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Kinder oder private Vorsorge - geht es nach Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und Sozialökonomie an der Ruhr-Universität Bochum, könnten so das deutsche Pensionssystem abgesichert werden.

Foto: REUTERS/Cheryl Ravelo

Der demografische Wandel - niedrige Fertilitätsraten stehen einer steigenden Anzahl von Pensionsbeziehern gegenüber, deren Lebenserwartung außerdem steigt - lässt Experten hierzulande daran zweifeln, ob das heutige Pensionssystem zukunftsfähig ist. Auch Deutschlands Rentensystem steht vor offenen Finanzierungsfragen. Eine Kennziffer, die die Verschiebung im Altersaufbau der Bevölkerung anzeigt, ist der Altenquotient. Dieser misst die Zahl der 65-Jährigen und Älteren je 100 Personen zwischen 15 und 64 Jahren. Er steigt in Deutschland von derzeit gut 30 bis 2030 auf rund 49, bis 2060 weiter auf rund 63 an, heißt es in der Studie "Alterssicherung, Arbeitsmarktdynamik und neue Reformen: Wie das Rentensystem stabilisiert werden kann".

Die Ruhr-Universität Bochum hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung diese Simulationsrechnung zur langfristigen Tragfähigkeit des deutschen Rentensystems durchgeführt. Für Aufsehen in Deutschland sorgt eine darin angeführte Empfehlung, die Studienautor Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und Sozialökonomie an der Ruhr-Universität Bochum, als "Basisrente mit Fertilitätsfaktor" bezeichnet.

Einladung zum "Trittbrettfahrerverhalten"

Das derzeitige System in Deutschland sei einerseits auf eine möglichst hohe Zahl qualifizierter zukünftiger Erwerbspersonen angewiesen, andererseits setze es "Anreize gegen die Erziehung und Ausbildung von Kindern", schreibt der Autor. Die Erträge zukünftiger Erwerbspersonen würden jedoch auf alle Mitglieder jeder Versicherungsgeneration ausgeschüttet, unabhängig davon, ob sie selbst Kinder bekommen haben oder nicht. "Das vermindert die Anreize, solche Investitionen zu tätigen und lädt zu Trittbrettfahrerverhalten ein", heißt es in der Studie. Wer keine Kinder erzieht, würde einerseits sparen und könne andererseits durch umfangreichere Erwerbsbeteiligung sogar höhere Rentenansprüche als Kinderlose erwerben, führen die Autoren weiter aus.

"Basisrente mit Fertilitätsfaktor"

Die zukünftige Einkommenskapazität von Kindern hänge zwar nicht allein von elterlichen Investitionen ab, Eltern und Kinderlose würden gemeinsam öffentliche Ausgaben finanzieren. Dennoch würde der Nachwuchs für die Eltern eine "nennenswerten Belastung" darstellen, die durch die öffentliche Unterstützung von Familien und  Kindern bisher "nicht annähernd" aufgewogen wurde.

Die "Basisrente mit Fertilitätsfaktor" stellt sich der Studienautor folgendermaßen vor:

  • Der Beitragssatz des herkömmlichen Pensionssystem soll eingefroren werden, sodass das Niveau der damit finanzierbaren "Basisrente" langfristig absinkt.
  • Das neue System einer "Kinderrente" wird geschaffen. Die "Kinderrente" würde nur Menschen zustehen, die Kinder geboren haben. Nur wer drei und mehr Kinder hat, könnte das heutige Rentenniveau in Deutschland erreichen.
  • Kinderlose und Kinderarme müsste durch private Vorsorge ihre Basisrente aufstocken. Mit der Geburt jedes Kindes würde sich die private Vorsorgepflicht verringern, ein Teil des bereits ersparten Vorsorgevermögens würde wieder frei werden.

Marin: "Reaktionärer Unfug"

Bernd Marin, Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, bezeichnet den Vorschlag "Basisrente mit Fertilitätsfaktor" als "reaktionären Unfung", der "aus der reaktionärsten Ecke der deutschen Sozialpolitik" kommt. Geburtenprämien würden immer wieder von rechten Parteien ins Treffen geführt, umso verwunderter sei er darüber, dass solche Vorschläge im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie vorgebracht werden.

Schwentner: Eltern erhalten jetzt schon mehr Geld

Judith Schwentner, Frauensprecherin bei den Grünen, bezeichnet das Modell als "höchst problematisch". Es sei ein Rückschritt in das 19. Jahrhundert, als Kinder noch als Altersvorsorge galten. Kinderlosigkeit zu bestrafen sei vermutlich mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Zudem würden schon jetzt Eltern bedeutend mehr Geld aus dem Sozialversicherungssystem beziehen, als Kinderlose. Schwentner nennt in diesem Zusammenhang etwa das Kinderbetreuungsgeld oder die Familienbehilfe. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 13.3.2013)