehrfurcht: Seine Vorfahren hüpften einst auf Gondwana herum. Aufgrund der frühen Trennung vom Urkontinent sind die Seychellen reich an solchen Endemiten, also ausschließlich dort lebenden Tier- und Pflanzenarten. Fast jede Insel hat eine solche Art und an Superlativen mangelt es nicht: Mahé einen der kleinsten Frösche der Erde, das Inselchen La Digue den Paradiesschnäpper - mit schätzungsweise 100 lebenden Exemplaren, einer der seltensten Vögel der Erde - und die Insel Praslin die legendäre Coco-de-Mer-Palme. Die weibliche Pflanze produziert den größten und mit bis zu 20 Kilogramm schwersten Samen der Welt, dessen Form an einen wohlgestalteten Hintern erinnert. Im Reservat Vallé de Mai wachsen mehrere Tausend der bis zu 30 Meter hohen Palmen, deren riesige, fächerartige Blätter so gut wie kein Sonnenlicht passieren lassen. Ein Urwaldüberbleibsel aus fernen, fernen Zeiten, das zum Weltnaturerbe erklärt wurde.

Tanz im Schneckentempo

Kurze Zeit später beobachten wir ein Lebewesen, das auf den Seychellen nur "die Schnecke, die wie eine Frau tanzen kann" heißt. Als der Guide die unscheinbare, braune Pachnodus niger mit dem Zeigefinger anstupst, zieht sie sich nicht in ihr Haus zurück, sondern wackelt stattdessen rhythmisch damit. Ob sie auf diese Weise hungrige Vögel verwirrt? Noch weiß es niemand.

Nach gut zwei Stunden erreichen wir den Mount Copolia. Das rundgeschliffene Felsplateau aus schwarzem Granit wird, wie schon seit Jahrmillionen, auch heute vom Wind gepeitscht. Es ist über und über mit insektenfressenden Kannenpflanzen bewachsen. Auf einem Felsvorsprung mit grandiosem Blick über die Ausläufer der Hauptstadt Victoria, die vorgelagerten Inselchen Sainte Anne und die Île au Cerf in türkisblauem Meer wollen wir picknicken. Doch von Süden her treibt der Wind eine dunkelgraue Wolkenwand auf uns zu, Basil mahnt schon zur Eile.

Wir werden trotzdem nass. Da wir aber inzwischen wissen, dass die Sonne nach spätestens einer Stunde wieder vom Himmel strahlt, ist die Vorfreude auf das Meer nach der Anstrengung umso größer. Nicht so für den Naturburschen von den Seychellen: "Das schaut ja ganz hübsch aus - aber darin schwimmen? Niemals." (Juliette Irmer, DER STANDARD, Rondo, 8.3.2013)