Ein Leben ohne Ei ist für mich unvorstellbar. Wer Nein zum Ei sagt, der sagt auch Nein zu den Freuden frischer Pasta, flockigem Tarte-Teig, Cremen und vielen Saucen – ganz abgesehen von all dem Entzücken, das das Ei in seiner reinen Form hervorrufen kann. Kaum eine Zutat ist so vielseitig. Das Ei zu verstehen würde ein ganzes Leben brauchen, hat der kanadische Koch Frederic Morin daher einmal in einem Interview gesagt. So viel Zeit will ich ihm zwar doch nicht widmen. Ein paar Wochen ist es aber schon wert. Und wie kann man es besser verstehen, als damit herumzuexperimentieren.

Ähnlich faszinierend und vielseitig wie das Ei ist auch das Reifen. Eier zu reifen hat daher einen besonderen Reiz. Und weil auch noch die eierreichste Zeit des Jahres naht, habe ich mich an zwei Eier-Reifungen versucht: Ei gepökelt und Tausendjährige Eier.

In weiten Teilen Asiens weiß man ein gut abgelegenes Ei durchaus zu schätzen und hat die Kunst seiner Reifung über die Jahrhunderte perfektioniert. In Österreich und Europa aber fehlt, soweit ich weiß, jegliche derartige Tradition. Das Ei hat, ähnlich wie der Fisch, hierzulande der Inbegriff von Frische zu sein.

Bereits der Name "Tausendjähriges Ei" zeigt das Unverständnis, das die Europäer dem Eierreifen entgegen bringen: Westliche Entdecker nannten es voll Abscheu so, weil es, traditionell zubereitet, ein wenig mumifiziert aussieht. In China heißt es schlicht Pi Dan, Lederhaut-Ei. Der Akzeptanz des Pi Dan im Westen nicht geholfen hat auch sein thailändischer Name, khai yiao ma, der wörtlich übersetzt "Pferde-Urin Ei" bedeutet.

Dass sich das ausschließlich auf den Ammoniak-Geruch des Produkts bezieht und nicht auf die Art seiner Herstellung, das will manch Ei-Verächter bis heute nicht recht glauben. 2011 kürte ein CNN-Journalist das tausendjährige Ei zum scheußlichsten aller Lebensmittel – was nicht nur zu transkulturellen Verstimmungen führte, sondern für mich auch schwer nachvollziehbar ist.

Seltsam ist für den Pi-Dan-Neuling nur die Erscheinung des Eis: Das Eiweiß verfärbt sich dunkelbraun bis schwarz, das Eigelb wird je nach Betrachter cremig bis schleimig und nimmt diverse dunkle Grün- und Grautöne an. Geschmeckt haben aber alle, die ich bisher probiert habe, eindeutig wie Ei – nur deutlich intensiver. Allerdings habe ich nur einmal eins in seiner natürlichen Umgebung, in Taiwan, gekostet. Alle anderen Samples stammten aus dem Wiener Chinarestaurant.

Die Qualität eines Pi Dan erkennt man laut Profis an den eisblütenartigen Kristallen (Song Hua auf chinesisch), die sich idealerweise an seiner Außenseite bilden. Dabei handelt es sich um kristallisierte Aminosäuren, die nur dann erblühen, wenn die Proteine im Ei durch die Reifung ordentlich zerlegt worden sind.

Bei der Eierreife macht man sich die Tatsache zunutze, dass die Schale des Eis bei weitem nicht so dicht ist, wie sie aussieht. Sie hat 7000 bis 17.000 winzige Poren, durch die ständig Gase ein- und ausströmen (weil Kohlendioxid aus dem Eiweiß abgeht, haben alte Eier klarere Dotter als frische), Feuchtigkeit entweicht und Stoffe in das Ei eindringen können. Dank der Poren kann daher das Innere des Eis behandelt werden, ohne die Schale zu öffnen.

So wie alle Techniken des Reifens wurde auch die Eierreifung ersonnen, um ein verderbliches Produkt länger haltbar zu machen. Ganz traditionell wird ein Pi Dan so verarbeitet: Starker Tee wird mit Asche, Kalk und Salz zu einem Schlamm vermischt. Die Eier werden einzeln mit der Mischung beschmiert und anschließend in den Hülsen von Reiskörnern gewälzt. Der Kokon, der dabei entsteht, wird dann mehrere Monate zum Reifen liegen gelassen, bevor das Ei wieder ausgepackt und ungekocht verspeist wird.

Foto: Tobias Müller

Das Salz, der Tee, der Kalk und die Asche verhindern das Wachstum von Bakterien, die Ummantelung verhindert, dass Feuchtigkeit aus dem Ei entweicht. Durch die Schale dringen die einzelnen Bestandteile des Mantels in das Ei ein und verändern es. Durch die basischen Bestandteile in der Asche und den Kalk steigt der PH-Wert im Ei: Die Proteine werden zerlegt, das Eiweiß wird wie beim Kochen fest und Geschmackstoffe entstehen. Aus der Glutaminsäure etwa wird schmackhaftes Glutamat.

Meist werden für Pi Dan Enteneier verwendet: Traditionelle chinesische Reisbauern haben eine symbiotische Beziehung zu den Tieren, weil sie ihre Felder umackern und gleichzeitig Schädlinge wie Schnecken fressen. Jedes andere Ei tuts aber auch. Weil Ostern gar nicht mehr so weit weg ist und Herr Lee das auch tut, habe ich zwecks schnellerer Reifung Wachteleier genommen.

Foto: Tobias Müller

Um sich die Mühe des Aschemachens, Kalkgewinnens und Schlammanrührens zu sparen, wurden im Laufe der Jahrhunderte einfachere Methoden ersonnen. So werden die Eier erst in einer Art Pökellösung eingelegt und dann noch einige Wochen trocken nachgereift. Mein Rezept stammt vom San Franciscoer Koch Corey Lee, der sie wiederum dem Lucky Peach verraten hat. Dort stehen sie, gemeinsam mit einigen anderen, in einem wunderbaren Artikel über die Kunst des Eierkonservierens.

Statt auf Kalk und Asche setzt Meister Lee auf Speisesoda: Es hat den gleichen Effekt, nämlich dem Ei eine basische Umgebung zu bieten. Das Soda wird gemeinsam mit dem Salz in Pu Erh Tee aufgelöst und die Mischung über die Eier gegossen. Licht schadet dem Reifungsprozess angeblich, weswegen Lee schwere, tönerne Krüge als Reifegefäße empfiehlt. Weil ich so etwas nicht besitze, habe ich ein Einmachglas genommen und mit Alufolie umwickelt. Mal sehen.

Foto: Tobias Müller

1000-jährige Ostereier (Oster Pi Dan)

30 Gramm Pu Erh Tee in einem Liter Wasser zum Kochen bringen. Vom Herd nehmen und 50 Gramm Salz und 42 Gramm Soda zusetzen. Vorsicht: Wenn man das zu schnell macht, schäumt die Mischung gewaltig (siehe Foto).

Foto: Tobias Müller

Die Lake auskühlen lassen.

Foto: Tobias Müller

Die Wachteleier vorsichtig in ein Glas (ideal einen Tonkrug mit Deckel) schichten...

Foto: Tobias Müller

... und mit der Flüssigkeit übergießen. An einem kühlen Ort zwei Wochen (Für Hühner- oder Enteneier: vier Wochen) reifen lassen.

Foto: Tobias Müller

Aus der Lake nehmen, abwaschen und trocknen lassen. Fest in Plastik packen und nochmals eine Woche (idealerweise zwei, aber dann ist Ostern schon vorbei) weiter reifen lassen. Nach Lust und Laune färben und Freunde und Familie mit auch innen bunten Ostereiern überraschen.

Gepökelte Ostereier (Oster Xian Dian)

Weils so schön war, habe ich auch noch ein paar Hühnereier schlicht gepökelt, also in Salzwasser eingelegt. Dafür wird ein Liter Wasser mit 200 Gramm Salz gemischt, aufgekocht, abgekühlt, und über Eier in einem Einmachglas gegossen. Das ganze darf dann zwei bis drei Wochen bei kühlen Temperaturen ziehen. Xian Dian heißt das Ergebnis in China.

Das Salz würzt das Ei, weil es so lange Wasser aus ihm zieht, bis die Salzkonzentration in der Lake und im Ei die gleiche ist. Im Ei selbst sorgt es dafür, dass das Eigelb ölig-krümelig wird und das Eiweiß fester. Xian Dian werden gekocht, bevor sie gegessen werden – sie eignen sich also auch zum Eier-Pecken.

Foto: Tobias Müller

Gern würde ich hier schreiben, wie die beiden geworden sind und Fotos von den gereiften Eiern zeigen – allein, ich habe zu spät mit ihnen angefangen und muss deshalb selbst bis kurz vor Ostern warten.

In den kommenden Wochen gibt es hier und auf Twitter Updates. Statt einem Fazit ein Aufruf: Schicken Sie mir (tobias.mueller@derstandard.at) Ihre schönsten Fotos von ihrem gereiften Ei. Die besten Einsendungen, streng subjektiv von mir ausgewählt, werden hier veröffentlicht. (Tobias Müller, derStandard.at, 8.3.2013)