Innsbruck - "Wir können kein erfahrenes Leid ungeschehen machen", erklärt Soziallandesrat Gerhard Reheis (SP) zu den Missbrauchsvorwürfen in öffentlichen Heime bis in die achtziger Jahren. Er wisse sehr wohl, dass Geld nur eine symbolische Geste für die Opfer sei.

Die Tiroler Landesregierung hat am Dienstag die Entschädigung für weitere 47 Opfer von Missbrauch in Tiroler Heimen beschlossen. In den nächsten Tagen sollen 229.000 Euro ausgeschüttet werden. Insgesamt seien damit bisher 1.976.500 Euro an 238 Betroffene gegangen. Manfred Jenewein aus der zuständigen Abteilung Soziales rechnet damit, dass sich auch weiterhin immer wieder Missbrauchsopfer melden. In Gesprächen hätten einige gemeint, dass sie durch die Entschädigungszahlung erst mit dem Erlebten hätten abschließen können. Andere wiederum seien mit den Zahlungen nicht zufrieden und wollen das Land klagen.

Weiterlaufen soll jedenfalls die historische Aufarbeitung der Heimsituation nach 1945. Neben einer gemeinsamen Studie mit dem Land Vorarlberg zum Fürsorgesystem der beiden Bundesländer wird es auch einen Forschungsbericht zum Heim St. Martin in Tirol geben, in Vorarlberg soll die Situation im Heim am Jagdberg erforscht werden.

Grundlagenstudie

Forschungen in St. Martin, welches das einzige Erziehungsheim in Westösterreich für schulentlassene Mädchen war, wurden bereits in der Grundlagenstudie von Projektleiterin Michaela Ralser als "beispielhaft" empfohlen. Es sei als früheres Gefängnis und Arbeitshaus exemplarisch für die Entwicklung eines Erziehungsheimes. Die Grundlagenstudie wurde im Sommer 2012 präsentiert und basiert auf den Akten der Erziehungsheime und mündlichen Überlieferungen von damaligen Heimkindern.

Als Präventionsmaßnahme ließ das Land zudem eine Studie zur aktuellen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen in Tiroler Heimen erstellen. Befragt wurden neun Mädchen und fünf Buben zwischen zehn und 23 Jahren. Verbesserungsvorschläge, wie etwa der Wunsch nach seltener wechselndem Betreuungspersonal, sollen nach und nach umgesetzt werden.

Bericht zur Zwangsarbeit

Die Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe von Zwangsarbeit in Tiroler Heimen dürfte in wenigen Wochen ihren Bericht vorlegen. 89 Personen haben sich beim Land gemeldet. Inzwischen sei mit allen Betroffenen gesprochen worden, Zeitzeugen seien befragt worden. Die Arbeitsgruppe werde ihre Zusammenfassung vorlegen und dem Land ihre Empfehlungen darlegen. Konkret geht es um die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und die korrekte Entlohnung für Arbeiten.

Die "legale Umgehung der Sozialversicherungspflicht" durch private und staatliche Unternehmen (Kasernen, Krankenhäuser) hatte der Innsbrucker Historiker Horst Schreiber 2010 bereits in seinem Buch "Im Namen der Ordnung" beschrieben. Im Sommer 2012 waren Vorwürfe laut geworden, Heimzöglinge hätten in den 1960er-Jahren im Heim, aber auch für Firmen, wie etwa Swarovski oder Darbo, gearbeitet und zu wenig Lohn bekommen. (ver, DER STANDARD, 13.3.2013)