Damaskus/Genf - Die syrische Regierung setzt nach Einschätzung von UN-Ermittlern Milizen zur Verübung von Massenmorden ein, die gezielt auch einzelne Bevölkerungsgruppen ins Visier nehmen. Die Taten würden von sogenannten Volkskomitees begangen, von denen einige offenbar von der Regierung ausgebildet und bewaffnet worden seien, heißt es in einem am Montag vorgestellten Bericht einer Syrien-Kommission. Doch auch die Rebellen würden häufig gefangen genommene syrische Soldaten und Milizionäre exekutieren.

Die Aufständischen unterhielten zudem Haftanstalten in Homs und Aleppo. Auch würden sie in oder in der Nähe von dicht besiedelten Gebieten Stellungen beziehen, was gegen internationales Recht verstoße. Der seit zwei Jahren anhaltende Konflikt stecke in einem "zerstörerischen Patt" fest.

"Beunruhigender und gefährlicher Trend"

Die Ermittler, die ihre Erkenntnisse auf Angaben von Augenzeugen und Opfer stützen, erklärten, es gebe einen "beunruhigenden und gefährlichen Trend", dass einige der angeblich von den Volkskomitees begangenen Massenmorde sich gezielt gegen bestimmte Volksgruppen richteten. So seien Menschen von mit der Regierung verbündeten Milizen belästigt oder festgenommen worden, weil sie aus Regionen stammten, die den Aufständischen als wohlgesinnt gelten. Die Revolte, die sich zu einem Bürgerkrieg ausgewachsen hat, wird in erster Linie von sunnitischen Muslimen getragen, während Präsident Bashar al-Assad ein Alawit ist.

Es lägen Berichte zu Volkskomitees aus ganz Syrien vor, hieß es in dem zehnseitigen Bericht, den die Ermittler dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf präsentierten. Die Gruppen sollen an Hausdurchsuchungen, Personenkontrollen, Massen-Festnahmen und Plünderungen beteiligt gewesen seien oder Informanten gestellt haben. "Rücksichtsloser und weitverbreiteter Beschuss, die regelmäßige Bombardierung von Städten, Massenmorde und das absichtliche Schießen auf zivile Ziele" seien mittlerweile typisch für das tägliche Leben der Zivilisten in Syrien, sagte der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Paulo Pinheiro.

Die Ermittler betonten, dass beide Seiten Verstöße gegen Zivilisten begangen hätten. Gegenwärtig würden etwa 20 Massaker untersucht, darunter drei seit Beginn des Jahres in der einstigen Rebellenhochburg Homs. Einige der Leichen seien verbrannt oder in Flüsse geworfen worden.

Syrien weist Bericht zurück

Syriens Vertreter Faysal Khabbaz wies den Bericht zurück. Er basiere auf Informationen nicht vertrauenswürdiger Quellen. Er warf zudem Katar vor, zehntausende Söldner aus 30 Ländern finanziert zu haben. Die Türkei habe Militärstützpunkte zur Verfügung gestellt und die Kämpfer "auf ihren Jihad nach Syrien" geschickt. Russland kritisierte den Bericht als nicht ausgewogen. Es lägen zudem Beweise vor, dass die bewaffnete Opposition sexuelle Gewalt als Waffe einsetze und Kindersoldaten ausbilde. Die Europäische Union und die USA forderten, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Notfalls solle der Internationale Strafgerichtshof eingeschaltet werden, sagte eine EU-Vertreterin.

Mehr als 70.000 Menschen wurden nach Angaben der UN in dem Konflikt bisher getötet, über eine Million Syrer sind vor der Gewalt ins Ausland geflohen. Die Rebellen kontrollieren inzwischen viele ländliche Gebiete vor allem im Norden des Landes. Assads Truppen scheinen sich darauf zu konzentrieren, die wichtigsten Städte zu halten. Am Montag griff die Luftwaffe der Opposition zufolge erneut das Stadtviertel Baba Amr in Homs an. Die Rebellen hatten am Tag zuvor nach eigenen Angaben einen Vorstoß gegen ihre einstige Hochburg unternommen, die Regierungskräfte antworteten mit Bombardements. Bericht über Opfer lagen zunächst nicht vor.

Bildung einer Übergangsregierung verschoben

Die Opposition verschob indes die Bildung einer Übergangsregierung zum wiederholten Mal. Das bestätigte ein Sprecher der Nationalen Syrischen Koalition (NSC) in Istanbul am Montag. Seinen Angaben zufolge reagierten die Regimegegner damit auf einen Appell des NSC-Vorsitzenden Moaz al-Khatib. Die Koalition ist ein breites Bündnis von Oppositionsgruppen aus dem linken, liberalen und islamistischen Spektrum.

Al-Khatib hatte Bedenken gegen die Wahl einer Interimsregierung für die von den Rebellen kontrollierten Gebieten geäußert. Dies könne eine Spaltung des Landes begünstigen. Außerdem bestehe das Risiko, dass die Regierung abhängig sein werde "von der Gnade derjenigen, die ihren Mitgliedern das Gehalt bezahlen". Als neuer Termin für die Abstimmung über eine Regierung wird der 20. März angepeilt.

Das Regime von Präsident Assad, das sich gerne als Bollwerk gegen militante Islamisten präsentiert, hat inzwischen den "Jihad" für sich entdeckt. Das staatliche syrische Fernsehen spielte am Montag ein Lied, in dem zum "Heiligen Krieg" aufgerufen wird. Der regimetreue Mufti von Syrien, Ahmed Hassun, hatte am Sonntag erklärt, der Kampf zur Verteidigung des Staates und seines Regimes sei eine religiöse Pflicht für jeden syrischen Muslim.

Lage "immer unübersichtlicher"

Die Situation in Syrien war auch Thema eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger bezeichnete die Lage als "immer unübersichtlicher". Die humanitäre Katastrophe sei von den Zahlen her "viel größer als befürchtet". Sein deutscher Amtskollege Guido Westerwelle warf dem syrischen Regime "schwere Kriegsverbrechen" gegen das eigene Volk vor.

Die internationale Gemeinschaft fürchtet eine Eskalation der Gewalt in Syrien. UNO-Sondervermittler Lakhdar Brahimi warnte am Montag beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel vor einer weiteren Verschlimmerung: "Entweder wir erreichen eine friedliche, einvernehmliche, politische Lösung oder die Situation wird ähnlich wie in Somalia oder sogar schlimmer." Das Land am Horn von Afrika stürzte in den 1990er Jahren in Chaos und Bürgerkrieg und blieb mehr als zwei Jahrzehnte ohne funktionierende Regierung. Brahimi erstattete den EU-Außenministern Bericht zur Lage in Syrien. (APA, 11.3.2013)