"In Ungarn gibt es klare Verstöße gegen europäische Werte. Wir können nicht weiter die Augen davor verschließen. Herr Barroso, würden Sie bitte das Thema Ungarn beim Europäischen Rat in Brüssel ansprechen." Der Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, Guy Verhofstadt, redete bei der Plenardebatte am Mittwoch in Straßburg (die eigentlich dem künftigen Haushalt bis 2020 gewidmet war) nicht lange herum. Er konfrontierte den Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, gleich frontal mit dem Problem der Eingriffe in die ungarische Verfassung durch Premierminister Viktor Orbán.

Wie berichtet, hat die Regierung in Budapest mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament die Kompetenzen des Höchstgerichts stark eingeschränkt, aber auch restriktive Maßnahmen gegen Obdachlose und Wahlwerbung in privaten Medien beschlossen.

Verhofstadt erinnerte nun daran, dass "sowohl der Europäische Gerichtshof wie auch die Kommission selbst" im vergangenen Jahr erkannt hätten, dass Orbán gegen EU-Grundrechte gehandelt habe: "Jetzt werden die Verstöße einfach gleich selber in die Verfassung verschoben. Ich fordere daher auch den irischen EU-Ratsvorsitz auf, ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages in Gang zu setzen". Dabei geht es um Verstöße gegen EU-Grundsätze, die zur Aufhebung der Stimmrechte bis zum Ausschluss führen können.

Kritik

Auch aus anderen Fraktionen, vor allem von Sozialdemokraten und Grünen, hagelt es Vorwürfe gegen Orbán, aber auch wider die Europäische Volkspartei (EVP).

Diese übt öffentlich keine Kritik an ihm, einem der Vizepräsidenten der EVP. Nur hinter vorgehaltener Hand wird bestätigt, dass "viele Abgeordnete" den Umgang mit Orbán kritisieren. Nur der deutsche EU-Mandatar Elmar Brok (CDU) wagt sich aus der Deckung: Er sei in großer Sorge um Ungarn, "die Verfassungsänderung, insbesondere was die Handlungsfähigkeit des Höchstgerichts betrifft, ist zu weitgehend, ist bedenklich", sagte er dem Standard. Es wäre "ein dramatischer Schritt, die Urteile der Höchstrichter aus der Vergangenheit zu annullieren", wie Orbán das tue, erklärte Brok. Dazu müsse die EU-Kommission tätig werden, juristisch prüfen. Eine Vorverurteilung lehne er ab.

Die Stimmung erinnert an die Situation vor zwei Jahren, als Orbán als EU-Ratschef mit Eingriffen in die Medienfreiheit die Partner brüskierte. Dem waren Maßnahmen und Auflagen der Kommission gefolgt, denen der Premier zögernd nachgab. "Er würde auch diesmal zurückrudern", so Brok.

Orbán setzt zum nächsten Schlag gegen die EU-Partner an: Mittels neuer Staatsbanken will er den privaten Banken den Kampf ansagen. Laut Brok werde Orbán beim EVP-Treffen vor dem Gipfel damit konfrontiert. Barroso erklärte bisher nur, dass er die Vorgänge mit dem Europaratschef "prüfen wolle". (Thomas Mayer, DER STANDARD, 14.3.2013)