Wien - Der Hilfsplan, mit dem Brüssel der unter Überkapazitäten leidenden Stahlbranche in Europa unter die Arme greifen will, kommt (zu) spät. Bis die EU-Kommission Empfehlungen zu Handel, Rohmaterialien und Energiepolitik auf einen Nenner bringt, wird der eine oder andere Konzern wenn nicht die Flucht ergriffen, so doch ein zweites Standbein aufgebaut haben. Voestalpine ist so ein Fall. Der Linzer Stahl- und Verarbeitungskonzern nützt den Schiefergasboom in den USA mit konkurrenzlos niedrigen Energiepreisen und investiert in Texas.

Bis 2016 wird um 550 Millionen Euro in Corpus Christi ein Werk aus dem Boden gestampft, das rund 150 Mitarbeiter beschäftigen soll. Die Direktreduktionsanlage mit einem jährlichen Produktionsvolumen von zwei Millionen Tonnen stelle das bisher größte Auslandsinvestment in der Unternehmensgeschichte dar, verkündete Voest-Chef Wolfgang Eder am Mittwoch. Der aus Eisenerzpellets hergestellte "Eisenschwamm" (DRI/HBI), ein mit hochwertigem Schrott oder Roheisen vergleichbares Vormaterial zur Rohstahlerzeugung, soll zur Hälfte nach Europa verschifft und in Linz und Donawitz verarbeitet werden. Der Rest, quasi eine strategische Reserve, werde weiterverkauft.

Gas statt Koks

Der Vorteil von Direct Reduced Iron (DRI), einem mit Reduktionsgas befeuerten Verfahren: Der Kauf von Schadstoffemissionszertifikaten wird gegenüber Kokseinsatz extrem vermindert. In den USA profitiert Voestalpine doppelt: Klimazertifikate gibt es nicht, und Gas kostet nur einen Bruchteil. Das lässt auch die Chemieindustrie über den Atlantik spähen - und Kalkulationen errechnen.

Denn als Ausgangsstoff für viele chemische Grunderzeugnisse ist Erdgas in den USA derzeit nicht nur in üppigen Mengen verfügbar, sondern liegt 70 bis 80 Prozent unter den Kosten in der alten Welt. In den Strategieabteilungen energieintensiver Unternehmen wird deshalb umgedacht. Konzerne wie BASF, denen bisher vor allem die Konkurrenz aus dem Nahen Osten wegen dessen räumlicher Nähe zu den Ölquellen am Persischen Golf Kopfschmerzen bereitet hatten, prüfen nun den Sprung nach Nordamerika.

Wettbewerbsdruck

Insbesondere in der Petrochemie, die wichtige Basischemikalien für Kunststoffe, Farben und Lacke liefert, wird der Wettbewerbsdruck stark steigen.

In Europa arbeiten die sogenannten Cracker, zumeist mit dem Erdölprodukt Naphta als Rohstoff, das dann in wichtige Kunststoff-Vorprodukte wie Ethylen, Propylen und Butadien aufgespalten wird. In den USA werden solche Großanlagen vorwiegend mit Erdgas gespeist und können deshalb deutlich günstiger produzieren. Vor allem im Osten ist Erdgas seit gut fünf Jahren das große Ding. An mehr als 400.000 Stellen im ganzen Land wird das in Schiefergestein gebundene Öl und Gas aus mehreren Kilometern Tiefe an die Erdoberfläche befördert. Die Erschließung längst identifizierter Öl- und Gasfelder ist durch die Kombination aus horizontalem Bohren und Hydraulic Fracturing, kurz Fracking, möglich geworden. Die Methode ist umstritten, weil ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in die Bohrlöcher gepumpt und so Gas nach oben gedrückt wird.

Diese Art Energiewende - in den kommenden drei Jahren sollen gut 170 US-Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzt werden, die Kilowattstunde Strom kostet umgerechnet neun Euro-Cent, während deutsche Haushalte bis zu 26 Cent brennen müssen - macht die Vereinigten Staaten für Reindustrialisierung attraktiv. Vorerst profitieren die Ausrüster: Siemens (hat eine Gasturbinenfabrik in North Carolina eröffnet), ABB, Invensys oder GE. Insgesamt werden die Investitionen auf gut 90 Milliarden Dollar taxiert.

In die Ferne, wenn auch nur indirekt, zieht es auch den Alu-Hersteller Amag. Neben dem 220-Millionen-Euro-Investitionsprogramm in Ranshofen steht bei der Elektrolyse in Kanada (Alouette; Amag mit 20 Prozent beteiligt) eine Verdoppelung der Kapazität an. Kosten: eine Milliarde Euro, davon gut 200 durch die Amag. (stro, ung, DER STANDARD, 14.3.2013)