Wien - Die Schulglocke ertönt, die Klassentüren gehen auf, und über tausend gestresste Schüler strömen auf den Gang. Die Schulpausen im Lycée Français de Vienne, einer Schule mit elitärem Ruf, sind extrem kurz, meist nur drei Minuten lang. Sie dienen ausschließlich zum Wechseln des Klassenraums, Erholung ausgeschlossen.
Dafür haben die Schüler jedoch eine einstündige Mittagspause, in der die "Kleinen" in der Kantine essen müssen, während die "Größeren" - wenn sie sich abgemeldet haben - auch im Hof bleiben dürfen.
Die Schule beginnt um halb neun und dauert nicht selten bis halb sechs oder länger, wobei man nach Schulschluss noch alle Hausarbeiten zu erledigen hat.
Für französische Familien im Ausland gedacht
Weltweit gibt es ein Netz von 480 französischen Schulen. Diese sind vor allem für französische Familien im Ausland gedacht sowie für Diplomatenkinder, deren Eltern oftmals umziehen müssen. "Die Kinder können die Bücher heute hier schließen, morgen in Barcelona wieder aufschlagen und haben dennoch denselben Stoff und dasselbe System", erzählt die Direktorin der Schule, Brigitte Peytier.
Jedoch sind nur etwa ein Fünftel der Schüler "echte" Franzosen. Die meisten anderen haben französischsprachige Eltern - so wie Kim, Schülerin der 7. Klasse: "Zu Hause spreche ich mit meinen Eltern und Geschwistern Französisch. Auch mit meinen Freunden spreche ich Französisch und nur sehr selten Deutsch."
Alle österreichischen Schüler müssen jedoch neben Deutsch auch die Fächer Geschichte und Geografie auf Deutsch besuchen und maturieren. Das Baccalauréat, die französische Matura, ist im Unterschied zur österreichischen auf zwei Jahre aufgeteilt: Nach der "Première" (7. Klasse) tritt man in Mathematik und Französisch an, nach der anschließenden "Terminale" in den restlichen Fächern. Zudem können die Schüler in der Oberstufe zwischen mehreren Zweigen wählen, darunter Literatur, Naturwissenschaften und Wirtschaft. Die Schülerzahlen sind relativ groß, in einer Klasse sitzen durchschnittlich 29 Schüler.
Eliteschule
Dem Lycée wird oftmals nachgesagt, es sei eine Eliteschule - nicht zuletzt, da viele bekannte Persönlichkeiten ihre Kinder auf die renommierte Privatschule schicken. Die Direktorin Brigitte Peytier dementiert jedoch diesen elitären Charakter, weil die soziale Herkunft bei der Aufnahme keine Rolle spielt und die einzige Aufnahmebedingung die Überprüfung der französischen Sprachkenntnisse ist.
Die Selektion findet eher auf finanzieller Ebene statt: Das Schulgeld für die Privatschule beläuft sich in der Oberstufe auf knapp 4500 Euro pro Jahr.
Eine weitere Besonderheit ist das Fach Arabisch, das am Lycée seit über 20 Jahren unterrichtet wird. "Bei uns gibt es auch viele Schüler aus ehemaligen Kolonien", erklärt Peytier. Schüler können als zweite Fremdsprache zwischen Arabisch, Spanisch, Latein und manchmal auch Italienisch wählen.
Andere Benotung
Die Benotungsskala reicht von 0 bis 20 Punkten, wobei man bei einer Beurteilung von bis zu 10 Punkten negativ ist. Im Zeugnis wie auch beim Baccalauréat zählt dabei stets der Durchschnitt: Würde man beispielsweise in Geschichte 20 Punkte erreichen, doch in Mathematik nur fünf, so wäre man trotzdem positiv und kann in die nächste Klasse aufsteigen. Das Schuljahr ist in Trimester aufgeteilt, und der Lehrer vermerkt im Zeugnis, dem "Bulletin Scolaire", neben der Punktevergabe zusätzlich, was er sich von dem Schüler in Zukunft wünschen würde.
Auf die Frage, was sie später machen wollen, antworten die meisten Schüler mit: "Ich möchte einmal im Ausland studieren." (Sarah Lehner, Philipp Koch, DER STANDARD, 13.3.2013)